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Völkerkundemuseum: Das tödliche Haupt der Medusa

22.06.2009 | 18:31 | NORBERT MAYER (Die Presse)

„Wir sind Maske“ verbindet Kult, Kultur und Kunst aus 9000 Jahren. In dieser raffinierten Schau des KHM wird assoziativ enthüllt, warum sich Menschen so gern verkleiden und verbergen.

Nach sieben Sälen mit aufregendem, hypnotisierendem oder ausgelassenem Maskenspiel, nach einprägsamen Lektionen auf Videoschirmen verlässt man die Ausstellung im Völkerkundemuseum, um mit der letzten Verstellung konfrontiert zu werden – mit sich selbst. Ein großer Spiegel steht als Barriere vor dem Ausgang, da kann man sich dann aussuchen, wer man gerade ist.

Denn mindestens vier „personae“ (Masken) habe der Mensch, behauptete Cicero in „De officiis“, als er gerade die Rolle des Philosophen spielte: die der Vernunft, die von Körper und/oder Seele, die der persönlichen, vom Umfeld geprägten Geschichte und schließlich die des eigenen Willens.

Zusammen ergibt das mehr als eine bloße „Maske“. Das Wort könnte aus dem Arabischen stammen; aus „mascarat“ (verkleidete Person) wurde „maskaro“ (schwarz, mit Ruß bedeckt), das hat etwas Dämonisches an sich. Die Masken bei Cicero machen in Summe eine Person aus, also uns. Folgerichtig wurde die von Sylvia Ferino exzellent kuratierte Schau „Wir sind Maske“ genannt. Sie zeigt alle nur denkbaren Variationen des Verhüllens und Enthüllens, von einer 9000 Jahre alten Steinmaske bis zu einem urtümlich anmutenden „Maskenjoch“, das Daniel Spoerri (*1930) extra für diesen Anlass her- und zur Verfügung gestellt hat; es blickt dich an wie ein Tier, das Rilkes Archaischer Torso Apolls rezitiert.

 

Von Ozeanien über Japan nach Imst

In sieben Abteilungen geht es um Erinnerung, Medusa, das Theater, Feste, Veränderung, Bildsprache sowie „Ich und Maskenzerfall“. Das klingt eurozentrischer, als es ist. Der Reiz dieser Ausstellung besteht auch darin, dass lustvoll Assoziationen hergestellt werden. Teufelsfratzen aus Südamerika teilen sich einen Raum mit Schemen aus der Imster Fasnacht, mit abstrakt wirkenden spitzen Hauben aus Feuerland und expressionistischen Dämonen aus Ozeanien. In der Nachbarschaft treiben sich griechisch-römische Theaterlarven herum.

Am Anfang jedoch steht Programmatisches aus der Renaissance: Ein Porträtdeckel mit der Inschrift „Jedem seine Maske“, der dem Florentiner Ridolfo del Ghirlandaio (1483–1561) zugeschrieben wird. Unter diesem Deckel soll das Porträt einer geheimnisvollen Frau („Monaca“, um 1510) aufbewahrt worden sein; einer Dame mit Gebetbuch und tiefem Dekolleté. Was verbirgt sie, was enthüllt sie? Ist sie weltlich oder geistlich? Monaca hat zwei Gesichter.

Dieses Werk wirkt manieriert im Vergleich zu einer ägyptischen Totenmaske aus Gips und einer Lor-Maske aus Papua-Neuguinea, die tatsächlich auf Schädeln angebracht wurden. Gemein haben sie den Versuch, gegen das Vergessen angefertigt worden zu sein, wie die römischen Köpfe, die vergoldeten mittelalterlichen Kupfermasken eines Ehepaares aus Limoges oder die Übermalung Arnulf Rainers, der ein Foto von der Totenmaske des Schauspielers Josef Kainz bearbeitet hat. Daneben Bemerkenswertes aus dem Wien Museum Karlsplatz: Mahler, Schiele, Berg, friedlich entschlafen. Unheimlich wirkt hingegen die überdimensionale Maske, die Mussolini ein Jahr nach der Machtergreifung 1922 von sich anfertigen ließ. Ein düsteres Monsterhaupt, gerade recht als Überleitung zu den Darstellungen der Medusa, jener jungen, missbrauchten Frau, die von Athena überdies noch zur Strafe ihrer Schönheit beraubt wurde. Ihr Haupt, das den erstarren lässt, der es erblickt, wird auch auf Rüstungen verwendet, etwa dem Schild von Kaiser Karl V. Im Zentrum aber: Berninis Marmorbüste.

Gefährliche Weiblichkeit wird folgerichtig und als Kontrast in diesem Raum durch eine schöne blaue Burka symbolisiert. Diese dichte Hülle mit dem Gitter vor dem Gesicht soll das Mädchen und dessen Betrachter schützen. Daneben sieht man in einem Büchlein, dass auch venezianische Jungfrauen vor gar nicht so langer Zeit präventiv verhüllt wurden so wie das Böse; der Helm von „Starwars“-Antiheld Darth Vader steht einträchtig neben einem französischen Schutzhelm aus dem Ersten Weltkrieg.

 

Die großen Feste in Venedig

Dann wird es opulent, mit einem Dionysos-Knaben aus den Kapitolinischen, mit dem Menander-Relief aus den Vatikanischen Museen; vieles aus Italien, das meiste aber aus eigenen Beständen und dem Volkskundemuseum. Theatermasken aus der Antike, aus Fernost, Figuren aus der Comedia dell'Arte, ein wunderbares Karnevalskostüm von Robert Capucci aus dem Jahr 1984: „Die Juwelenfrau“ wirkt wie eine Überhöhung venezianischer Verkleidungskunst.

Nahtlos der Übergang zu den großen Festen in der Lagunenstadt, bei denen die Komödienfiguren volkstümlich wurden. Goldoni (1707–93) verbannte die Masken aus dem Theater – ganz Venedig war danach maskiert. Die Antikenrezeption, die Allegorien in Renaissance und Barock stehen im Mittelpunkt des vorletzten Saales; Tiepolo, Longhi, Guardi. Das ist der streng bildungsbürgerliche Teil der Schau. Am Schluss kommt die Dekonstruktion; Ensor, Nolde, Orlan, eine magische Eulenmaske von Picasso, Raffiniertes von Cindy Sherman und Birgit Jürgenssen, die alte Meister und Topoi imitieren. Dann ist es Zeit, aus dem Zauberkabinett zu treten, um sich nach so viel kunstvoller Maskerade selbst zu erkennen.


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