Blick auf die Installation der Österreicherin Ulrike Müller im Palace of Arts, dem Biennale-Hauptquartier. Weitere Schauplätze sind Museum of Modern Egyptian Art und Mahmud Chalil Museum.
Es gilt, spannende Kunst abseits des Diktats von Kunstmarkt und Mainstream zu entdecken.
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Ein heftiger Sandsturm fegt über die Stadt, Kairo verschwindet hinter einem dichten, gelblich-graukörnigen Vorhang. Doch nicht nur Sturm und Staub erschweren den Zugang zu den Biennale-Schauplätzen. Es gibt keine Wegweiser, Plakate auch nicht. Diese Biennale, kulturell spannender Kreuzungspunkt zwischen okzidentaler und orientalischer Kunst, will entdeckt und erobert werden.
Ein lohnendes Unterfangen, weil der Fokus auch auf entlegenere Gebiete der Kunstweltkarte gerichtet ist: Auf My City und das beklemmend dicht gemalte Häusermeer der Libanesin Zena Assi beispielsweise. Auf Nigeria, vertreten durch Onyilo Uloko Samuel, der Geschichten von Unterdrückung und Ohnmacht malt und in seine Bilder Nägel treibt, wie Akupunkturnadeln in die Schwachpunkte der Gesellschaft.
Auf Madagaskar und Joel Andrianomearisoa. Leider sind dessen riesige Collagen aus schwarzem Seidenpapier aneinandergelehnt, anstatt, wie im Katalog abgebildet, als Bildobjekte im Raum verteilt. Auf Qatar, Georgien und Saudi-Arabien. Auf den aus Simbabwe stammenden, politisch arbeitenden Kudzwanai Chinrai, der heuer schon in New Yorks Armory Show präsentiert wurde. Und auf den in den Niederlanden lebenden gebürtigen Iraker Nadim Kufi: Mit Silberfaden hat er das arabische Schriftzeichen für Ground Zero auf die Leinwand gestickt. Die Doppeldeutigkeit liegt im Detail: "Zero" bedeutet im Arabischen Leid. Traumata - persönliche wie die Ermordung des Vaters, gesellschaftliche wie staatlicher Terror - thematisiert die philippinische Künstlerin Josephine Turalba: Ihre bunten, aus der Ferne so fröhlich wirkenden Figuren bestehen aus Patronenhülsen.
Die arabisch-amerikanischen Künstlerinnen Annabel Daou, Dahlia Elsayed und Rheim Alkadhi entwickeln gleichermaßen betörende wie verstörende Landschaften der Fantasie, heften tote Fliegen an die Wand, spielen damit, dass "flee" sowohl Fliege als auch Fliehen meint, sie brennen Löcher in einen schmutzverkrusteten Orientteppich und schreiben kalligrafisch hunderte Male "I'm here", bis sich der Satz zu einem abstrakten Wandgemälde fügt.
Ein verführerischer Geruch dringt aus dem obersten Stockwerk des Palace of Arts, dem Biennale-Hauptquartier. Amal Kenawy hat ein ägyptisches Wohnzimmer installiert und mit Rentieren, blinkenden Lichterketten und Goldflitter erstaunlich weihnachtlich dekoriert.
Im Minirock, das kurze Haar unbedeckt, steht die 36-jährige Künstlerin hinter dem Küchentresen, kocht Bohneneintopf, grillt Putensteaks, richtet Salat an. Dichtes Gedränge im Kunstraum. Männer, einige im Kaftan, Frauen, fast alle verschleiert, greifen zu - sogar Ägyptens Kulturminister Faruk Hosni, übrigens selbst Hobbymaler, und seine Entourage. Die Ausschank ist der - scheinbar - gemütliche Teil der Installation.
Doch das Private ist hochpolitisch. Und beklemmend. Über den Bildschirm flimmert das Video einer aufwühlenden Performance: Kenawy ließ in einem Kairoer Arbeiterviertel Menschen auf allen Vieren über die Straße kriechen. "Ich sage nicht, Menschen sind wie Tiere. Aber ich halte der Gesellschaft den Spiegel vor. Sie folgt den Führern blind. Wie eine Schafherde." Aufgebrachte Passanten holten schließlich die Polizei. Kenawy, die 2007 an der Biennale von Venedig teilnahm, wurde eingesperrt. Nun wurde Amal Kenawys The Silence of the Lambs mit dem Hauptpreis der Kairo-Biennale (umgerechnet rund 13.000 Euro) gewürdigt.
Provokante Kunst
Eine mutige Juryentscheidung, die sich auch bei den anderen Preisträgern fortsetzt: Der in Berlin lebenden gebürtigen Schwedin Nathalie Djurberg (2009 in Venedig mit dem Silbernen Löwen als beste Nachwuchskünstlerin ausgezeichnet) wurde der mit rund 6500 Euro dotierte Zweite Preis zugesprochen. Ihre animierten Knetfiguren mit den riesigen Brüsten und Schwänzen begrapschen, besteigen, begatten einander - im muslimischen Land durchaus provokant.
Ex equo ausgezeichnet wurde der 40-jährige Marokkaner Monir Fatmi für sein Video The beautiful language: Ein Mädchen kritzelt Kreidekreise auf eine Tafel; einmal streckt sie mit verbundenen Augen den Mittelfinger in die Höhe; immer aber schwebt eine Schere wie ein Damoklesschwert über und vor ihrem Gesicht.
Ein hochaktueller Kommentar zur Zensur. Die wünschte man sich - fast - in kurzen ermatteten Sekunden, etwa beim deutschen Beitrag: Du musst dein Künstler-Ich eliminieren, schreibt Malerin Hannah van Ginkel in das konkurrenzlos banalste Gemälde der Biennale.
Vielleicht wäre es ja besser gewesen, ihre Werke wären im Zoll steckengeblieben; so wie die des Niederländers Pascal Van der Graaf. Seine Bilder gibt es nur im Katalog. Wenn es den dann wieder einmal gibt. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 18./19. Dezember 2010)
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