Amüsant, schräg, populär

Marta Minujín liebt Happenings. Um gewohnte Sichtweisen aufzubrechen, baut sie Monumente aus Erdbeeren oder Skulpturen aus Käse und lässt das Publikum mitmachen.
Von Ines Mitterer.


Kaum ein anderer Künstler erreicht in seinem Land einen Bekanntheitsgrad wie Marta Minujín in Argentinien. Jeder kennt sie als die sympathische exaltierte Person, die mitten auf der Prachtstraße 9 de Julio in Buenos Aires einen Parthenon aus verbotenen Büchern baut, die Freiheitsstatue aus Erdbeeren nachformt, Andy Warhol die Auslandsschulden Argentiniens in Maiskolben bezahlt, 7000 Menschen im Museum of Modern Art in Geiselhaft nimmt, täglich in einem schrägen neuen Outfit glänzt und fast so oft im Fernsehen zu sehen ist.

Sicht frei auf den Alltag

In Argentinien sei sie eine Art "Trademark", erzählt die Popart-Diva mit dem platinblonden Haar und im grün-blau changierendem Overall. Man sagt Marta Minujín und denkt automatisch an etwas Amüsantes, ein Happening, etwas Aufregendes. Minujín definiert sich selbst als Pop-Künstlerin, die seit den 60er Jahren die Sicht der Menschen auf die alltäglichen Dinge aufbricht. Daher die Aktionen mit der Freiheitsstatue aus Erdbeeren, der essbaren Venus von Milo aus Käse oder dem Obelisken, dem Wahrzeichen von Buenos Aires aus Panettone. "Ich möchte Gewohnheiten aufbrechen. Wenn du das nicht tust, ist es wie bei der Milch: eine dicke Schicht köstlichen Rahms oben auf, aber darunter tut sich nichts", erklärt die Pop-Künstlerin.

Geschenke und Fotos

Plakat zur Ausstelllung (Zum Vergrößern anklicken)
Plakat zur Ausstelllung (Zum Vergrößern anklicken)
Marta Minujín will ihre Kunstwerke dem Publikum schenken. Was am Ende übrig bleibt, sind Erinnerungen und Fotos. Aber das macht nichts, denn Marta Minujín produziert ununterbrochen. Hier in Wien würde sie vielleicht die Donau verlegen oder die Oper schief stellen, um die Leute von ihrer gewohnten Sichtweise abzubringen.

Minujín hatte Glück. Der Anfang ihrer Karriere fiel in eine für argentinische Künstler goldene Zeit. Buenos Aires war damals ein vibrierendes Zentrum, das gerade dabei war, seine eigene Jugendlichkeit und Frische zu entdecken. Und es gab eine Institution, die alles förderte, was jung, aufregend und zukunftsweisend war - das Kulturinstitut "Instituto di Tella". Gesponsert vom Elektrizitätshersteller di Tella, war es ein Anziehungspunkt für internationale und nationale Künstler, vergab Preise und Stipendien, stellte junge Künstler aus und holte die Crème de la Crème des weltweiten Kunstgeschehens nach Buenos Aires.

Großartige 60er

Marta Minujín profitierte von dieser Institution auf allen Ebenen. Noch heute wundert sie sich, dass sie für ihre Projekte als No-Name-Künstlerin so viel Geld bekam. Immerhin war sie eine der ersten Happening-Künstler und ihre verrückten Ideen waren nicht für jedermann nachvollziehbar. Die 60er Jahre waren großartig, sagt sie, die fruchtbarste Periode des 20. Jahrhunderts. Damals habe alles begonnen: Informel, Pop, Action Painting, Hyperrealismus, Konzeptkunst, Videokunst, minimal art, sagt die Künstlerin. Ihre erste Installation stammt aus dem Jahr 1965. Und heute ist das alles wieder sehr gefragt, wenn man sich in den Galerien in New York von Tribeca bis Chelsea umschaut.

Marta Minujín, Soft Gallery, 1973
Marta Minujín, Soft Gallery, 1973

Zeitlose Soft Gallery

Tatsächlich kann man auch bei Marta Minujíns Arbeiten nicht feststellen, aus welcher Zeit sie stammen, so zeitlos sind ihre Installationen und Happenings. In der Ausstellung "vivencias/Lebenswelten" in der Wiener Generali Foundation gibt es beispielsweise die "Soft Gallery" aus dem Jahr 1973 zu sehen, ein Galerieraum bestehend aus Matratzen, der immer wieder neu bespielt wird. Am Eröffnungsabend am Mittwoch kommunzierten acht berühmte österreichische Persönlichkeiten, wie Hans Hollein, Karl Schranz oder Andrea Schurian miteinander via Telefon und veranstalteten so ein Sprechkonzert.

Am Anfang war die Matratze

Matratzen standen am Anfang von Marta Minujíns Karriere und sie ist ihnen treu geblieben: von ihrer ersten wie ein Bild gerahmten Matratze bis zur Wiener Soft Gallery. Denn Matratzen sind das halbe Leben, sagt die Künstlerin. "Man liebt sich auf der Matratze, man bekommt Kinder auf der Matratze, man schläft darauf."

Technikfreak

Dabei sind so einfache Materialien wie Matratzen nicht typisch für Marta Minujín - sie versuchte sich immer in den allerneuesten Technologien: Satellitenkonferenzen mit Künstlerkollegen, Computerinstallationen und ihrem Lieblingsgerät: dem Fernseher. Sie hatte nie Scheu vor der Technik, gesteht die Künstlerin selbstbewusst, weil ihr Gehirn viel schneller funktioniere als jeder technologische Fortschritt, sie habe den Computer schon lange besiegt.

Lieblingsding Fernsehapparat

Der wichtigste Gegenstand für die Künstlerin selbst ist der Fernsehapparat, der ihr Bild fast täglich in die argentinischen Haushalte bringt. Dort ist sie schon so berühmt wie ihr großes Vorbild Maradona. Für den Rest der Welt hält sie sich an eine Überzeugung des Schriftstellers Jorge Luis Borges: Man kann auch von Buenos Aires aus die Welt erobern.

Link: Generali Foundation

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