Raum als geistige Konstruktion

Eindrücke von den aktuellen Arbeiten Richard Tuttles, die in der Wiener BAWAG-Foundation unter dem Titel "Reservations" zu sehen sind, sowie Allgemeines zum Konzept des Künstlers.
Von Roland Schöny.


Richard Tuttle, der 1941 in New Jersey geboren wurde und jetzt in New Mexico lebt, wird kontinuierlich als Vertreter des Postminimalismus bezeichnet. Seine Arbeit ist in den bedeutendsten Kunstinstitutionen der Welt vertreten - etwa im Museum of Modern Art in New York, im Kunstmuseum Basel oder im Stedelijk Museum Amsterdam. Ausserdem war Richard Tuttle zwischen 1972 und 1982 drei Mal auf der documenta in Kassel sowie 1997 auf der Biennale in Venedig vertreten. Donnerstag abend wird eine Ausstellung von Richard Tuttle in der Wiener BAWAG Foundation eröffnet. Sie läuft bis 26. November.

New Mexico, New York, $, #12, 1998 / ©Bild: Sperone Westwater
New Mexico, New York, $, #12, 1998 / ©Bild: Sperone Westwater

Wellen, Schlangenlinien oder Folgen von Zick-Zack-Mustern enthalten die Arbeiten von Richard Tuttle, auf denen Farbflächen übereinandergelegt sind, wie man sich Collagen aus Buntpapier vorstellen kann. Die Formen in diesen verhältnismäßig klein dimensionierten Werken sind also sehr einfach, aber keineswegs so eindeutig, dass sich Assoziationen mit realen Gegenständen oder Situationen bilden ließen. Denn weder das Streben danach, etwas abzubilden, noch der Versuch, bloß abstrakte Bildkompositionen zu schaffen, leiten die Arbeit von Richard Tuttle.

Bedingungen des Sehens

Man könnte seine künstlerische Tätigkeit eher mit der eines Wissenschaftlers, mit den Forschungen in der Atomphysik etwa, vergleichen. Doch während es in der Wissenschaft um das Auffinden und Definieren kleinster Teile geht, formuliert Richard Tuttle mit den klassischen Mitteln der bildenden Kunst visuelle Aussagen, die sich auf die Bedingungen des Sehens beziehen.

Tuttle thematisiert damit die Vorstellung von Raum als geistiger Konstrunktion und führt in seiner Kunst Elemente vor, die zeigen, wie derartige Eindrücke entstehen. Der Begriff Raum hat zentrale Bedeutung im Gesamtzwerk von Richard Tuttle, so auch in der gegenwärtigen Ausstellung in Wien. Auffallend ist dort, dass seine Arbeiten mit ungewöhnlich großem Abstand voneinander präsentiert werden.

Two with any To, #6*, 1999 / ©Bild: Sperone Westwater
Two with any To, #6*, 1999 / ©Bild: Sperone Westwater

Raum wird produziert

Das mag Besucher, die eintreten, vielleicht irritieren, so der Kommentar von Richard Tuttle. "Die eintretenden Besucher werden sehen, dass die Bilder viel Platz brauchen, aber ein Charakteristikum meines Werkes, ist, dass es Raum macht. Man steht vor einer außergewöhnlichen Situation: Die Bilder brauchen Platz beziehungsweise Raum und produzieren Raum. Das sind offensichtilich Polaritäten. Aber nur Kunst kann solche Polaritäten vereinen und zum Ausdruck bringen."

Das ist einer von mehreren Aspekten seines Werks, das unter anderem von seiner Auseinandersetzung mit fernöstlicher Kultur inspiriert ist. Bereits 1967 führte ihn eine ausgedehnte Reise nach Japan, die seine Metaphysik des Einfachen mitgeprägt hat. Viele seiner Arbeiten enthalten daher - wie ein japanischer Haiku - die Reinheit und Leere einer musikalischen Note.

Schwebezustände

Mit den von ihm verwendeten leuchtenden Farben schafft Tuttle ein lyrisches und poetisches Werk, dessen Schwebezustände Ausdruck einer heiteren Form von Spiritualität sind. Ungewöhnlich für einen einflussreichen Künstler der Gegenwart spricht Richard Tuttle immer wieder von Polaritäten, die sich mit der Sprache des visuellen in der Kunst vereinen ließen, vom Männlichen und Weiblichen etwa, aber auch von Intellektualität beziehungsweise Tiefe. Wie er sagt, hätte die westliche Kultur den Aspekt einer tiefen, spirituellen Wahrnehmung weitgehend ausgeklammert.

Waferboard 12, 1996 / ©Bild: Sperone Westwater
Waferboard 12, 1996 / ©Bild: Sperone Westwater

Richard Tuttle nennt seine neuesten Arbeiten auf Grund solcher mehrdeutiger Aspekte übrigens Skulpturen. Manche seiner Werke enthalten tatsächlich Holzteile, die sich von der Bildoberfläche abheben. Manche wiederum vermitteln nur optisch einen räumlichen Eindruck. Die wenigsten dieser Bildskulpturen sind klassisch rechteckig, sondern wie Laubsägearbeiten unregelmäßig, rundlich und zackig. Als Untergrund verwendet Tuttle oft Sperrholz, um sich von der traditionellen Malerei auf Leinwand zu entfernen.

Holz ideologisch belastet

Sperrholz sieht er auch - im Gegensatz zu reinem Holz - ideologisch weniger belastet, wie er erklärt. Denn im Zuge der Öko-Bewegung hätte Holz den Charakter eines so genannten korrekten Materials bekommen. Denn wenn Richard Tuttle von Ethik spricht, dann geht es ihm keineswegs darum, konform mit aktuellen Moden der Moral zu gehen.

Tipp:
Richard Tuttles "Reservations" sind von 15. September bis 26. November in der Wiener BAWAG Foundation zu sehen.

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