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Kunsthalle Wien: Verliebt in die Mauer

07.10.2009 | 18:41 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Reiben am Epochenbruch: „1989“ zeigt, wie Künstler sich am kommunistischen System abgearbeitet haben und die Nachwehen kritisch kommentieren.

Im Ohr noch den finalen Abgesang der „Internationale“, die im Stiegenhaus am permanenten Verklingen ist, findet man sich sogleich mitten im Zentrum wieder, in einem peinlichen Verhör, einem kafkaesken Labyrinth, der Urzelle dieser Ausstellung: Das „Große Archiv“ der russischen Konzeptkünstler Ilya und Emilia Kabakov, die engen, von nackten Glühbirnen beleuchteten Bürokammern können entweder flüchtig durchschritten werden (man sieht über die niedrigen Wände schon in die ähnlich dämmrige Zukunft der Ausstellungshalle). Oder man kann sich vor den leeren Schreibtischen bis zur Selbstaufgabe verzetteln, die 800 Zeichnungen dechiffrieren, die Anweisungen befolgen, die Fragebogen beantworten, etwa den für „Hausfrauen“: „Wie ist die Stimmung bei Ihnen zu Hause?“, „Möchten Sie wieder arbeiten gehen?“

Oh ja. Also raus aus der „totalen Installation“, die Kunsthallen-Direktor Gerald Matt auf die Idee dieser Ausstellung brachte: Wie hat sich der „Epochenbruch“, der Zerfall des bipolaren Weltsystems Kapitalismus/Kommunismus in die bildende Kunst eingeschrieben? Große Frage, kleinere und mittlere, unerwartete und unorthodoxe, nachdenklich stimmende, immer aber misstrauische Antworten von 25 Künstlern aus 20 Ländern.

Sie müssen hier dankenswerterweise keine ideologische These illustrieren, auch nichts chronologisch nachbeten (die historischen Basics bietet der didaktische Tafelwald im Foyer). Sie kreisen exemplarisch und assoziativ um die politischen Veränderungen von den 70er-Jahren bis heute.

Der Film „Rejs“ von Marek Piwowski ist das älteste Exponat, die Satire nimmt den sozialistischen Alltag aufs Korn, zeigt eine Gesellschaft auf einem Ausflugsboot beim skurrilen Lösen ideologischer Alltagsfragen – was etwa tun mit der lästigen Realität unterschiedlicher Meinungen? Ganz einfach, niederklatschen! Die Zensur ließ das Werk auf 22 Minuten schrumpfen und 1970 sogar eine (theoretische) Aufführung zu – für ganz Polen gab es nur eine einzige Kopie.

 

Die verlassenen Räume der Stasi

Eine Art bierernstes Gegenstück dazu ist der auf 25 Monitore verteilte Film „From the East: Bordering on Fiction“ von Chantal Akerman – ihre 1993 in statischen Einstellungen gefilmte Reise von Ostdeutschland nach Moskau. Anna Jermolaewa, 1970 in St.Petersburg geboren, filmte in die Gegenrichtung, nämlich ihre Flucht nach Österreich. Die selbstlose Frau, die ihr dabei half, konnte sie erst unlängst wieder ausfindig machen – sie kommt zur Ausstellungseröffnung.

Auffällig ist die Lust am kommentarlosen Dokumentieren – die englischen Wilson-Schwestern reisten kurz nach dem Mauerfall in die Ex-DDR und fotografierten verlassene Räume der Stasi, eine fantastisch lapidare Entzauberung. Martin Parr porträtierte neureiche Russen, Boris Mikhailov Badende am ukrainischen Strand – vor der Kulisse wenig vertrauenerweckender Fabriken, und später, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die neue Armut, Obdachlose in Charkow.

Fein sind die Paare, denen man im Laufe der Zeit auf die Spur kommt – etwa die gestickte Weltkarte von Daniel Boetti, die farblich an die realen Machtverhältnisse der „alten“ Welt erinnert. Und, ganz woanders hängend, die neue Weltkarte von Stephan Huber, der die postpostmoderne, superindividuelle Zersplitterung einzeichnet, vom Freudozean zum Mare Marx.

Behutsam wird ein Bogen geschlagen, von damals nach heute, von ideologisch nach unbestimmt – von Komad/Melamits ironischem Soz-Art-Gemälde der offiziellen christlichen Absegnung des bipolaren Weltbilds (Christus hinter den Büsten von Lenin und Washington) nach Neo Rauchs todernsten Traumbildern im Ost-Retrostil. Das sarkastische Gustostückerl aber muss man am Juchhe, auf der hinteren Empore, erst einmal finden: Die Realsatire einer Frau, die an „Objektophilie“ litt, sich in die Mauer verliebte (und sie tatsächlich heiratete), nachgestellt von Lars Laumann.


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