Photographie ist ein ziemlich intimes Medium. Das Format
allein drängt schon zum in die Hand nehmen, an die Augen führen, die
Momentaufnahme zum eindringlichen studieren von Details, der Gesichtszüge.
Die Photosammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
(ONB) ist unglaublich reich an in diesem Sinne voyeuristischen Kleinodien.
Immerhin reicht der Kernbestand bis in die Frühzeit der Photographie
zurück, als die Kaiserfamilie Mitte des 19. Jahrhunderts begann, auch
in der neuen Technik Porträts zu sammeln.
Genau mit diesen Arbeiten läßt die ONB die 240 Stück
zählende Übersichtsausstellung ihrer Photosammlung - "Im Blickpunkt" - im
Prunksaal beginnen. Es ist die erste ihrer Art, bisher waren Exponate nur
als Leihgabe in anderen Häusern zu sehen.
So begegnet man Kaiserin Elisabeth einmal nicht in
geschönter Malerei - nimmt man jedenfalls an. Doch an zwei Porträts wird
die Manipulation entlarvt: vom ersten "Hofphotographen" Ludwig Angerer
1863 noch in pausbäckiger Frische festgehalten, war Carl Pietzner über 30
Jahre später dazu angehalten, dieselbe Photographie als Grundlage zu
nehmen und nur zart altern zu lassen. Mit leichten Schatten um die Augen,
neuem Kostüm ausgestattet, reift es sich eben sichtlich charmanter.
Eine ähnliche Skurrilität sind die damals in Mode
kommenden "Carte de Visite", Kärtchen mit Porträt und Namen, die frappant
an die heute im Showbusiness üblichen Autogrammkarten erinnern: Sisi, a
Star was born! Verteilt wurden diese Karten damals allerdings nur streng
"entre nous".
Die belichteten Schenkungen an das Kaiserhaus wurden mit
der Zeit immer mehr, eigneten sie sich ja perfekt als Werbe-Maßnahme,
besonders beliebt bei Waffenproduzenten. Auch zum Dank für die private
kaiserliche Hilfe bei Naturkatastrophen sandte man gerne Aufnahmen der
Situation.
Nach Ende der Monarchie ging diese habsburgische
Photosammlung dann an die Nationalbibliothek. Bis heute wuchs sie auf mehr
als zwei Millionen Photographien an. Pro Jahr stehen immerhin 300.000 Euro
für Neuankäufe in diesem Bereich zur Verfügung.
Nach dem Beginn mit den Porträts folgen weitere
Schwerpunkte wie Mode- und Theaterphotographie aus Wiens legendärem
Atelier d'Ora, historische Photographien aus den Bereichen Industrie,
Krieg, Reportage sowie Dokumentationen von Reisen und Expeditionen.
Märchenhaft verwaschen
Besonders prächtig sind die Autochromeplatten - farbige
Diapositive aus Glas - des österreichischen Pioniers der Farbphotographie,
Heinrich Kühn (1866-1944). Vor vier Jahren ging der Nachlaß des
Piktoralisten an die ONB und damit 213 von weltweit noch 260 existierenden
herrlich verwaschenen Glasplatten.
Die sphärischen Aufnahmen erinnern an den
Impressionismus, lassen aus Photos märchenhafte Malerei werden. Leider
werden in der Ausstellung nur neun der teils gebrochenen, kostbaren
Autochromeplatten präsentiert, dafür aber sehr elegant von unten
beleuchtet.
In den letzten Jahren konnten noch andere Nachlässe
bedeutender heimischer Photographen erworben werden: Darunter Lucca Chmel
(1911-1999), die Architektur-Photographin der Nachkriegsmoderne, deren
Bildausschnitte Staatsoper wie Stadthalle zu kühlen, futuristischen Orten
machen. Oder der Sportphotograph Lothar Rübelt (1901-1990), der bis 1964
alle Olympischen Spiele beeindruckend dokumentierte, bewegt und humorvoll,
ohne verherrlichendes Pathos und den Haut Gout einer Leni Riefenstahl.
Trotz der ONB-Ankäufe auch zeitgenössischer Photographie
verwundert in der Ausstellung die starke Konzentration auf die
historische. Ein einziges Porträt, das Künstler Edgar Honetschläger zeigt,
steht im Prunksaal allein auf weiter Flur für die Zeit nach 1950.
Problematisch ist - wie so oft - auch die Präsentation
von Photographien: Sie läßt die nötige Nähe - den intimen Moment - meist
nicht zu, Schaukästen mit den Beschriftungen wurden zwischen Wand und
Betrachter geschoben. So erkennt man etwa bei einem
Habsburger-Familienphoto nur schwer die Gesichtszüge. Das ausführliche
Katalogbuch entschädigt - Reproduktion ist hier ja kein Hindernis.
Bis 26. Jänner. Täglich 10 bis 14 Uhr, Do. 10 bis 19
Uhr.
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