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"Meine Kunst ist Exorzismus"

Sommerausstellung von Louise Bourgeois wird heute im Kunsthaus eröffnet

VON ARIANE GRABHER

Bregenz (VN) Eine Reihe großer Ausstellungen hat das Werk von Louise Bourgeois, 90-jährige Grande Dame der Bildhauerei, seit der ersten Retrospektive in New York 1982 gewürdigt.

Mit 20 Skulpturen und über 100 Zeichnungen der Jahre 1943-2002 unternimmt die Sommerausstellung im Kunsthaus Bregenz, die heute Abend um 20 Uhr eröffnet wird, den erstmaligen Versuch einer so dichten Gegenüberstellung von Zeichnungen und Skulpturen der Künstlerin.

Dämonen der Kindheit

Der Dialog der beiden scheinbar so gegensätzlichen Medien, die KUB-Direktor Eckhard Schneider mit der "gewalttätigen Skulptur und der sensiblen, leichtfüßigen Schwester Zeichnung" als ungleiches Geschwisterpaar bezeichnet, beginnt in beeindruckender Größe im Foyer. Der Körper einer riesigen bronzenen, drei Meter hohen Spinne (eine Metapher und eine "Ode an meine Mutter", die "klug, geduldig und rein wie eine Spinne" war, sich außerdem "selbst verteidigen" konnte) schwebt über dem Betrachter und macht die Ambiguität des Werkes von Louise Bourgeois vom ersten Moment an physisch erlebbar. Vor dem Hintergrund der Dämonen ihrer Kindheit und dem emotionalen Impuls, die den Angelpunkt eines ungebrochen kühnen, stilistisch nicht festlegbaren, mit Medien und Materialien variierenden Schaffens bilden, wird Bildhauerei zu einer symbolischen Handlung: "Es ist nicht das Bild, das ich in meinen Skulpturen suche, auch keine Idee. Mein Ziel besteht darin, eine vergangene Emotion wieder zu durchleben.

Meine Kunst ist ein Exorzismus, und Schönheit ist etwas, worüber ich nie rede." Männlich-weiblich, Aggressivität-Sanftheit, Schutz-Bedrohung, Macht-Zerbrechlichkeit sind Kategorien, die die Malerin, Zeichnerin und Bildhauerin in ihren Arbeiten zusammenbringt. Der Körper wird ihr dabei zum Ort der Erinnerung, und die ist bekanntlich nicht immer schön. Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, namentlich der Kindheit, verfolgt Bourgeois vor allem in den seit den 80ern entstehenden, zwischen klaustrophobischer Zelle und schützendem Versteck oszillierenden "Cells", die auch im KUB vertreten sind.

Bestückt mit Gegenständen aus dem persönlichen Besitz der Künstlerin, kleinen narrativen Details wie Parfumflakons, Kleider usw., sind es eindrückliche Architekturen der Erinnerung, in die der Betrachter zwar hineinschauen kann, letztlich aber ausgesperrt bleibt. Von beeindruckender Präsenz, Gewalt und Verletzlichkeit zugleich suggerierend, ist eine Gruppe auf Augenhöhe gehängter Skulpturen aus den 60er Jahren, deren eindeutige phallische Symbolik von der frühen Kunstkritik noch als "Landschaften" interpretiert wurde.

Einen Ort der Zuflucht bieten indes die Zeichnungen. Als eigenständige Schöpfungen, kaum je mit zeitgleichen Entsprechungen in der Skulptur, setzen sie mit Selbstporträts von 1943 ein.

Reisen auf dem Papier

Zeichnen ist für die Künstlerin, die ihr Haus im New Yorker Stadtteil Chelsea dieser Tage nicht mehr verlässt, eine Form des Reisens auf dem Papier. Und ist ihr das Zeichnen auch nur eine "kleine Hilfe" im steten Befreiungskampf gegen die Dämonen, so bleibt es doch eine tägliche Notwendigkeit, wie die noch immer entstehenden Blätter beweisen.

Eine Art, die kleinen Dinge des Alltags vor dem Verschwinden zu retten: "Zeichnen ist wie schöne Schmetterlinge zu fangen, (es) gibt blaue Ideen und rosa Ideen, und ich will sie alle erhalten." Im Kunsthaus profitieren nicht nur die haptischen Oberflächen der Skulpturen vom einströmenden Tageslicht. Auch den Zeichnungen verleiht das Licht eine ganz eigene Atmosphäre und eine Sensualität, von der die Blätter in dieser außergewöhnlich schönen, reichhaltigen Schau leben.

Eine Metapher und eine "Ode an meine Mutter", die klug, geduldig und rein wie eine Spinne war. (Fotos: Kunsthaus)

Skulptur von Louise Bourgeois.

Zur Person

Louise Bourgeois

Geboren: 1911 in Paris.

Ausbildung: Studierte Mathematik und besuchte ab Mitte der 30er Jahre verschiedene Kunsthochschulen und Atelierbetriebe in Paris (Schülerin von Fernand Léger). Fortsetzung der Ausbildung nach ihrer Heirat mit dem amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater ab 1938 in New York, wo sie seither lebt.

Laufbahn: Gilt spätestens seit der ersten großen Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art 1982 international als eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart. Nach der Biennale von Venedig 1993 und nach der documenta 1992 ist Louise Bourgeois in diesem Sommer mit der Werkgruppe "The Insomnia Drawings" bereits zum zweiten Mal an der Kasseler documenta vertreten.




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