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23.05.2003 - Ausstellung
"Attack!": Kühle Kunst-Schau über den Krieg
"Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien": In der Kunsthalle Wien nähert man sich einem Thema, das ausgereizt scheint.
VON THOMAS KRAMAR


In the army now": Vier junge Männer, von hinten fotografiert, stehen in einer sandigen, abenteuerlichen Landschaft, in die sie ganz offensichtlich urinieren. Es sind israelische Soldaten, arrangiert von Adi Nes für seine Serie "Soldiers", aber die Anmutung ist die einer wild-romantischen Rockband, der jungen U2 etwa. Der Trupp und die Band: zwei - in ihrer Ästhetik - vergleichbare Männerbünde?

Einige Meter weiter in der Kunsthalle: das Bild eines lässig liegenden Soldaten, der sich einen leichten Verband auf eine offenbar nur milde blutende Wunde drückt und dabei anmutig bis sanft ennuyiert dreinblickt. Ein militärisches Pin-up, homoerotischer Kitsch? Und warum wirkt das eigentlich homoerotisch? Fotografiert hat Collier Schorr, eine New Yorker Jüdin, sie zieht ihren bübischen Objekten auch Uniformen aus dem NS-Deutschland an.

Solche Bilder, die unsere schnell durch den Kopf schießenden Interpretationen der Ästhetik des Krieges jäh irritieren, sind selten in der Ausstellung "Attack!" Das liegt weniger an den Künstlern oder Kuratoren als an uns: Seit dem vorletzten Golfkrieg und erst recht seit dem 11. September 2001 ist über Krieg, über seine Ethik und Ästhetik viel, wenn auch nicht alles gesagt worden. Vor allem die Reden über die "Schlacht der Bilder" (Paul Virilio), über die angebliche Virtualität des postmodernen Krieges sind aus den philosophischen Seminaren in die Leitartikel, ja an die Stammtische gedrungen.

An die Stammtische der so genannten westlichen Welt, wohl gemerkt. Es gibt ja eine sehr triviale Antwort auf die Frage, warum der mediale Aspekt des Themas Krieg hier und heute so wichtig ist: weil wir den Krieg - zum Glück - nur über Medien kennen, und das seit fast 60 Jahren, weil die Narben - und auch die Medaillen - mit ihren Trägern weniger werden. Die angebliche "Medialisierung" des Krieges ist kaum typisch für unsere "Zeiten": Immer haben alle verfügbaren Medien - von Höhlenmalerei über Hieroglyphen bis zum DVD - auch der Darstellung des Krieges gedient, und das Blut ist auch im Bild nicht röter geworden.

Kann Kunst die direkte, grob-sinnliche Erfahrung des Krieges ersetzen? Gar eine Basis für "Nie-wieder-Krieg"-Mahnungen schaffen? Kaum. Der Kitsch der Anti-Kriegs-Kunst verschmilzt allzu oft mit dem der Pro-Kriegs-Kunst. (Weniger mit dem der Kriegskunst: Die kommt nur von Können.) Gabriele Mackert und Thomas Mießgang, Kuratoren der Ausstellung, wissen das. Und ihnen fehlte offenbar die wilde Lust an wilden - und oft absurden - Thesen über den Krieg und die Welt, wie sie die Grazer "Mars"-Schau durchdrungen haben. Die (angeblich) verschwimmenden Übergänge zwischen alltäglicher, "struktureller" und militärischer Gewalt sind in der Kunsthalle kaum Thema. Dass die Kriege selbst im Sinn eines "low-intensity war", der nicht erklärt wird und nicht richtig aufhört, sehr wohl.

