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07.09.2003 19:41

Die Zukunft der Bratwurst
Die Ars Electronica zeigt erneut, dass alles gemacht wird, was möglich ist: eine erste Runde auf der Benutzeroberfläche - Foto

"Code - The Language of Our Time." So nennt sich die aktuelle Auflage des Festivals für Kunst, Technologie und Gesellschaft in Linz. Die Ars Electronica zeigt erneut, dass alles gemacht wird, was möglich ist: eine erste Runde auf der Benutzeroberfläche




Linz - Ein Beispiel: Man möchte eine Bratwurst. Oder einen Burger. Oder sonst etwas Warmes im Bauch. Weil man nämlich Hunger hat. Also, Wurst auf den Grill legen und scharf anbraten. Irrtum! Der Griller ist nämlich ein intelligenter. Und steckt voller Sozialkompetenz. Er weiß: Essen ist Kommunikation, ist Austausch. Also schickt er sich nur an, heiß zu werden, wenn bei Tisch auch zwischenmenschlich etwas abgeht.

Da der Griller aber auch sonst ein fortschrittlicher ist, kann man sich seine Wurst nicht einfach reschreden, man muss sie knusprigchatten. Also gehört zu jedem Gedeck ein Laptop. Und dann schickt man eben seiner Tischdame eine E-Mail und hofft, dass die antwortet, bevor die Wurst kalt wird. Kou Sueda und Koji Ishi ist diese Idee passiert, und die Freiheit, eine Möglichkeit ungenutzt zu lassen, haben die beiden nicht in Anspruch genommen.

Noch ein Beispiel: Betritt man das Foyer des Linzer Brucknerhauses, weiß man sogleich, dass man ist, was man die lieben langen Tage so produziert: Abfall! Hunderte kleine Müllteile hat Daniel Rozin (USA) so montiert und gesteuert, dass sie jeweils den Schatten der Person wiedergeben, die wissen will, ob sie die schönste im ganzen Land ist.

Bevor man also noch richtig in der "Code-Exhibition" drinnen ist, fühlt man sich ertappt, freut sich aber, dass man dank modernster Technik heute in der Lage ist, dem Menschen sein wahres, schreckliches Antlitz vor Augen zu führen.

Derart abgeschminkt, ist man dann auch offen genug für "epigenetic painting". Das geht so: Ein Spezialplotter - Roman Verestko, ein Amerikaner hat ihn schon Mitte der 80er-Jahre entwickelt - macht ganz selbsttätig Kunst. Wie von Zauberhand betrieben spuckt er Bilder aus. Ein jedes ein Unikat. Ein jedes von so einer Feinheit, wie sie eine konventionelle Künstlerpranke gar nicht hinbekommen würde. Eine Software und geheimnisvolle Algorithmen würden da verantwortlich zeichnen, heißt es. Und mitten im Staunen wünscht man sich, sie würden noch etwas üben.

Genau so ergeht es einem bei "microImage" (auch aus den USA): Um riesige Drucke einer durch und durch biederen Gegenstandslosigkeit geht es da. Man denkt automatisch so lange an die Verheerungen des gemeinen Akademismus, bis man erfährt und kaum glauben kann, dass nicht ein ausgebrannter Malerfürst, sondern Tausende "autonome responsive Software-Organismen" für das Ergebnis selbst verantwortlich zeichnen.

Das stimmt versöhnlich, so werden die Maschinen wohl nie die Macht übernehmen. Obwohl, wenn man sich überlegt, dass John Maeda (auch aus den USA) mithilfe eines Scanners zählen kann, wie viele Einzelkristalle ein Packerl Salz füllen, wird einem schon wieder unheimlich.

Man kann sich aber mit einer sensationellen Entwicklung von Shirly Shor (auch USA) trösten: Was ausschaut wie ein Bildschirmschoner für die Generation "Wallpaper", ist die welterste anschauliche Darstellung von nomadisierenden Linien auf der Flucht. Merke: Grenzen kommen und gehen. Nix ist fix.

Fortschrittstaumelnd strebt man der Kunstuniversität zu, wo die Gruppe FOK (Schweiz) einen Klettergarten angelegt hat. Freilich kann man da mehr als nur klettern. Ist der Garten doch in Wirklichkeit eine Tastatur. Man kann also Sinn stiftend klettern.

Folgt man bestimmten Tastenkombinationen, hangelt sich also Befehlen folgend höher, schreibt man ein Programm. Was uns das sagen soll? Erstens: Es ist den Schweizern gelungen, zwei bisher getrennt von einander glückliche Spezialgebiete - Informatik und Alpinistik - zu vereinen. Zweitens: Das birgt ungemeine Entschleunigungspotenziale. Ansonsten ohnmächtig schnell in die Tasten gehämmerte Programme können jetzt endlich mitbedacht, Schritt für Schritt eingegeben werden. Und gesund ist das Programmieren jetzt auch. Und vielleicht ist das ja ein Weg, dem Produktivitätswahn zu entkommen, den Überdruss zu finden am ständigen Entfalten. Adorno ist hundert, und bevor wieder einer rotsieht, sollte man vielleicht die "Kollektivität als blinde Wut des Machens" noch einmal überdenken. (DER STANDARD, Printausgabe vom 8.9.2003)


Von
Markus Mittringer

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