Artikel aus profil Nr. 50/2002
Filmstörung

Der Linzer Dietmar Brehm, ein großer Unberechenbarer zwischen Underground-Kino und bildender Kunst, blickt auf sein stetig wucherndes Werk.
Die „permanente Motorik“, die er zum Arbeiten dringend benötige, bietet ihm die Musik, mit der er sich daheim, in der Linzer Mozartstraße, unaufhörlich beschallt. Was er mag: Iggy Pop, Velvet Underground, Roy Orbison. Mozart dagegen, sagt er, „würgt mich eher“. Dietmar Brehm, 55, lässt sich vom Rock ’n’ Roll vorantreiben, aber was er an Filmen, Fotos und Gemälden herstellt, lässt diese Quelle so wenig ahnen wie irgendeine andere. Die fremde, befremdliche Kunst Brehms lädt in zwei großen Wiener Ausstellungen, begleitet von sinnlich aufbereiteten neuen Publikationen, nun zu neuer Auseinandersetzung ein.

Grobes Korn

Dietmar Brehms Kino ist nicht leicht verwechselbar. Wer je einen Blick auf diese Filme geworfen hat, wird Mühe haben, sie wieder zu vergessen: Die grobkörnigen, pulsierenden Bilder Brehms (er nennt sein System pumping screen), abgefilmt von der Leinwand oder dem Fernsehschirm, sind stetigen Metamorphosen ausgesetzt, werden zu immer neuen Remixes verdreht und erweitert, „umgefilmt“ und umgeschnitten. Brehm mischt Selbstgedrehtes mit gefundenem Material, mit Splittern aus wissenschaftlichen und pornografischen Filmen, aus Amateur- und Urlaubsfilmen. Woher die Bilder stammen, die er bearbeitet, weiß er oft selbst nicht: Je anonymer (und also „zeitloser“) sie sind, umso eher fügen sie sich der Entrücktheit seines Kinos.

Brehm geht vom Konkreten aus, vom Fleisch verfilmter Körper, von Gesichtern, Räumen und Objekten. Aber er macht vieles daran auch wieder unkenntlich, unscharf, assoziativ, indem er Bilder von Schauspielern in irritierende Einzelheiten und extreme Nahaufnahmen auflöst, in flimmerndes Licht verwandelt, in pochende visuelle Rhythmen übersetzt. Vieles von dem, was man in diesen Filmen zu erkennen glaubt, ist auf die entfesselte eigene Fantasie eher zurückzuführen als auf das Tatsächliche, das man vor Augen hat: imaginäres Kino, „Vorstellungsfilme“. Sich lustvoll im Detail zu verlieren, ist bei Brehm eine idée fixe: „Wenn etwas zu deutlich wird“, sagt er, „dann wird es erklärbar.“

Der Weg, den er sich selbst vorzeichnet, führt ihn zurück zur größtmöglichen Einfachheit. Zum Schwarzfilm beispielsweise oder auch: zum stummen Kino. Er filme sich, mehr und mehr, „an den Anfang der Filmgeschichte“ zurück, sagt Brehm. Früher war das anders: Da habe er es durchaus auch genossen, „Bilderschübe gegen den Betrachter loszulassen“. Der Wille zur Verstörung ist geblieben. „Bedienen“ will er niemanden, lieber fordert er heraus. Eine seiner Maximen lautet: „Störung durch Film“. Es gehe ihm etwa auch darum, „die Zeitabläufe zu stören“, was in jedem Kino, wie er nicht ohne Befriedigung festhält, „sofort Zähneknirschen“ hervorrufe.

Hieroglyphisch

Die Oberflächen in seinen Gemälden, seinen Zeichnungen und seinen Filmen täuschen ganz grundsätzlich. Schon die Titel, die seine Werke tragen, trügen: „Racine“, ein dreiteiliger neuer Film, verdankt seinen Titel keineswegs der französischen Literaturgeschichte, sondern der Aufschrift jenes Klebebandes, mit dem Brehm die Filmteile zusammengefügt hat.

In seiner Malerei wechselt Brehm zu großer Klarheit über, zu einer Simplizität, die nur auf den ersten Blick mehr zu erklären scheint als sein „wilderes“ Kino. Das Geheimnis hat nur seine Gestalt verändert. Brehms Gemälde sind emblematisch, hieroglyphisch, sie zeigen die Umrisse unbekannter oder entstellter Dinge, bedienen sich dabei einer Art geheimer Symbolik, einer Sprache, die niemand spricht. „Insgeheim“, sagt er noch, betrachte er alle seine Bilder „ausschließlich nach dem dekorativen Gefallen“: Ein Cézanne-Bild könne „gleich schön dekorativ wirken wie eine x-beliebige Toilettenzeichnung“.

In Sachen Produktivität schlägt Brehm, im Film und in der Malerei, die meisten seiner Zeitgenossen problemlos aus dem Feld: Weit über hundert Filme hat er seit 1974 hergestellt (in Wirklichkeit aber, meint er, nur einen einzigen, allerdings überlangen Film). Nicht weniger als siebzehn Premieren, zumeist sehr kurze Arbeiten, sind nun, neben Hauptwerken wie dem sechsteiligen Filmzyklus „Schwarzer Garten“ oder der „Perfekt“-Trilogie, im Filmmuseum zu besichtigen. Man muss sich übrigens nicht wundern, wenn man unter den Filmen der Werkschau nun auch einen findet, der mit 2003 datiert ist: Da habe er, meint er gar nicht besonders ironisch, eben „ein bisschen schneller gearbeitet, als die Zeit vergeht“.

Autor: Stefan Grissemann


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