Mit Kunst in den Himmel aufsteigen

30. September 2009 | 12:05 | | Gudrun Weinzierl
Ein Rundgang von Kunstwerk zu Kunstwerk und von Mönchsberg zu Mönchsberg.
Gudrun Weinzierl
Sind Sie je der Einladung Marina Abramovics gefolgt, auf einem Stuhl ihres Werks “Spirit of Mozart“ Platz zu nehmen? Haben Sie gezählt, wie viele Zahlen der Fibonacci-Reihe Mario Merz in der Skulptur “Ziffern im Wald“ leuchten lässt? Sind Sie mit James Turrell in den Nachthimmel aufgestiegen?

Die Uhr tickt, Zeit verrinnt, der Todesengel in der Installation Christian Boltanskis in der Krypta des Doms erscheint als Schatten unserer Vergänglichkeit. Boltanski führt mit “Vanitas“ eine moderne Aktualisierung dieses großen Themas vor und jagt uns – noch Lebensfrohe – hinaus, die sieben anderen Stationen des Skulpturenparks der Salzburg Foundation zu erkunden.

10946 – diese Zahl, deutlich sichtbar, und dennoch versteckt, ist in der Stadt Salzburg anzutreffen. Sie ist die 21. Zahl der Fibonacci Reihe, die als “Ziffern im Wald“ auf dem Mönchsberg einen intimen Standort einnehmen. Der von Mario Merz geschaffene Iglu, sieben Meter hoch, ist ein halbkugelförmiger Körper aus Edelstahlrohren, geschmückt mit nächtlich leuchtenden Neonziffern. Jede Zahl ist die Summe der beiden vorangegangenen, beginnend bei 1–1–2–3– 5–8–13 usw., Fibonacci erkannte darin ein Maß für die Geschwindigkeit sich fortpflanzender Kräfte. Mario Merz (gestorben 2003) sah darin ein Symbol für Unendlichkeit und Prinzipien der Ratio, der Schwerkraft, der Ästhetik und der Emotion.

Rund 70 Meter unterhalb des Iglus, am Fuß der Mönchsbergwand, steht seit 2005 auf dem Ursulinenplatz die von Markus Lüpertz geformte “Hommage an Mozart“. Das kulturelle Gedächtnis der Stadt, wie Mozart auszusehen habe, ist tief verankert. So regt die Fassung des Deutschen immer wieder auf. Erdgebunden, fleischlich, chaotisch aufgelöst ist das ramponierte und amputierte Komponistengenie nicht nur ein Bild der Vergänglichkeit, sondern Symbol für die Aneignung eines Menschen durch die Öffentlichkeit und die Teilhabe an dessen “unsterblichen“ Erfolg.

Dem Geist Mozarts nachzuspüren, ist auch das Konzept der Künstlerin Marina Abramovic. Wenn bei Lüpertz die skulpturale Ausformung eines menschlichen Körpers auf fortwährende Ausbeutung verweist, so wird man im “Sesselkreis“ von Abramovic ruhig: “Setze dich auf den Stuhl, schließe deine Augen, kehre in dich, verliere die Zeit“, fordert die Künstlerin auf, den “Spirit of Mozart“ zu suchen und selbst Teil einer “interaktiven Skulptur“ zu werden. Mozarts fünfzehn Meter hoher Stuhl steht in der Mitte. Er hat keine Sitzfläche, wer unter ihm steht, sieht den Himmel.

Aus der überragenden, luftigen Höhe von Mozarts “Ansitz“ holt uns der Brite Tony Cragg herab. Schützend, bergend, einer bronzenen Höhle gleich erhebt sich seine “Caldera“, ein “vulkanischer Kraterkessel“ sechs Tonnen schwer und fünf Meter hoch auf dem Makartplatz. Cragg entführt Geist und Sinne des Betrachters auf eine Materialreise; Bildhauerei ist für ihn eine Befragung der Welt und all ihrer Materialien.

Beliebtes Fotomotiv und ein Kunstwerk, das darstellt, in welcher Position das “Über-Tier“ Mensch sich gern befände, ist Stephan Balkenhols “Sphaera“ auf dem Kapitelplatz. Wie einst die Herren des Fürsterzbistums hat sich Balkenhols Mensch die Erde untertan gemacht. Er steht auf der Kugel im Bewusstsein, dass ihn der Reichtum trägt. Nicht alles in Salzburg ist “Mozartkugel“ – wie der goldene Ball manchmal gedeutet wird. Wer dennoch ans süße Konfekt denkt, darf weitergrübeln: Welcher Reiche ist dieser emotionslose Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose?

Das meistdiskutierte Kunstwerk ist Anselm Kiefers Haus “A.E.I.O.U.“, das 2002 als erstes der zehn projektierten Werke geschaffen wurde. Der seit 2008 prominent gegenüber dem Haus für Mozart platzierte Kubus beinhaltet Kiefers Bild “Wach im Zigeunerlager“, das eine Strophe aus Ingeborg Bachmanns Gedicht “Das Spiel ist aus“ zitiert. Ihm gegenüber steht ein Bücherregal mit sechzig Bleibüchern. In den Büchern lasten Geschichte und Mythologie, Vernichtung, Auslöschung und der Deckel der Zeit. Zwischen den Büchern wuchern Dornenbüsche hervor.

Erst in der Dämmerung wird es im Inneren von James Turrells “Skyspace“ interessant. Turrell mag es gern, wenn die Wege zu seinen Lichtinstallationen lang sind: So kehrt man zurück zum Ausgangspunkt; dem Mönchsberg. Der gläserne Einlass in den ovalen steinernen Turm wird eine Viertelstunde vor Dämmerung (derzeit um 18.45 Uhr) geöffnet, der Raum bleibt eineinhalb Stunden zugänglich. Hier drinnen unter der “Linse des Himmelsausschnitts“ wird das Auge des Betrachters durch ein Zusammenspiel von Licht und Naturereignis getäuscht. Turrell experimentiert seit den Sechzigerjahren mit Erfahrungen von natürlichem wie künstlichem Licht, Raum, Sehgewohnheiten und psychologischer Wahrnehmung, die teils das Zeitempfinden verändern. Im “Skyspace“ stellt der Besucher seine Beziehung zum Orbit her, begeistert sich am Blau des Himmels, den Sternen, dem Wetter, dem Licht.

Führungen zu den Kunstwerken des “Walk of Modern Art“: jeden ersten Samstag im Monat, 10 Uhr, Treffpunkt beim Kiefer-Haus, 10 Euro pro Person. Voranmeldung: Anita Thanhofer, Telefon: 0650/2753550,
E-Mail: [Mailto:anita.thanhofer@utanet.at anita.thanhofer@utanet.at].
Buch: Salzburg Foundation (Hrsg.), “Kunstprojekt Salzburg – Moderne Kunst auf alten Plätzen“, Chr. Brandstätter Verlag, 48 S., Wien 2008.

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