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24.06.2003 - Ausstellung
Körper zu Säulen verwandelt
Kurt Kocherscheidt wäre heuer 60 Jahre alt geworden. Das MAK zeigt eine sehr ordentliche Retrospektive.
VON ALMUTH SPIEGLER


E
inen Tag vor seinem Tod im November 1992 malte Kurt Kocherscheidt sein letztes Bild, einen dunklen Kreis auf braunem Grund. Knapper Endpunkt eines Künstlers, der mit dem Sterben zu leben gelernt hatte. Ein genetisch bedingter Herzfehler besiegte letztlich den 1943 in Klagenfurt geborenen Maler. Das MAK zeigt jetzt sein gedämpftes, mystisches in der schon lange nicht mehr so genutzten Ausstellungshalle im ersten Stock.

Eine stille, fast zu streng konzipierte Ausstellung. Die chronologische Ordnung erleichtert den Zugang allerdings enorm, ist die Fülle besonders der späten Arbeiten Kocherscheidts in Österreich relativ unbekannt. So wird man also brav geleitet - von einem Amazonas-Bild aus 1971 mit Schlange startend, entlang Kocherscheidts eigenem Grat zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bis hin zur Loslösung vom Offensichtlichen.

Ein erdiger Weg, knallige Farben sind Tabu. Ausgelassen wird das Frühwerk, als Kocherscheidt noch mit der Gruppe der "Wirklichkeiten" ausstellte, etwa 1968 in der Wiener Secession. Ein eigener Abschnitt gilt den Holzplastiken, die in ihrer Zweidimensionalität an Attrappen oder Kulissen erinnern. Auch Zeichnung und Fotografie sind von der Ausstellungsarchitektur gegenüber der Malerei ausgeblendet. Gerade die Fotos, die Kocherscheidt Anfang der 70er Jahre von seinen Reisen durch Südamerika mitbrachte, helfen allerdings beim Verständnis der seltsamen Formen, die der Künstler später über die Leinwände fliegen ließ. Sind es Steine, Löcher, Gewichte, Kugeln? Jedenfalls Urformen, mythisch aufgeladen, beseelt.

Zu verzauberten Dinners nehmen seltsame Wesen Platz - bienenhaft, heuschreckenartig, eine Hund/Ratten-Kreuzung. Ein Bild später in der Ausstellung lösen sich die angerichteten Formen vom Tisch, heben ab, füllen prall die Flächen. Noch stützen Titel den Blick - "Grieselsteiner Kosmos", "Russische Hütte". Ab Mitte der 80er Jahre muss man ohne sie auskommen. Die Signatur "Kappa" reduziert Kocherscheidt auf den Einzelbuchstaben. Auch die Landschaften sind endgültig verschwunden, die Körper haben sich in Säulen verwandelt, das traditionelle Bildformat ist aufgelöst. Er zimmert unregelmäßige Triptychen, verschachtelt Leinwände zu eckigen Aufbauten, meditative Mosaike. Ähnlich verschachtelt ist auch die Gestaltung der Retrospektive. Helle Holzwände teilen die künstlerische Entwicklung in überblickbare Waben.

Das MAK hat eine klare, fast zu akademische Ausstellung zusammengestellt, die jedenfalls eine klaffende Lücke ausfüllt: ein ernstes Gegengewicht zur verspielten Kippenberger-Schau im Museum Moderner Kunst. Die beiden Maler verbindet ein Schicksal: Sie starben zu jung - und hinterließen dieselbe Frau. Die Fotografin Elfie Semotan musste nach Kurt Kappa Kocherscheidt auch Martin Kippenberger verlieren.
Bis 5. 10., Mi bis So 10 bis 18 Uhr, Di 10 bis 24 Uhr, Mo geschlossen.



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