07.09.2001 14:42:00 MEZ
Pipeline zur Grenze
"Ich denke die Leitfigur auf dem heurigen Ars Prospekt ist mit Recht eine Frau" - Festival-Direktor Gerfried Stocker im derStandard.at-Interview

"Takeover" lautet das Leitmotiv der diesjährigen Ars Electronica. Festivalleiter Gerfried Stocker über analoge und digitale Kunst, die Wirtschaft als Kunstförderer und "Female Takeover" im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Wie stehen Sie zu dem oft geäußerten Vorwurf "die Ars Electronica verliere durch ihren Flirt mit mit der Medien-und Unterhaltungsindustrie an Seriösität"?

Gerfried Stocker: Der Vorwurf wird eigentlich nicht of geäußert sondern von wenigen heftig behauptet. Die Präsenz des internationalen Publikums unter dem sich namhafte Kunstkuratoren großer internationaler Museen genauso befinden wie viele Professoren und Künstler zeigt jedes Jahr eindrucksvoll, dass es nicht so ist.

derStandard.at: Auch der Vorwurf "die Ars ist kein Kunstfestival sondern eine Messe" ist nicht neu und wurde heuer auch wieder zb: von Herrn Weibel erhoben. Als was sehen Sie die Ars? - Was ist so schlecht an dem Begriff Messe?

Gerfried Stocker: Was daran schlecht ist, ist die Absicht mit der er verwendet wurde. Man versucht eine Unterstellung hier würde es um kommerzielle Interessen gehen. An sich denke ich dass ein Festival gerade im Zeitalter der Omnipräsenten Internetzugänge gerade ein Umschlagplatz sein muss. Ein Forum für Ideen und eine Plattform auf der verschiedenen Communites sich treffen und austauschen können. Es geht um Pipelines zwischen diesen Communities, das ist ein Grund wieso die Ars Electronica so wichtig ist.

In den 80ern war die Pipeline zwischen Kunst und Wissenschaft sehr wichtig. Heute kommt diese sich neu formierende Bereich der Design- und Gamedeveloper hinzu. Ein Bereich der sich ganz anders darstellt als noch vor wenigen Jahren als er wirklich nur von Agenturen und Corporations getragen wurde. In diesem Bereich sind enorm viele vor allem junge Leute die mit den Zugangsritualen zur "Kunst" nichts anfangen können. Wir wollen zu diesen Leuten Kontakt herstellen.

derStandard.at: Wie stehen sie zu der Analyse (Telepolis - Magazin der Netzkultur), das Publikum für analoge künstlerische Bilder vergreise und sterbe langsam aus, traditionelle Kunstformen veralten und wecken kein Interesse mehr bei der Jugend , die "nur" unterhalten werden will?

Gerfried Stocker: Das erste stimmt, gerade deswegen, weil die Jugend nicht nur unterhalten "werden" will sondern längst gewohnt ist nicht nur passiv zu konsumieren, der Kunstbetrieb sollte das endlich kapieren.

derStandard.at: Sie schrieben über das "Takeover"  - "die Aufgabe der KünstlerInnen von morgen ist die eines Intermediators, eines Katalysators zwischen verschiedenen Wissensbereichen, Denk-und Gesellschaftsmodellen, Lösungsstrategien." - Wie soll das konkret aussehen?

Gerfried Stocker: So wie bei der Ars Electronica gezeigt, Künstler die neue Technologien aufgreifen und in ihrem eigenen Sinn verwenden, dabei die (gesellschaftspolitischen, machtpolititschen etc.) Strukturen die dahinter liegen sichtbar machen, und Gegenmodelle anbieten. Künstler sind erfahrungsgemäß Meister des Grenzgangs (Stichwort Interdisziplinarität) dadurch können sie in Bereichen die nichts mit Kunst zu tun haben (z.B. Biotechnologie) arbeiten um dort Ideen und Denkmodelle zu entwickeln, die im ökonomischen Druck der Forschung, im zweckorientierten Denken der Wissenschaftler nicht möglich wären. Und sie tragen sie nach außen, perforieren die Oberflächen (Zum Beispiel die SymbioticA Gruppe die heuer bei der Ars vertreten war).

derStandard.at: Ist für Sie analoge Kunst a priori selbstreferentielle Kunst - bzw: glauben Sie dass nur digitale Kunst interdisziplinäre Prozesse bewirken kann?

Gerfried Stocker: Nein, das ist keine Frage von digital oder analog, weder für das Problem der Nabelschau der Kunst noch für die Transdiziplinarität, es ist eher eine Frage dessen ob man sich mit der aktuellen Relevanz von Medien für die Ausformung gesellschaftlicher Strukturen auseinandersetzt. Dazu braucht es nicht digitale Bildschirme, das haben u.a. die Volxtheater Leute bewiesen aber genauso die Arbeiten von Toscani.

derStandard.at: Wenn Sie sagen "Die Kunst von morgen wird gemacht von den Engeneers of Experience" - Verschwimmen da nicht etwas die Grenzen zwischen Kunst und Kreativität in der Wirtschaft? Wie /wo unterscheiden Sie zwischen Technologien und Designs für die Wirtschaft und der Nutzung von Technologie und Design für Kunst?