Auch auf bereits zum Symbol Avanciertes wird verzichtet, auf die 9/11-Bilder etwa. Sie sind ohnehin in den Köpfen. In Stephen Vitiellos "Winds After Hurricane Floyd" hört man vom World Trade Center aus aufgenommene Geräusche: Man meint, auf die Katastrophe zu warten, die ja kommen muss, nein: gekommen ist. Dieses "Warten auf Krieg" ist auch Thema Nin Brudermanns: Er zeigt rohes Doku-Material aus Bagdad, in dem Explosionen rare Ereignisse sind, die für die Sendung erst zusammengeschnitten werden müssen, wenn das "Kriegswerk" zum "Kriegskunstwerk" verdichtet wird, wie Brudermann sagt. Ähnliches hat sich ja in Zeitungsredaktionen weltweit abgespielt, wenn für die Kriegsberichterstattung nach einem "Logo" gesucht wurde, das Grauen und Attraktion in einem Bild bündeln sollte.

So obszön es klingt: An solchen Bildern hat sich auch die Kunst satt gesehen, sowohl an den wirksam geschnittenen "finished versions" als auch an den verschwommenen, verzitterten, fehlfärbigen Originalen. Sergei Bugaev Afrika projiziert solche auf mit schwarzen Ölflecken besudeltes Kaninchenfell - doch erst der Rand lässt aufsehen: immer wieder das Foto einer jungen Frau. Die ferne Geliebte eines Soldaten? Die nahe des Künstlers?

Ein Geheimnis bleibt auch in einem Video von Dejan Andjelkovic und Jelica Radovanovic: Eine Frau belegt einen Nackten wie zärtlich mit Fetzen, die wie Verbände aussehen. Dann erkennt man sie als Mortadella, und die Hunde kommen . . . Ein grausames Ritual? Das "Ready made" der selben Künstler, in dem Mickey Mouse durch die Kriegs-Szenarien springt, ist schon an der Grenze zum allzu Offensichtlichen. Überschritten wird diese Grenze etwa in Richard Hamiltons "War Games": ein Fernseher, aus dem Blut tropft, das ist "Medienkritik" mit doch etwas grob geschnitztem Rufzeichen.

Ein solches meint man auch über dem die Halle dominierenden "Defilé" von Wang Du schweben zu sehen, Pop-art-mäßig überhöht allerdings: eine Parade, die absolut nicht nach Fernsehen aussieht, sondern nur nach Plastik-Spielzeug. Ganz vorne zielt ein chinesischer David mit der Schleuder in den Raum. Herzig.

Der verniedlichte Krieg, die Schlacht für den Herrgottswinkel, die Waffe als Accessoire: Mit seinen Damen-Handgranaten und Maschinengewehren à la mode gönnt Antonio Riello dem (Aufsatz-)Thema handfeste Ironie. Feiner und böser "Quattro stagioni" der "association apsolutno": In jeweils zwei Details kolorierte Bilder zeigen Dandys, die auf Fahrrädern vor der Kulisse eines Soldatenfriedhofs posieren. Und, als ob das nicht genug an Tändelei wäre: Die Bilder sind in Gobelin gewebt.

Die Bildteppiche mit Kriegs-Motiven aus Afghanistan dagegen kommen nicht aus kokett-naiver Künstlerwerkstatt, sondern aus Flüchtlingslagern, wurden also von Menschen geknüpft, die den Krieg ganz und gar nicht nur aus den Medien kennen.

Dringt durch diese Teppiche "Realität" in die Ausstellung, wird mit ihnen der Krieg irgendwie "erfahrbarer" als mit den Werken der Künstler, die ja durchwegs selbst nie im Krieg standen? Nein. Es wäre naiv, das zu wünschen, und es ist auch nicht wünschenswert. Die intimste Realität des Krieges ist die des Todes, den zu erleben hilft keine Kunst. In Gianni Mottis Fotos "Landscape (Collateral Damage)" steigt Rauch von Einschlägen auf über dem Hügelland, wie träger Frühnebel, der von der Nacht geblieben ist. Hier spürt man eine Ahnung vom Grauen und der schrecklichen Faszination des Krieges. Näher kann die Kunst ihm kaum kommen. Sie ist, wie die ganze Kultur, Verbündete des Eros, erklärte Feindin des Krieges, und Feinden kommt man nicht zu nahe. So zeigt "Attack!", so paradox es klingen mag, distanzierte, kühle Kunst.

Bis 21. September, tägl. 10 bis 19 Uhr.

Attack!
Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien


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