Großzügiges Posieren für Carlo Mollino.
Wien - Zweifellos war das eine ziemlich schillernde Gestalt: Vielseitig begabt und finanziell unabhängig, widmete sich der studierte Architekt Carlo Mollino (1905-1973) mit forscherischem Geist rasanten Leidenschaften wie dem Skilauf, dem Motorsport oder auch der Kunstfliegerei.
Außerdem verfasste er eine Geschichte der Fotografie und setzte die Kamera selbst für attraktive Damenporträts und Aufnahmen seiner Speed-Hobbys ein. Kunsthistorisch relevant sind heute noch seine architektonischen Entwürfe, von denen nur wenige Gebäude erhalten sind, und relevant sind auch die extravaganten Möbelstücke, als Auftragswerke allesamt Unikate.
Abgestoßen von der Klarheit des Funktionalismus, nahm sich der Spross einer reichen Turiner Baumeisterfamilie die Barockbauten seiner Heimatstadt und die fließenden Linien des Jugendstils zum Vorbild. Seinen 1940 gebauten Reitclub "Società Ippica Torinese" prägen dynamische Kurven - es sind fortan Kennzeichen von Mollinos Stil. Radikal aerodynamisch setzte Carlo Mollino diese geschwungenen Formen am Rennauto "Bisiluro" um, mit dem er 1955 am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teilnahm. Nah am Körper bleiben auch die organisch geformten Polstersessel und die gebogenen Holz- und Eisengestelle seiner Tische.
Umtriebiger Turiner
Nun ist es nicht unbedingt ein Geheimnis, dass der Kunsthallendirektor Gerald Matt eine große Affinität zu Dandys hat. Noch bevor der umtriebige Turiner Mollino ab 16. September mit einer großen Retrospektive im Münchner Haus der Kunst gewürdigt wird, prescht die Kunsthalle jedenfalls im Project Space am Karlsplatz mit der Mini-Schau Un Messaggio dalla Camera Oscura vor (zu sehen bis 25. September).
Als Erstem im Ziel scheint Matt womöglich jedoch nicht bewusst gewesen zu sein, dass er mit den Aktfotos den eher bedeutungslosen Teil von Mollinos spannendem OEuvre ergattert hat. Auch die Präsentation mit Objekten aus der Casa Mollino enttäuscht: ein Beistelltischchen und ein paar Plastiken ergeben noch keinen künstlerischen Kontext.
Nach dem Tod des ewigen Junggesellen wurden jedenfalls über tausend geheime Aktfotos entdeckt. Auf den Polaroids posieren Prostituierte in Strapsen, Lackwäsche, Brautkleidung oder mit Banane im Mund für den Voyeur, der sie am liebsten vor einer Bambusmatte festhielt.
Würden diese konventionellen Pin-ups aus dem Boudoir eines Le Corbusier oder Mies van der Rohe stammen, deren Baukunst hinlänglich publik gemacht und bekannt ist, hätten sie als Kuriosa vielleicht eine Schau verdient. Angesichts der Unbekanntheit von Mollinos Werk hätte man sich wohl besser um eine Übernahme der Münchner Ausstellung bemüht. (Nicole Scheyerer/DER STANDARD, Printausgabe, 31. 8. 2011)
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