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Freud & Tod: Interessante Spekulationen

19.06.2009 | 18:30 | BARBARA PETSCH (Die Presse)

Liechtenstein- und Freud-Museum befassen sich attraktiv mit „Eros & Thanatos“. Die Galerie Westlicht zeigt eine Fotoschau über das echte Sterben.

Freuds Ambivalenz gegenüber Künstlern war, wie wir wissen, von besonderer Schärfe“, schreibt der US-Kulturhistoriker Peter Gay in seiner Freud-Biografie (Fischer). Wie wir wissen? Freuds Distanz zur Kunst liegt auf der Hand: Er war Arzt, die Psychoanalyse sollte als Naturwissenschaft anerkannt werden, was mit einiger Mühe gelang. Von den mythischen Konstrukten seines Kontrahenten C. G. Jung grenzte Freud sich ab. Schnitzler schrieb er einen Brief, in dem er Scheu vor dem Doppelgänger-Syndrom bekannte und sich leise ärgerte, dass dem Dichter vieles zufliege, was sich der Wissenschaftler mühsam erarbeiten müsse. Klimt? Schiele? Diese beiden enthüllten den im 19. Jahrhundert in seinen Kleidern geradezu eingemauerten Menschen. Freud wiederum erforschte die Verletzungen, die Verdrängungen auslösen.

Die beiden großen Maler hat er nie gekannt – obwohl er selbst Kunstsammler war. Aber er interessierte sich für Antike, Ethnologie, den Ursprung des Seins, der Seele – und auch der Kunst. Das Freud- und das Liechtenstein-Museum machten sich auf, das unbehagliche Thema zu erkunden. Viel ist dabei nicht herausgekommen. Es gibt zwar allerlei Erklärungen, aber weder werden sie Freud noch den Mythen wirklich gerecht. Immerhin kann man in beiden Museen fantastische Bilder sehen, wobei die Ausstellung im Liechtenstein in der prachtvollen Kulisse der Bibliothek Platz findet.

 

Im Hospiz: Fotos von Kranken, Toten

Das Liechtenstein ist nicht nur quasi um die Ecke von Freuds Ordination in der Berggasse, wo heute das Museum ist, es war zu seiner Zeit auch Treffpunkt für Bildungsbürger, speziell sein Garten – wiewohl nicht überliefert ist, ob Freud tatsächlich dort war. Lauter Geheimnisse. Was feststeht: Die Begriffe Liebes- und Todestrieb hat Freud verwendet. Letzterer wurde von vielen Analytikern als Widerspruch zum menschlichen Wesen, das auf Selbsterhaltung gründe, abgelehnt. Es gab heftige Debatten. Für Freud war der Erste Weltkrieg Auslöser für seine Theorie, Konstruktives und Destruktives müssen sich die Waage halten; andernfalls droht (Selbst-)Zerstörung, Krieg. Aggression hielt Freud für unvermeidlich, wie er auch an Einstein schrieb, der von ihm wissen wollte, wie man die Menschen vom Verhängnis Krieg befreien könnte.

Die wunderbaren Bilder, u. a. auch aus der Akademie-Galerie, zeigen etwa die vergewaltigte Lucretia (von Francesco del Cairo), das „Bacchanal mit trunkenem Silen“ von Mantegna, das Massaker an den unschuldigen Kindern aus der Bibel von Hendrick Goltzius oder „Allegorie auf den Krieg“ von Peter Paul Rubens. Schiele bildete ein tanzendes Paar in derart heftiger Umarmung ab, dass man sich fragt, ob nicht auch hier Gewalt im Spiel war. Die Szene könnte aus Schnitzlers „Reigen“ stammen: der Soldat und das Dienstmädchen. So bieten die Bilder allerlei Assoziationen auch ohne große Erklärungen. Die braucht man vollends gar nicht für den echten Tod (Galerie Westlicht): Die Kombination der Fotos von Kranken mit den Fotos der Toten wenige Wochen oder Monate später berührt, schockiert wie ihre Geschichten.

„Nochmal leben“, wie die Ausstellung heißt – das wünschen sich die meisten. Walter Schels und Beate Lakotta haben die Aufnahmen vornehmlich in deutschen Hospizen gemacht. Die Journalistin und der Fotograf, die ein Paar sind, hat das Thema persönlich sehr beschäftigt: Lakotta ist 30 Jahre jünger als Schels. Zur Ausstellung gibt es ein Buch (DVA) und ein Hörbuch (Roof Music).


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