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Secession Wien 5.7.2001 -
2.9.2001
In diesem Sommer schien die Secession das
Zwischendepot für eine – etwas ungewöhnlich gestaltete –
Weltraumstation zu sein: »Cotton 2001«. Der österreichische Künstler
Hans Weigand füllte den Hauptraum mit einem bunt bedruckten Quader
und einer 12-seitigen, auf Metallfüßen liegenden Röhre, beide durch
ein Metallgerüst miteinander verbunden und innen begehbar. Auf der
Außenfassade des ersten Baukörpers, dem »Jerry Cotton Haus«, findet
sich ein von Weigand im Künstlermilieu angesiedelter Jerry
Cotton-Fotoroman affichiert; im Inneren des Gebäudes sind auf zwei
Ebenen mehrere Monitore verteilt, die verschiedene Sequenzen aus
diesem Fotoroman zeigen. Die mit beige-braunem Kunstleder tapezierte
Röhre ist hingegen ein Zitat aus Stanley Kubricks »2001 – A Space
Odyssey«. Vom Metallsteg aus, der durch die Röhre führt, sind drei
Science-Fiction-Filme der sechziger und siebziger Jahre
beziehungsweise Ausschnitte aus diesen zu sehen. Eine Frage, die
sich sofort aufdrängt, ist, wie diese beiden Elemente zueinander in
Beziehung zu setzen sind, denn auf den ersten Blick bieten sich
sowohl ästhetisch wie auch inhaltlich kaum Berührungspunkte an. Was
verbindet also einen Jerry Cotton-Roman mit einem Kubrick-Klassiker?
Hans Weigand beantwortet dies zunächst mit seiner Biografie und dem
gemeinsamen Entstehungs- und Wirkungszeitraum von »Cotton« und der
Weltraum-Odyssee. In den sechziger Jahren zur Ideologisierung einer
mit dem Wiederaufbau beschäftigten Leserschaft eingesetzt, erreichte
die deutsche Amerika-Projektion »Jerry Cotton« seinen
Popularitätszenit. Obwohl nach wie vor ein Begriff, scheint
seine Zeit heute vorüber zu sein. Ähnliches gilt für Kubricks
»2001 – A Space Odyssey« von 1968, der heute außer im
Schulunterricht kaum noch von Jugendlichen gesehen wird. Beide
Geschichten sind also mittlerweile von der Zeit eingeholt, und Hans
Weigand scheint die Frage zu stellen, was aus diesen medialen
Utopien der sechziger Jahre geworden ist und wie wir heute damit
umgehen können. Die Jahreszahl 2001 nimmt in beiden Elementen
eine zentrale Rolle ein und wird durch den Titel der Ausstellung
»Cotton 2001« nochmals hervorgehoben. Zeit scheint überhaupt eines
der Leitmotive dieser Arbeit zu sein. 1968 siedelte Kubrick die
Weltraum-Odyssee in ferner Zukunft an: in einer Zeit, in der das
Leben der Menschen Lichtjahre von dessen Ursprüngen entfernt sein
würde und in der es – zumindest potenziell – hätte möglich sein
sollen, dass die Utopien von 1968 realisiert sein würden.
Mittlerweile hat die Realität diese Fiktion jedoch eingeholt. Wenn
Weigand ein Element der damaligen Filmausstattung, das innerhalb der
Narration als spaciges Zukunftsmöbel gedacht war, im Jahr 2001 real
nachbaut, ist aus der Zukunft der Vergangenheit bereits Gegenwart
geworden, und was 1968 noch mediale Zukunftsutopie war, lässt sich
heute als historische Fiktion identifizieren. Es wird also deutlich,
welche Probleme entstehen, wenn Utopien, die eigentlich
außerzeitlich gedacht sind, an einem realen Datum in der Zukunft
festgemacht werden. Was hier aufgedeckt wird, ist das, was Boris
Groys in Verbindung mit dem Utopismus der Moderne den
»Konservatismus der Zukunft«1 nennt. »Zukunft wird hier als
schlichte Fortsetzung der Gegenwart gesehen, wie früher die
Gegenwart als schlichte Fortsetzung der Vergangenheit gesehen
wurde.«2 Der Witz an Weigands Kubrick-Zitat ist, dass er die Röhre
wie eine Erlebnisausstellung inszeniert, in der die BesucherInnen
veraltete B-Movies wie »The Tenth Victim« oder »Zardoz« betrachten
können, wodurch die damaligen Utopien gleichsam in sich selbst
musealisiert werden. Im anderen Baukörper findet ein ähnliches
Kippen der Utopien der sechziger Jahre statt. Mit dem Fotoroman
»Cotton 2001« zieht Hans Weigand unter eine Figur, die zunehmend an
ideologischem Potenzial verloren hat, einen Schlussstrich. Weigand
lässt die Figur der Künstlerin im Fotoroman, Mary Fisher, lapidar
feststellen, dass es ihr sehr viel wert wäre, »wenn es eine Welt
ohne Jerry Cotton gäbe«. »Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagt Mr.
Nitch, bevor er dem gealterten Jerry den Gnadenschuss versetzt und
damit eine Ära ideologisierter deutscher Amerika-Phantasie beendet,
denn: ohne Jerry Cotton keine »Jerry Cotton«-Romane mehr! Aber
nicht nur durch die Storyline wird klar, dass Cotton eher Geschichte
denn gegenwärtige Alltagskultur ist. Die an den unterschiedlichsten
Schauplätzen – von Wien bis Tijuana – inszenierten Shootings
wurden für den Fotoroman mit Retro-Versatzstücken angereichert,
durch welche diese Fiktion als ausgeleiertes und brüchiges Gummiband
aus einer anderen Zeit erkennbar wird. Ein ironisch-zynischer
Kommentar zur Rezeption der Utopien des Modernismus? Oder ist Hans
Weigands Arbeit einfach ein humoriges Spiel mit der Pop-Kultur
seiner Jugend? Die parallel zur Secessions-Ausstellung gezeigte
Weigand-Schau in der Gabriele Senn Galerie könnte diese Frage
vielleicht erhellen. Dort werden großformatige C-Prints mit Motiven
von der amerikanisch-mexikanischen Grenze gezeigt, bei denen sehr
wohl ein reflektierter Umgang mit Phänomenen der Moderne ersichtlich
ist. Der Künstler sorgt aber zum Glück dafür, dass das ironische
Unterwandern der Moderne- Utopien nicht zur Doktrin wird, sondern
jeden Augenblick auch in ein ernsthaftes, affirmatives
Moderne-Verständnis kippen kann. So wird verständlich, warum Hans
Weigand den aufwändig inszenierten Tod der Moderne in einer
Raumstation als dem Inbegriff modernistischer Utopie zelebriert und
Cotton und Kubrick in den unendlichen Weiten des Weltalls ihre
letzte Ruhe finden lässt.
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