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as Allernächste und Allerfernste unter einem Schlossdach: "Kopf
reisen - von Jules Verne, Karl May und anderen Grenzgängern der Kunst" als
Sommerschau im Schloss Trautenfels. Dort zeigt das Joanneum in einem
"Landschaftsmuseum" die Volkskultur des steirischen Salzkammerguts und
Ennstals: Volkskunst, Lokalgeschichte, Hand- und Bergwerk, Fauna und Flora
sind dort seit 1998 unverstaubt-einladend präsentiert.
Die "Kopfreisen" im Stock darüber punkten eher bei
Karl-May-Fans, Kennern früher amerikanischer Comics-Serien, Verehrern des
Urmeisters aller Hospitalkunst, des Schweizers Adolf Wölfli, bei
Mausführern, die an Bildschirmen virtuelle Ausflüge wagen und bei Kindern,
für die ein (trockener) Saal "20.000 Meilen unter dem Meer" sowie eine
Comics-Zeichenstation eingerichtet ist.
"Biophily" nennt der Innsbrucker Thomas Feuerstein ein
seit Jahren anwachsendes Video-Mitspielprogramm. Das Ziel, die Theorie
dahinter: Zurück von der toten Materie zum Leben. Hat man erst aus einer
virtuellen Wohnküche die dort herumliegenden Markenartikel (wie
Mohren-Bier, Immodium-Kapseln) herausgeklickt, wird man mit einem
360-Grad-Panorama einer paradiesisch unberührten Naturlandschaft belohnt.
Auch Monica Studer und Christoph van den Berg (Schweiz) entführen in eine
elektronische Traumlandschaft, diesmal alpin die Vorstufe eines ganzen
digitalen Ferienorts ("Hotel Vue des Alpes").
Die Ausstellung "Kopfreisen" wurde von Daniel Baumann und
Monika Brunner für Pfäffikon und Bern zusammengestellt. Nach Trautenfels
kam eine reduzierte Version. Der Rundgang beginnt mit 18 Blättern von
Wölfli, der 1895 bis 1930 in der Psychiatrischen Klinik Waldau viele
tausend Seiten mit Berichten eingebildeter Reisen vollgeschrieben und
-gezeichnet hat. Man sagt, dass in Binnenländern ohne Meer sowie unter
totalitären Regimen die Phantasien von Gegenwelten besonders wuchern.
Aus der Zeichnungs-Serie "Zehn Charaktere" (1972/75), mit
der Installations-Künstler Ilja Kabakov schon in Moskau berühmt wurde, ist
in Trautenfels die Folge "Der im Schrank sitzende Primakow" ausgestellt.
Der denkt, zeichnet sich stufenweise hinaus aus der Enge. Ein Bild zeigt
den Blick aus dem Fenster auf die Rosa-Luxemburg-Straße, dann folgen die
ganze Stadt, der Bezirk, das Gebiet, die Region, die Erde und der Himmel.
Vom Raumschiff Enterprise keine Spur! Als Ilja Kabakov noch in der
Sowjetunion festsaß, war im Westen der Sputnik schon in den
Spielwarenläden gelandet.
An Münchhausen und Jules Verne, an "Gullivers Reisen" und
"Robinson Crusoe" wird erinnert. Mehr springt die früheste gezeichnete
Science-Fiction-Hefterlserie ins Auge: "Amazing Stories", erstaunliche
Geschichten aus den Jahren 1926 bis 1947.
Winsor McCay zeichnete die Abenteuer des Buben "Little
Nemo" 1905 bis 1911 und 1924 bis 1927 für die Sonntagsbeilage der "Herald
Tribune" (viele bunte Seiten mit deutschen Sprechblasen sind ausgestellt).
Nemos Traumland heißt "Schlummerland", es ist der schönste Ort im Himmel.
Dort lebt die Tochter von König Morpheus, in der Antike als Gott des
Schlafes und des Traumes bekannt.
Ein großer Saal voll Karl May! Der bekanntlich
eingestehen musste, dass er sich in die Schluchten des Balkans und ins
Land der Skipetaren, ins wilde Kurdistan und in den Wilden Westen nur
hineingefühlt hat. Die Bücher, Schallplatten, Winnetou und Gefährten in
Zinn, Pappe, Ton, Plastik modelliert. Die Karl-May-Eisenbahn von Minitrix.
Kampfesposen, koloriert, auf den 3-D-Viewmaster-Scheiben. Die
Reise-Fantasien, die Karl May auch im Gefängnis über den Tag halfen,
hinterließen viel komischen Reliquienkitsch.
Einen fantastischen Ausflug aus der geraden Gegenwart von
heute ließ sich das Münchner Architektenteam M + M einfallen. Wer wollte,
könnte nach ihrem Plan am Rande der Autostrada bei Vittorio Veneto eine
erholsame Sonderrunde drehen. Rechts raus auf einer kreisförmigen Brücke,
deren Fahrbahn wieder in die Hauptgerade mündet.
Landschaftsmuseum und "Kopfreisen": Bis 31. Oktober,
tägl. 9 bis 17 Uhr.
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