Museum zum Ruhme der Tatenlosigkeit

Jean Osinski ist zum Nichtstun verdammt. Und wir sollen ihm dabei zusehen.


"Für Jean Osinski wird nichts getan, also tut Jean Osinski auch nichts." Das ist das Motto eines eigenwilligen Gesamtkunstwerkes im lothringischen Städtchen Forbach. Jean Osinski ist 27 Jahre alt und arbeitslos. Er wird bis Ende Oktober dafür bezahlt, vier Stunden pro Tag sein regungsloses Gesicht zu zeigen.

Der Modell-Arbeitslose wird in seiner Wohnung in Forbach zur Besichtigung freigegeben. Interessenten können ihn aber zeitweise auch über eine Livekamera im Internet betrachten, in "real verlorener Zeit", wie die Ausstellungsmacher erklären.

"Abenteuer Arbeit"

Die Inszenierung des Jean Osinski wurde von Regisseur Jean-Michel Bruyere ersonnen. Von der Leitung der Austellung "Abenteuer Arbeit" im benachbarten Grande Roselle erhielt er den Auftrag, am Rande der Schau etwas Originelles zu inszenieren. Bei seinen Recherchen in dem vom industriellen Niedergang gekennzeichneten lothringischen Revier lernte er zufällig auch den Arbeitslosen Osinski kennen.

Alarmiert von den Schamgefühlen vieler Erwerbsloser und ihrem mangelnden Selbstvertrauen entschloss sich der Regisseur, den Arbeitslosen Osinski selbst zum zentralen Ausstellungsobjekt zu machen.

"Inter-Inaktivität"

Für Bruyere ist seine Inszenierung ein Beispiel für "Inter-Inaktivität". Er will darauf aufmerksam machen, wie Industriezentren kalt rechnend verlegt oder aufgelöst werden, ohne dass sich jemand um das Schicksal der Zurückgelassenen kümmert.

Forbach war einst ein Zentrum der französischen Montanindustrie, aber 1997 wurde der Steinkohlebergbau hier eingestellt. Aus den alten Bergwerken wurde eine Industriebrache, die Arbeitslosigkeit schnellte hoch und liegt trotz inzwischen wieder sinkender Tendenz noch immer über dem regionalen Durchschnitt.

Museum der Tatenlosigkeit

Osinkis Wohnung in Forbach wurde für die Kunst-Aktion in ein Museum umgestaltet, zum "Ruhme der Tatenlosigkeit", wie Bruyere erklärt. Das Museum ist vier Stunden täglich zu besichtigen. Zunächst muss der Besucher sich in einem Warteraum gegenüber der Wohnung in der Forbacher Rue Nationale einstimmen lassen. Ein Assistent mit teilnahmslos-deprimierten Gesicht fordert den Besucher in diesem früheren Laden mit großer Fensterfront dazu auf, sich in das Bild des bewegungslosen Arbeitslosen zu vertiefen.

Anschließend werden die Besucher in die Wohnung auf der anderen Straßenseite vorgelassen, die im dritten Stock liegt. Handys müssen ausgeschaltet sein, kein Lärm darf Osinski in seiner Tatenlosigkeit stören. Die Inneneinrichtung ist spärlich: in der Ecke steht ein Fahrrad, es gibt einige Platten, die Gesamtausgabe der Comicserie Tintin, einige kitischige Poster und viel Altglas. Osinski sitzt regungslos auf einem Stuhl und starrt die Internetkamera an.

"Verlorene Zeit"

Die Einwohner Forbachs wissen nicht genau, was sie von dem Gesamtkunstwerk halten sollen. Ein Nachbar des Museums findet, das Konzept der Inter-Inaktivität passe gut zu dieser Region, die nach dem Niedergang ihrer Industrien den Anschluss verloren habe. "Das stört mich nicht", bemerkt der Wirt der benachbarten Kneipe, wo Jean sich nach der Tatenlosigkeit bei einem Bier öfters etwas entspannt. Aber begeistert ist er auch nicht: "Das ist doch alles verlorene Zeit."

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