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10.09.2003 19:12

Alles Leben ist verschlüsselt
Ein Festival für alles? Zerfranste sich die Ars Electronica mit ihrem Thema "Code - The Language of Our Time"? - Foto

"Code - The Language of Our Time" nahm sich die Ars Electronica zum Thema und zerfranste an den schier endlosen Varianten, den Begriff zu deuten. Das "Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft" braucht künftig präzisere Vorgaben, um nicht zum Festival für alles zu werden.




Linz - Der Code ist ein "Vieles". Das lässt sich auch nach der heurigen Ars Electronica mit entschiedener Bestimmtheit sagen. Als "Language of Our Time" hat das traditionsreiche Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft den Code befragt, ihn als Gesetz, als Kunst, als Leben definiert, seine Bedeutung für das Sozial- und Kulturleben, für Kommunikation und Kreativität - je nachdem - unterstrichen oder dementiert.

Die Sprache(n) - als Code zwischenmenschlichen Austauschens - hat uns zu kollektivem Wissen (Fortschritt!) und Besitz geführt, jedes soziale Handeln ist geprägt von Regeln und Prinzipien - von Moral. Um diese zu umgehen und etwa Krieg zu führen, verwendet man ebenfalls Codes (um seine wahre Absicht zu verschleiern). Ein Code lässt teilhaben, genauso wie er vorenthält. In Form verschiedenster Programmiersprachen regelt er, als dunkles Geheimnis hinter deppensicheren grafischen Benutzeroberflächen, unser Alltags- wie Berufsleben, weil er Computer erst richtig laufen lässt.

Esperanto war der Versuch, einen grenzüberschreitenden, völkerverbindenden Code, ein gesprochenes Kulturinterface zu kreieren. Und ist als solcher ebenso gescheitert wie dessen Vorgänger, die "Allsprache Volapük".

Und über das Verhältnis von Künstlern zur Software wissen wir nach intensiven Tagen beim Linzer Symposion auch nicht bedeutend mehr, als dass Letztere durchaus zur Produktion von Kunst herangezogen werden kann. Wie eben Farbe oder Plexiglas auch. Dass sich dadurch neue Möglichkeiten bieten, ist klar, wirklich neue Perspektiven haben sich daraus in den vergangenen Tagen nicht ergeben. Wie überhaupt die gezeigten Projekte, Objekte, Installationen und Interventionen eines erweiterten Kunstbegriffs ebenso wenig wie viel mit Codes zu tun hatten. Der vieldeutige Begriff "Code" fordert ein noch Mehr an Interpretationen heraus. Der Grazer Pionier Richard Kriesche etwa hat behauptet, vermittels ansprechend ästhetisch interpretierter DNA-Sequenzen gleich in der Lage zu sein, "Metaporträts", erste Teile eines künftigen "universellen Datenwerks", herzustellen. Seine Abbilder sind bestimmt von Datenverarbeitungsprozessen, denen wiederum das Leben als biogenetischer Prozess zugrunde liegt. Dafür mussten er und Mitarbeiter Blut lassen. Rückschlüsse auf die Person und deren Bauart lassen die hübsch weich gezeichneten Farbbilder samt Klangdimension, im Gegensatz zu manch herkömmlichen Porträts, keine zu.

Und apropos: Sich selbst generierende Musik blubbert eigentlich immer gleich aus den Monitoren, egal welcher Prozess dem Sound zugrunde liegt. Ob durch Internetzugänge aus Benin oder Luftdruckschwankungen in Algerien oder die Frequenz, mit der die Nordamerikaner den Lift benutzen, ist letztlich egal. Die Komplexität der Verarbeitung verschiedenster Impulse sagt ebenso wenig über das Potenzial des Generierten als Kunstwerk aus wie die letztlich nur Fachleuten verständlichen Prozesse der Steuerung derartiger Soundgeneratoren.

Vielleicht leidet die Ars ja unter ihrem Wachstum. Vielleicht verhindert gerade ihre Frage nach gleich "zukunftsrelevanten Paradigmen" einigermaßen präzise Antworten. Vielleicht ist "Code" gar kein Thema, sondern bloß ein zugkräftiges Schlagwort, um Spektakuläres, Skurriles, Stilles und Konzentriertes unter einen Hut zu bringen. Vielleicht sollte man sich wieder einmal bloß einem Detail widmen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2003)


Von
Markus Mittringer

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