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19.11.2002 - Ausstellung
Der intime Moment: Sisis Eitelkeit, Kühns sphärische Welten
"Im Blickpunkt" präsentiert erstmals die Photosammlung der Österreichischen Nationalbibliothek im Überblick: Kostbarkeiten aus einer etwas zu respektvollen Distanz.
VON ALMUTH SPIEGLER


Photographie ist ein ziemlich intimes Medium. Das Format allein drängt schon zum in die Hand nehmen, an die Augen führen, die Momentaufnahme zum eindringlichen studieren von Details, der Gesichtszüge.

Die Photosammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (ONB) ist unglaublich reich an in diesem Sinne voyeuristischen Kleinodien. Immerhin reicht der Kernbestand bis in die Frühzeit der Photographie zurück, als die Kaiserfamilie Mitte des 19. Jahrhunderts begann, auch in der neuen Technik Porträts zu sammeln.

Genau mit diesen Arbeiten läßt die ONB die 240 Stück zählende Übersichtsausstellung ihrer Photosammlung - "Im Blickpunkt" - im Prunksaal beginnen. Es ist die erste ihrer Art, bisher waren Exponate nur als Leihgabe in anderen Häusern zu sehen.

So begegnet man Kaiserin Elisabeth einmal nicht in geschönter Malerei - nimmt man jedenfalls an. Doch an zwei Porträts wird die Manipulation entlarvt: vom ersten "Hofphotographen" Ludwig Angerer 1863 noch in pausbäckiger Frische festgehalten, war Carl Pietzner über 30 Jahre später dazu angehalten, dieselbe Photographie als Grundlage zu nehmen und nur zart altern zu lassen. Mit leichten Schatten um die Augen, neuem Kostüm ausgestattet, reift es sich eben sichtlich charmanter.

Eine ähnliche Skurrilität sind die damals in Mode kommenden "Carte de Visite", Kärtchen mit Porträt und Namen, die frappant an die heute im Showbusiness üblichen Autogrammkarten erinnern: Sisi, a Star was born! Verteilt wurden diese Karten damals allerdings nur streng "entre nous".

Die belichteten Schenkungen an das Kaiserhaus wurden mit der Zeit immer mehr, eigneten sie sich ja perfekt als Werbe-Maßnahme, besonders beliebt bei Waffenproduzenten. Auch zum Dank für die private kaiserliche Hilfe bei Naturkatastrophen sandte man gerne Aufnahmen der Situation.

Nach Ende der Monarchie ging diese habsburgische Photosammlung dann an die Nationalbibliothek. Bis heute wuchs sie auf mehr als zwei Millionen Photographien an. Pro Jahr stehen immerhin 300.000 Euro für Neuankäufe in diesem Bereich zur Verfügung.

Nach dem Beginn mit den Porträts folgen weitere Schwerpunkte wie Mode- und Theaterphotographie aus Wiens legendärem Atelier d'Ora, historische Photographien aus den Bereichen Industrie, Krieg, Reportage sowie Dokumentationen von Reisen und Expeditionen.

Märchenhaft verwaschen

Besonders prächtig sind die Autochromeplatten - farbige Diapositive aus Glas - des österreichischen Pioniers der Farbphotographie, Heinrich Kühn (1866-1944). Vor vier Jahren ging der Nachlaß des Piktoralisten an die ONB und damit 213 von weltweit noch 260 existierenden herrlich verwaschenen Glasplatten.

Die sphärischen Aufnahmen erinnern an den Impressionismus, lassen aus Photos märchenhafte Malerei werden. Leider werden in der Ausstellung nur neun der teils gebrochenen, kostbaren Autochromeplatten präsentiert, dafür aber sehr elegant von unten beleuchtet.

In den letzten Jahren konnten noch andere Nachlässe bedeutender heimischer Photographen erworben werden: Darunter Lucca Chmel (1911-1999), die Architektur-Photographin der Nachkriegsmoderne, deren Bildausschnitte Staatsoper wie Stadthalle zu kühlen, futuristischen Orten machen. Oder der Sportphotograph Lothar Rübelt (1901-1990), der bis 1964 alle Olympischen Spiele beeindruckend dokumentierte, bewegt und humorvoll, ohne verherrlichendes Pathos und den Haut Gout einer Leni Riefenstahl.

Trotz der ONB-Ankäufe auch zeitgenössischer Photographie verwundert in der Ausstellung die starke Konzentration auf die historische. Ein einziges Porträt, das Künstler Edgar Honetschläger zeigt, steht im Prunksaal allein auf weiter Flur für die Zeit nach 1950.

Problematisch ist - wie so oft - auch die Präsentation von Photographien: Sie läßt die nötige Nähe - den intimen Moment - meist nicht zu, Schaukästen mit den Beschriftungen wurden zwischen Wand und Betrachter geschoben. So erkennt man etwa bei einem Habsburger-Familienphoto nur schwer die Gesichtszüge. Das ausführliche Katalogbuch entschädigt - Reproduktion ist hier ja kein Hindernis.

Bis 26. Jänner. Täglich 10 bis 14 Uhr, Do. 10 bis 19 Uhr.



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