06.09.2001 19:18:00 MEZ
Den Kunden abkühlen und normalisieren
"Flash Afrique" in der Kunsthalle Wien: Historische und zeitgenössische Fotografie aus mehreren Ländern Westafrikas

Wien - Wie das denn geht mit der Studiofotografie erkundigt man sich bei Philip Kwarne Apagaya: "Die Menschen haben ganz unterschiedliche Gesichter. Bei manchen spürst du Selbstironie und Humor, andere sind eher ernst und wollen etwas Prestigeträchtiges, etwas Würdiges. Andere wiederum sind unsicher, haben kein wirkliches Bewusstsein für die Situation. Man muss sich also einfühlen, um herauszufinden, was sie wollen. . . Wichtig ist, am Anfang das Eis zu brechen, etwas Konversation zu machen, einen Witz zu reißen - ich nenne das den ,Kunden abkühlen und normalisieren'."

Apagaya hat das Genre Studiofotografie wiederbelebt

Mit dem Aufkommen tragbarer Kameras und schließlich mit dem Farbfilm war es überall in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Apagayas "Trick": Er fotografiert die Leute vor gemalten Hintergründen.

Er gestaltet Szenarien, in denen seine Kunden sich gerne sehen würden, Umfelder, die simulieren, dass ihre Träume sich erfüllt haben, ihre Hoffnungen auch eingetroffen sind. Und die Kunden sehen sich eben gerne in einer Überkomplettküche, bedienen gerne das Neueste vom Hi-Tech-Markt, besitzen gerne so viele CDs wie kein DJ der Welt. Apagaya bedient sie.

Vor ihm hat Seydou Keita die Standards der Studiofotografie gesetzt. Ab den 50er-Jahren setzte er Leute in Bilder, die vor allem eines verkünden: Selbstbewusstsein. Beeinflusst waren Keitas Inszenierungen vom amerikanischen Film Noir. Dynamik brachte Keita vermittels kontrastreicher Stoffmuster in die Schwarz-Weiß-Aufnahmen.

Bouna Medoune Seye zeigt die Verwirrten und Verrückten, die in den Großstädten ein Leben als Bettler und Obdachlose fristen. Dorris Haron Kasco begleitet sozialverwahrloste Jugendliche, Boubacar Touré Mandémory sucht seinen Bildreportagen des städtischen Alltags vermittels exzentrischer Perspektiven Neues zu entlocken. Mallick Sidibé arbeitet als Chronist. Er zeigt Jugendliche, die sich ihrer Unabhängigkeit erfreuen, ausgelassene Teenager, die auf ihre Schallplatten ebenso stolz sind wie auf ihre ausgesuchten T-Shirts.

Globale Strategien

Allesamt ungemein spannende und eigenwillige Künstler in einer gelungenen Präsentation. Allesamt verfolgen sie Ansätze und Strategien, wie sie auch in New York, in Paris, in Hamburg von Fotografen verfolgt werden. Außer dass sie eben alle aus Westafrika stammen. Und weil das immer noch nicht als normal hingenommen wird, gibt es ein begleitendes Symposion. Mining Cultural Diversity? bittet die eingeladenen Fotografen mit Kuratoren, Sammlern, Philosophen und Entwicklungsexperten an drei Tagen wider das Afrika als europäische Fiktion" anzudiskutieren. Morgen, Samstag, ab 16 Uhr befasst sich ein Panel mit dem Künstler Philip Kwarne Apagaya, dem Kurator Simon Njami, dem Leiter der Pariser Pigozzi Collection, André Magnin, der Wiener Kulturanthropologin Ulrike Davis-Sulikowski und dem Münchner Autor Tobias Wendl unter der Leitung von Georg Schöllhammer mit einer "Ästhetik und Kultur des Diversen".


(DER STANDARD, Print, 7.09.2001)


Quelle: © derStandard.at