Gerfried Stocker: Die Grenzen verschwimmen nicht weil ich das sage, sondern umgekehrt. Wir stellen es fest und zeigen Evidenzen dafür. Das bloße festhalten an alten Unterschiedungskriterien bringt uns nicht weiter. Der Unterschied steht in der Absicht mit der ich eine Arbeit, in der Form in der eine Arbeit zu Anwendung kommt. Außerdem geht es ja nicht nur um die Nutzung für die Kunst vielleicht müssen wir vielmehr von diesen Medien und Technologien als Kunst sprechen. Wenn eine "Technologie" wie Film Kunst sein kann weil sie auch eine "Technologie des Vermittelns" ist dann kann das mit Game-Engines ja vielleicht auch gemacht werden. (Auch wenn ja ganz gleich wie im Film der absolute Grossteil der Produktion nur industrieller Kommerz ist.)

derStandard.at: Zur wirschaftlichen Förderung von Kunst: Diese ist ja im Gegensatz zu staatlichen Förderungen viel zweck-und nutzenorientierter.  Birgt das nicht eine neue Gefahr der Abhängigkeit und Kreativitätseinschränkung (mehr oder weniger Auftragsarbeiten) der KünstlerInnen? Die Kunst als Teil der New Economy?

Gerfried Stocker: Das die staatliche Kunstförderung so wenig Zweck- und Nutzenorientiert ist wollen wir für die Zukunft auch weiter hoffen. Wenn der Kunstmarkt (inkl. öffentlicher Förderungen) nicht in der Lage ist mehr als wenige Prozente der KünstlerInnen eine wirtschaftliche Basis zu geben wird der Bereich der new-economy in dem zumindest das Handwerk der KünstlerInnen sehr gefragt ist eine starke Rolle einnehmen.

Ob es jetzt viel schlimmer ist für die Entwicklung eines Künstlers wenn er/sie nicht als Kellner jobbt oder ob er/sie für eine Company Games entwickelt sei dahin gestellt.

derStandard.at: "Female Takeover" war ein Schlagwort der diesjährige Ars, das zwar oft zu lesen, aber kaum wahrzunehmen war. Ein kleines Rahmenprogramm, verborgen in der Kunst-Uni. Bei den Nominierungen und der Preisverleihung kamen Frauen kaum/nicht vor?

Gerfried Stocker: Zum einen: "verborgen" in der Kunstuni... Das entsprach dem Wunsch der Frauen die diese Programme veranstaltet haben. Teilweise war es sogar ganz gezielt auf einen kleinen Interesentinnen Kreis abgestimmt.

Zum anderen auch ich bin etwas überrascht gewesen, dass es heuer weniger Projekte von Frauen beim Prix gegeben hat, nachdem wir gerade im letzten Jahr sehr starke Präsenz dort gesehen haben. (Rania Ho, Naoko Tosa, Orit Kruglanski, Tomoko Ueyama - alle in der Prix Ausstellung und dann noch die zwei jungen Mädchen aus der u19) Heuer sind leider nur zwei Projekte von Frauen (Brainbar und Keiko Takahashi mit Rakugaki).

derStandard.at: Wie sieht es also mit dem "Female Takeover" in der Realität aus? Wo sind die Frauen in der Medienkunst oder in den Entwicklungsstätten? Auch die Staff vom aec hat ja im techn. Bereich kaum Frauen. Woran liegt es - wohin geht die Entwicklung?

Gerfried Stocker: Zahlenmäßig sind auch im technischen-künstlerischen Staff Frauen in der Minderheit, aber sie sind da, auch als Programmiererinnen, und auch z.B. bei der Telesymphonie, (dem Handykonzert) war es ja so, dass zwar die Musiker Männer sind, aber eine Frau, Yasmin Sohrawardy, die ganze Software dafür entwickelt hat.

Ich denke das aber heuer auch durch Projekte wie "Meatspace" von der Stadtwerkstatt für das ebenfalls Frauen verantwortlich zeichen (Gabi Kepplinger, Brigitte Vasicek, Elfi Sonnleitner) oder "S.exe" von Christina Goestl zu sehen ist, dass sich Künstlerinnen sehr wohl in diesem Bereich betätigen.

Ich denke die Leitfigur auf dem heurigen Ars Prospekt ist mit Recht eine Frau.

(von Pia Feichtenschlager und Birgit Tombor)


Quelle: © derStandard.at