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Das Blut verliert das Rot

15.04.2008 | 18:29 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

Mysterienchemie und Orgientheologie. Substanzielle Aspekte eines Körpersaftes.

Das Blut hat keine leise Premiere in der Bibel: „Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde“, so lautet die erste Erwähnung, in 1.Mose 4, 10, es ist der Herr selbst, der so spricht und den brudermörderischen Ackerbauer Kain verflucht.

Die zweite Erwähnung des Blutes ist gleich ein Verbot, das erste Nahrungstabu, von höchster Instanz ausgesprochen, im Bund mit Noah: „Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise. Allein esset das Fleisch nicht mit seinem Blut, in dem Leben ist!“ Dass (im) Blut (das) Leben sei, ist eine alte Ausformung des Dualismus: Fleisch und Blut für Leib und Seele. Das Blut, das die Menschen nicht essen dürfen, wird laut Leviticus „ringsum an den Altar gesprengt“, exklusiv für Gott, bevor das Fleisch darauf verbrannt wird.

„Die Substanz des Trinkopfers war ursprünglich das Blut der Opfertiere; Wein wurde später der Ersatz des Blutes“, schrieb Sigmund Freud in „Totem und Tabu“. Eine nüchterne Umschreibung der Einsetzungsworte des christlichen Abendmahls, das Freud als Bekenntnis einer „Blutschuld“ sah: „So bekennt sich denn in der christlichen Lehre die Menschheit am unverhülltesten zu der schuldvollen Tat der Urzeit (dem Mord am Vater, Anm.), weil sie nun im Opfertod des einen Sohnes die ausgiebigste Sühne für sie gefunden hat.“

Tat der Urzeit: Mit seiner Auflösung von Mythen hat Freud selbst einen Mythos geschaffen. Der auf einer Idee beruht, die gar nicht in die von Freud hochgehaltene „wissenschaftliche Weltanschauung“ passt: dass (blutige) Erfahrungen leiblich, quasi genetisch von Generation zu Generation weitergegeben werden. „Wir entschließen uns endlich zur Annahme, dass die psychischen Niederschläge jener Urzeiten Erbgut geworden waren, in jeder neuen Generation nur der Erweckung, nicht der Erwerbung bedürftig“, schrieb er im „Mann Moses“: Vererbung von Erworbenem, das ist reinster Lamarckismus. „Hier kann selbst der treueste Bewunderer Freuds nur noch flüstern: ,Certum, quia absurdum est‘“, kommentierte Kulturwissenschaftler Yosef Hayim Yerushalmi in „Freuds Moses“.

Das Blut ist ein wunderbares Transportmittel, aber nur in Individuen, nicht von einer Generation zur nächsten, es wird auch nur metaphorisch gemischt, wenn zwei Individuen das Ihre tun, um genetische Information zu kombinieren. Das besorgt die Desoxyribonukleinsäure, die noch nicht so viele Dichter gefunden hat, Richard Dawkins macht sich da ganz gut, siehe den „Fluss der Gene“, der „in Eden entsprang“. Auch die Kunst mit DNA ist bestenfalls in den Anfängen, der Grazer Richard Kriesche hat sich als Pionier versucht: Für sein „universelles Datenwerk“ ließ er sich u.a. einen Phiolenkranz ums Haupt binden.


Die DNA ist leider farblos

Doch was enthielten die Phiolen? Erraten: Blut. Die abstrahierte Struktur der DNA, die Doppelhelix, gibt zwar ein wunderbares Bild, sie selbst ist aber als Substanz nicht sonderlich sinnlich, da farblos.

Genauso farblos ist das Blut vieler Insekten. Dass es in Wirbeltieren wie uns so rot ist (und dass wir Rot – Gefahr, Erregung! – sehen, wenn wir es sehen), dankt sich der Erweiterung seiner Transportaufgaben: Es befördert auch den Sauerstoff, für dessen Transport die Insekten ein zweites System, die Tracheen, brauchen. Und das Molekül, das den Sauerstoff bindet, das Hämoglobin, ist rot; umso röter, je mehr Sauerstoff es gebunden hat. Beim Trocknen aber zersetzt sich die Verbindung, die Blutflecken werden unansehnlich braun, und seien sie die Schrift auf einem Vertrag mit dem Teufel.

Das ist ein substanzielles Problem der Kunst des Hermann Nitsch: Die Grundfarbe des „Orgien Mysterien Theaters“ ist unstet, nur live, nur akut vorhanden. Ein Blutbild, das nach Blut aussieht, ist aus Farbe. Ein Blutbild, das Blut enthält, sieht nicht wie Blut aus. Der „Saft der Zerstörung“, wie Nitsch das Blut in einem Text zum OMT nennt, zerstört sich posthum selbst. „Zerquetschtes Traubenfleisch blutet“, schreibt Nitsch: Aber Rotwein bleibt rot.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2008)


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