Der
Linzer Dietmar Brehm, ein großer Unberechenbarer zwischen
Underground-Kino und bildender Kunst, blickt auf sein stetig
wucherndes Werk.
Die „permanente Motorik“, die er zum
Arbeiten dringend benötige, bietet ihm die Musik, mit der er sich
daheim, in der Linzer Mozartstraße, unaufhörlich beschallt. Was er
mag: Iggy Pop, Velvet Underground, Roy Orbison. Mozart dagegen, sagt
er, „würgt mich eher“. Dietmar Brehm, 55, lässt sich vom Rock ’n’
Roll vorantreiben, aber was er an Filmen, Fotos und Gemälden
herstellt, lässt diese Quelle so wenig ahnen wie irgendeine andere.
Die fremde, befremdliche Kunst Brehms lädt in zwei großen Wiener
Ausstellungen, begleitet von sinnlich aufbereiteten neuen
Publikationen, nun zu neuer Auseinandersetzung ein.
Grobes Korn
Dietmar Brehms Kino ist nicht
leicht verwechselbar. Wer je einen Blick auf diese Filme geworfen
hat, wird Mühe haben, sie wieder zu vergessen: Die grobkörnigen,
pulsierenden Bilder Brehms (er nennt sein System pumping screen),
abgefilmt von der Leinwand oder dem Fernsehschirm, sind stetigen
Metamorphosen ausgesetzt, werden zu immer neuen Remixes verdreht und
erweitert, „umgefilmt“ und umgeschnitten. Brehm mischt
Selbstgedrehtes mit gefundenem Material, mit Splittern aus
wissenschaftlichen und pornografischen Filmen, aus Amateur- und
Urlaubsfilmen. Woher die Bilder stammen, die er bearbeitet, weiß er
oft selbst nicht: Je anonymer (und also „zeitloser“) sie sind, umso
eher fügen sie sich der Entrücktheit seines Kinos.
Brehm
geht vom Konkreten aus, vom Fleisch verfilmter Körper, von
Gesichtern, Räumen und Objekten. Aber er macht vieles daran auch
wieder unkenntlich, unscharf, assoziativ, indem er Bilder von
Schauspielern in irritierende Einzelheiten und extreme Nahaufnahmen
auflöst, in flimmerndes Licht verwandelt, in pochende visuelle
Rhythmen übersetzt. Vieles von dem, was man in diesen Filmen zu
erkennen glaubt, ist auf die entfesselte eigene Fantasie eher
zurückzuführen als auf das Tatsächliche, das man vor Augen hat:
imaginäres Kino, „Vorstellungsfilme“. Sich lustvoll im Detail zu
verlieren, ist bei Brehm eine idée fixe: „Wenn etwas zu deutlich
wird“, sagt er, „dann wird es erklärbar.“
Der Weg, den er
sich selbst vorzeichnet, führt ihn zurück zur größtmöglichen
Einfachheit. Zum Schwarzfilm beispielsweise oder auch: zum stummen
Kino. Er filme sich, mehr und mehr, „an den Anfang der
Filmgeschichte“ zurück, sagt Brehm. Früher war das anders: Da habe
er es durchaus auch genossen, „Bilderschübe gegen den Betrachter
loszulassen“. Der Wille zur Verstörung ist geblieben. „Bedienen“
will er niemanden, lieber fordert er heraus. Eine seiner Maximen
lautet: „Störung durch Film“. Es gehe ihm etwa auch darum, „die
Zeitabläufe zu stören“, was in jedem Kino, wie er nicht ohne
Befriedigung festhält, „sofort Zähneknirschen“ hervorrufe.
Hieroglyphisch
Die
Oberflächen in seinen Gemälden, seinen Zeichnungen und seinen Filmen
täuschen ganz grundsätzlich. Schon die Titel, die seine Werke
tragen, trügen: „Racine“, ein dreiteiliger neuer Film, verdankt
seinen Titel keineswegs der französischen Literaturgeschichte,
sondern der Aufschrift jenes Klebebandes, mit dem Brehm die
Filmteile zusammengefügt hat.
In seiner Malerei wechselt
Brehm zu großer Klarheit über, zu einer Simplizität, die nur auf den
ersten Blick mehr zu erklären scheint als sein „wilderes“ Kino. Das
Geheimnis hat nur seine Gestalt verändert. Brehms Gemälde sind
emblematisch, hieroglyphisch, sie zeigen die Umrisse unbekannter
oder entstellter Dinge, bedienen sich dabei einer Art geheimer
Symbolik, einer Sprache, die niemand spricht. „Insgeheim“, sagt er
noch, betrachte er alle seine Bilder „ausschließlich nach dem
dekorativen Gefallen“: Ein Cézanne-Bild könne „gleich schön
dekorativ wirken wie eine x-beliebige Toilettenzeichnung“.
In
Sachen Produktivität schlägt Brehm, im Film und in der Malerei, die
meisten seiner Zeitgenossen problemlos aus dem Feld: Weit über
hundert Filme hat er seit 1974 hergestellt (in Wirklichkeit aber,
meint er, nur einen einzigen, allerdings überlangen Film). Nicht
weniger als siebzehn Premieren, zumeist sehr kurze Arbeiten, sind
nun, neben Hauptwerken wie dem sechsteiligen Filmzyklus „Schwarzer
Garten“ oder der „Perfekt“-Trilogie, im Filmmuseum zu besichtigen.
Man muss sich übrigens nicht wundern, wenn man unter den Filmen der
Werkschau nun auch einen findet, der mit 2003 datiert ist: Da habe
er, meint er gar nicht besonders ironisch, eben „ein bisschen
schneller gearbeitet, als die Zeit vergeht“.