Salzburger Nachrichten am 7. September 2006 - Bereich: Kultur
Manifest für die Städte der Zukunft

Bei der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig dreht sich ab Sonntag alles um das Thema "Megacities"

ANNE ISOPPWIEN, VENEDIG (SN). 2007 werden zum ersten Mal in der Geschichte mehr Menschen in Städten leben als auf dem Land. Einige Städte sind schon heute zu einer unvorstellbaren Größe angewachsen. In Tokio, der größten Metropole der Welt, leben derzeit 35 Millionen Menschen. Vor allem in Asien, Afrika und Südamerika wird sich dieser Prozess der Verstädterung rasant fortsetzen - meist ohne eine planvolle Stadtentwicklung und mit katastrophalen sozialen Folgen.

Für Richard Burdett, den diesjährigen Kurator der Architektur-Biennale in Venedig, ist mit dem Ausufern unserer Städte "eine der wichtigsten sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts" verbunden. Die weltweit größte und wichtigste Schau der Branche wird am kommenden Sonntag für zwei Monate ihre Tore öffnen. Im Gegensatz zu den Vorjahren wird diesmal keine Architektur- und Leistungsschau im klassischen Sinne zu sehen sein. Burdett nähert sich dem Thema "Megacities" auf soziologische, ökologische und kulturelle Weise.

Auf einer 300 Meter langen Wand des internationalen Pavillons werden 16 Weltmetropolen, ihre rasanten Entwicklungen und deren Folgen in Filmen vorgestellt. Ergänzend hat Burdett Forscherteams eingeladen, ihre aktuellen städtebaulichen und soziologischen Studien über Metropolen wie Dubai, Lagos (Rem Koolhaas) oder die Region Basel/Zürich (ETH Studio Basel) vorzustellen. Während auf der einen Seite Städte ins Unermessliche wachsen, haben andere Regionen mit einem Bevölkerungsschwund zu kämpfen. Die Studie "Schrumpfende Städte" der deutschen Bundeskulturstiftung darf deshalb nicht fehlen, um das Bild über die Herausforderungen dieses Jahrhunderts abzurunden.

Burdett ist überzeugt, dass Architekten mit guten Planungen dem Chaos der wachsenden Megastädten etwas entgegensetzen können. Am Ende der Biennale will er ein Manifest für die Städte des 21. Jahrhunderts verfassen, dessen Umsetzung dann Sache der Stadtplanungen sein wird.

Wie bei jeder Biennale gilt die thematische Vorgabe auch für die Länderpavillons. Was dort aber letztendlich präsentiert wird, liegt in den Händen der nationalen Kuratoren. Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au, der diesjährige Kurator des österreichischen Beitrages, teilt das Thema Stadt in die drei Unterthemen ein: "Form, Raum, Netz". Diese ordnet er dem Werk jeweils eines Architekten zu: Hans Holleins "Flugzeugträger" - eine Collage aus dem Jahr 1964 - steht für das Thema "Form". Friedrich Kieslers "Raumstadt", ein von der Decke hängendes Bühnensystem aus dem Jahr 1925, verkörpert "Raum". Architekt Gregor Eichinger von Eichinger oder Knechtl entwickelte für die Biennale ein eigenes Netzwerkprojekt. Ganz will aber auch Prix nicht auf eine österreichische Leistungsschau verzichten. In "Rock over Barock", einer Ausstellung, die außerhalb des Biennale-Geländes gezeigt wird, präsentieren neun junge österreichische Architekten ihre Arbeiten.