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Kunstberichte

Galerien live

Das tapfere Schweizerlein

Aufzählung (cai) Wie kriegt man sieben Geißlein in einen Uhrkasten? Gar nicht. Sogar die Gebrüder Grimm, die immerhin ein Rotkäppchen und eine Großmutter in einem bösen Wolf verstaut haben, haben bloß ein einziges reingekriegt. (Und die sechs andern derweil in einen Wolfsmagen ausgelagert.) Aber in Wien hat man ja eh grad ein anderes Logistik-Problem: Wie füllt man 18 Galerien mit nur vier Ausstellungen?

Beim Projekt "Curated by" (koordiniert von Departure, Wiens Förderagentur für die Kreativwirtschaft) betreuen fünf Kuratoren vier galerienübergreifende Schauen. Und wenn das tapfere Schneiderlein es schaffen kann, ein pickiges Marmeladebrot genau unter sieben Fliegen zu platzieren, dann ist Gianni Jetzer, ein Schweizer in New York, also das tapfere Schweizerlein, ja wohl in der Lage, ein paar "wesensverwandte" Kunstwerke auf die vier Galerien in der Schleifmühlgasse zu verteilen. Und dem Ganzen einen kernigen Titel zu geben: "Beginnings, Middles, And Ends." ( Ich bin übrigens fähig, einen ganzen Liter Milch in einem Schwamm unterzubringen, ach was: einen kleinen Braunen in einem Zuckerwürfel! Okay, das kann ich doch nicht. Aber ich kann drei Kritiken über vier Galerien schreiben.)

Ums Erzählen geht’s. Ja, die latent narrativen Arbeiten sind angenehm locker verstreut, in der Galerie Kargl hätt’ ich trotzdem gern ein bissl ausgemistet. Diese aufdringlich roten Collagen von Andro Wekua hätt’ ich beinhart abgehängt. Die stören den unscheinbar an die Wand gefuzelten Ultrakurzroman von Louise Lawler massiv: "Once There Was a Little Boy and Everything Turned Out Alright. The End." Es war einmal ein Bub und alles ist gut ausgegangen. Ende. ("Oliver Twist" für Eilige?) Im Keller hab ich dann bloß Augen gehabt für William Stones "leere" Vitrine. Wer die Nase ans Glas presst, sieht die Treppe im Sockel, die den Blick runterzieht. In der Barockzeit wär’ man weniger bescheiden gewesen. Da hätte man ein, zwei Totenschädel gebraucht und drei, vier faule Äpfel.

Georg Kargl Fine Arts
(Schleifmühlgasse 5)
curated by_vienna 09
Bis 13. Juni
Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr Sa.: 11 – 15 Uhr

Edgar Allan Fliegenpopo

Aufzählung (cai)Eine Tür weiter, bei Engolm/Engelhorn, dann die Gewissheit: Gianni Jetzer hat den siebenten Sinn (den für Humor) und schätzt wie ich den lapidaren Witz des Banalen. Und das gepflegte Understatement. An das Wiener Hotel das jetzt einen Seifenspender vermisst: Gabriel Kuri war’s! (Tja, ich besitze das Vernaderer-Gen.) Der hat das Ding abmontiert und zum Kunstwerk erhoben. Wieso lässt er sich das markige Flüssigseifengrün nicht als "Kuri-Grün" patentieren? Wer’s findet, dem gehört’s, oder? Und Kris Martin reduziert Poes Werke auf die Größe von einem Fliegenschiss. Schneidet den jeweils letzten Punkt aus den Texten aus. Klebt ihn schamlos auf ein Blatt. Fast genial dreist, dieses Best of Poe. Nebenan in der Galerie König begegnet man gar der Philosophie höchstpersönlich. Einer Trommel (von Valentin Ruhry) mit Zeitschalter. Täglich um 23.40 Uhr, wenn keiner da ist, wird sie geschlagen. Die alte Frage: Wenn im Wald ein Baum umfällt, fern jeglichen Ohres, macht er dann ein Geräusch?

Engholm Engelhorn Galerie & Galerie König
(Schleifmühlgasse 1 – 3)

Endstation Kloster

Aufzählung (cai) So endet es also. Das leichte Mädchen Kunst geht ins Kloster. (Quasi.) Und entsagt aller Eitelkeit. Wenn Gedi Sibony Teppichrestln oder Karton mit brutalem Charme (und wildes Hantieren mit braunem Klebeband ist eine Kulturleistung!) als Kunst präsentiert, fühlt man sich vielleicht verpopot. Doch der ruhige Dialog dieser fast feierlich verteilten Billigästhetik mit den Minimalgrafiken, die Matthew Higgs einfach aus Büchern herauslöst, macht aus der Galerie einen Ort von kathartischer Klarheit. Ein in seiner Kompromisslosigkeit überwältigendes Raumerlebnis. Installation gelungen, Kunst tot? Höchstens scheintot.

Gabriele Senn Galerie
(Schleifmühlgasse 1)

Printausgabe vom Mittwoch, 13. Mai 2009

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