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Architektur: Opernhaus aus Froschlaich

17.10.2008 | 18:52 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Toyo Ito lobte höflich „beautiful Vienna“, wo er am Donnerstag den Kiesler-Preis bekam und eine heitere Lecture hielt.

Die Japanisch-Englisch-Dolmetscherin konnte es selbst fast nicht glauben und kicherte. Aber Toyo Ito meinte, was er sagte – Froschlaich hatte ihn zu den unglaublichen biomorphen Strukturen seines gerade in der Endplanung befindlichen Taichung-Opernhauses (Taiwan) inspiriert. Ein Video durchdringt die von Blasen durchsetzte Baumasse, lässt sie optisch fast blubbern, ein scheinbar unendliches Netzwerk. Dias vermitteln den Eindruck eines sich geschoßweise zu weitläufigen höhlenartigen Anlagen öffnenden Komplexes, eines selbst in Schwingung geratenen Zuschauerraums.

Bilder aus der Natur, kontinuierlicher Raum und Innovation, diesen Schlagwörtern hat sich der 1941 im heutigen Seoul geborene Architekt seit den 90er-Jahren verschrieben. Und tatsächlich, er denkt und baut überraschend anders, als es heute durchschnittlich für möglich gehalten wird. Das vermochte der frisch gebackene Kiesler-Preis-Träger Donnerstagabend in der berstend gefüllten Audimax-Arena der TU auf zurückhaltend-charmante Weise eindrücklich zu vermitteln.

„Generative Orders“, sich fortpflanzende Ordnungen, nannte Ito seinen Vortrag, der erste in der hiermit eingeleiteten Reihe der Kiesler-Lectures. Es hätte keinen besseren Eröffnungsredner, keinen besseren Kiesler-Preis-Träger geben können. Wie der 1965 in New York verstorbene austro-amerikanische Visionär verfolgt Ito einen Weg abseits der streng geometrischen Raster der klassischen Moderne, sucht eine Umgebung für den Menschen zu finden, die sich ihm anpasst, nicht Umgekehrtes fordert. Ganzheitlich nannte das Kiesler, mit der Natur verbunden, nennt es Ito. Da haben rechte Winkel oder gerade, der x- oder y-Achse folgende Mauern wenig Meter. Zeitgenössische Architektur, so forderte Ito nach der Präsentation seiner Werke, müsse einer generativen Ordnung folgen, die „unstable, diverse, relative, compilcated or dynamic“ sein sollte. Doch wie sind diese Forderungen umzusetzen? Die Antwort sieht Ito im biologischen Organismus, der sich verwandelt, mit den Anforderungen entwickelt, fließend ist.

 

Stützen, wie im Wasser tanzend

„Fluid Order“ heißt auch die Ausstellung, die dem Preisträger von der Kiesler Stiftung in den eigenen bescheidenen Räumen ausgerichtet wird: Hier können die bei Ito immer am Beginn stehenden Skizzen seiner wichtigsten Gebäude studiert werden, auch die auf einem Flughafen entstandene für Itos wohl einflussreichsten, programmatischen Bau: die Sendai-Mediathek, deren sieben Geschoße von keinen strammen Pfeilern gehalten werden, wie durch die gläserne Außenhaut zu sehen, sondern durch schlauchartige Stützen, die sich drehend unterschiedlich schräg emporsteigen und Ito an „im Wasser tanzende Pflanzen“ erinnerten.

An Kieslers konzeptgebliebenes „Endless House“ (1959) erinnerte wiederum Itos für seine Schwester entworfenes Frühwerk „White U“ (1976), das Kieslers Idee endlos fließender Raumübergänge zu einer einzigen, eine Biegung umlaufenden Raumflucht macht. Damit begann Itos Kiesler-Lecture, die der Perfektionist auf Japanisch hielt. Wobei sein Englisch wohl doch – das zeigten ein paar kleine, komische Ergänzungen des Architekten an der zeitgleichen Übersetzung – für mehr gereicht hätte als zur Begrüßung das „beautiful Vienna“ zu loben, das von Architektur in Kieslers oder Itos Sinne völlig leer ist. Doch für kritische Töne in diese Richtung schien der Japaner zu höflich. Trotzdem, oder gerade deswegen – tosender Applaus.


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