Biennale Venedig, Arsenale: "Immer ein Stück weiter"
Vom UFO zum Rosengärtchen
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Auffallen ist alles: Nilpferd von Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla aus Puerto Rico. APA
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Von Krista Hauser
Möchten Sie sich einmal in einem schillernden UFO einer Farb- und
Lichttherapie unterziehen und anschließend – trotz Lärm ringsum – in
einem Ying-Yang-Gärtchen vor Rosen, Steinen und einsamen Goldfischen
meditieren? Oder an einer uralten "Olivetti" Ihr Schreibtalent
erproben, wobei am weißen Blatt statt Wörtern nur Pünktchen erscheinen?
Nehmen Sie es der brasilianischen Künstlerin Rivane Neuenschwander
nicht übel. Sie möchte mit dieser Aktion auf die Schwierigkeiten der
Kommunikation hinweisen. In der großen Schau im Arsenale, die von der
Spanierin Rosa Martínez kuratiert wurde, ist fast alles möglich, was
junge Individualisten Epigonen im globalen Kunstbetrieb ersinnen. Nur
von Malerei, Zeichenstift oder Skulpturen halten sie nichts. Titel der
Ausstellung, die bis Anfang November täglich außer Dienstag zu
besichtigen ist: "Immer ein Stück weiter".
Der Besucher selbst muss sich zum kleinen "Stück weiter" zwingen, alte
Sehgewohnheiten vergessen. Lang ist der Weg durch die Hallen, die heuer
von Nischen und Stellwänden befreit sind. Man zieht an riesigen Videos
vorbei, sucht trotz Großaufnahmen von Menschenmassen vergeblich nach
politischen Statements. Man taucht ein in finstere Räume, findet sich
wieder in gleißendem Licht oder verliert beinahe das Gleichgewicht,
wenn Nikos Navridis mit einer Videoprojektion dem Kunstflanierer den
Boden unter den Füßen wegzieht. Eine perfekte Inszenierung, die von der
gewaltigen Kubatur und der Dramatik von Hell und Dunkel lebt.
Ein bisschen Prateratmosphäre, Erlebnispark. Um sich darin zu
behaupten, brauchen Künstler große, theatralische Gesten. Auffallen ist
wichtig. Sei es mit Riesenobjekten, Installationen, die den Raum
erobern, heftigem Sound oder vermeintlichem Tabubruch. Wer es nicht
tut, ist vielleicht schon nach dieser Biennale wieder vergessen.
Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla aus Puerto Rico ließen sich
ein monströses Nilpferd aus Lehm formen und setzen einen willigen
Zeitungsleser auf dessen Rücken. Der blättert tatsächlich in den
Gazetten, wirft Seite um Seite zu Boden, was Print-Journalisten nicht
eben freut. Vielleicht besser den Job wechseln? Doch die ironischen
sexy Videos der polnischen "Blue Noses" werden es auch nicht bringen.
Sie müssen sogar in Kartonkisten versteckt werden. Wenn Künstlerinnen
schon mit Buchstaben und Wörtern flirten, dann plakativ. Gleich am
Eingang der Ausstellung schlagen Feminismusveteraninnen mit Plakaten
zu: Die "Guerilla Girls" machen wieder einmal darauf aufmerksam, dass
im New Yorker Met.Museum nur drei Prozent aller Künstler Frauen sind.
Von den Nackten, die gezeigt werden, sind es hingegen 83 Prozent! Lesen
kann man diese und ähnliche Statements unter einem monumentalen Luster,
der so recht nach Venedig zu passen scheint. Irrtum: Joana Vasconcelos
hat auf Kristallglas verzichtet, 1.000 Tampons tun es auch.
Eine Künstlerin, die längst ihren Platz in der Kunstgeschichte hat, ist
auch im Arsenale vertreten: Louise Bourgeois mit zwei glänzenden,
verschlungenen Plastiken, die von der Decke schweben und mit einer
Klanginstallation. In einem Kabäuschen kann man sich von sanftem
Flüstern, Wellenrauschen, Frauenstimmen, dezenten Gesängen beruhigen
lassen.
Ein ähnliches, allerdings recht "gefühliges" Erlebnis ermöglicht die
Schweizerin Pippilotti Rist. In der Kirche San Stae, erreichbar nach
einer Bootsfahrt durch den Canal Grande, hat sie ein kuscheliges
Ambiente geschaffen. Man liegt am Boden, schaut nach oben in ein
Frauenparadies: Landschaft, Sterne, nackte Evas. Rists Video, das sie
an die Decke projeziert, suggeriert Sehnsucht nach dem vermeintlichen
Paradies.
An anderen, in der Stadt verstreuten Kunstplätzen, wo sich neue
Biennale-Teilnehmer eingemietet oder auch nur eingenistet haben,
bleiben Träume ausgespart. Ukrainische Künstler zeigen verblichene
Fotos von Kindern. Daneben ein Video vom Aufstand der Jungen. Iraner
lassen vier Zöpfe mit bunten Bändern baumeln, die durch einen
Betonwürfel gezogen werden: Zeichen für den Druck, dem Künstler
ausgesetzt sind. Dass nicht nur sie, sondern auch Künstler aus
Kirgisien, Kasachstan und Afghanistan nach Venedig reisen konnten,
rückt Maßstäbe des Kulturbetriebes zurecht, läßt Small Talk, Gejammer
über schlechte Preise und den traditionellen Auftrieb der Schickeria
vergessen.
Samstag, 18. Juni 2005