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26.08.2003 - Ausstellung
Unter Mäusen
Trautenfels im Ennstal: Volkskunst im Landschaftsmuseum, "Kopfreisen" von Grenzgängern der Kunst international.
VON HANS HAIDER


D
as Allernächste und Allerfernste unter einem Schlossdach: "Kopf reisen - von Jules Verne, Karl May und anderen Grenzgängern der Kunst" als Sommerschau im Schloss Trautenfels. Dort zeigt das Joanneum in einem "Landschaftsmuseum" die Volkskultur des steirischen Salzkammerguts und Ennstals: Volkskunst, Lokalgeschichte, Hand- und Bergwerk, Fauna und Flora sind dort seit 1998 unverstaubt-einladend präsentiert.

Die "Kopfreisen" im Stock darüber punkten eher bei Karl-May-Fans, Kennern früher amerikanischer Comics-Serien, Verehrern des Urmeisters aller Hospitalkunst, des Schweizers Adolf Wölfli, bei Mausführern, die an Bildschirmen virtuelle Ausflüge wagen und bei Kindern, für die ein (trockener) Saal "20.000 Meilen unter dem Meer" sowie eine Comics-Zeichenstation eingerichtet ist.

"Biophily" nennt der Innsbrucker Thomas Feuerstein ein seit Jahren anwachsendes Video-Mitspielprogramm. Das Ziel, die Theorie dahinter: Zurück von der toten Materie zum Leben. Hat man erst aus einer virtuellen Wohnküche die dort herumliegenden Markenartikel (wie Mohren-Bier, Immodium-Kapseln) herausgeklickt, wird man mit einem 360-Grad-Panorama einer paradiesisch unberührten Naturlandschaft belohnt. Auch Monica Studer und Christoph van den Berg (Schweiz) entführen in eine elektronische Traumlandschaft, diesmal alpin die Vorstufe eines ganzen digitalen Ferienorts ("Hotel Vue des Alpes").

Die Ausstellung "Kopfreisen" wurde von Daniel Baumann und Monika Brunner für Pfäffikon und Bern zusammengestellt. Nach Trautenfels kam eine reduzierte Version. Der Rundgang beginnt mit 18 Blättern von Wölfli, der 1895 bis 1930 in der Psychiatrischen Klinik Waldau viele tausend Seiten mit Berichten eingebildeter Reisen vollgeschrieben und -gezeichnet hat. Man sagt, dass in Binnenländern ohne Meer sowie unter totalitären Regimen die Phantasien von Gegenwelten besonders wuchern.

Aus der Zeichnungs-Serie "Zehn Charaktere" (1972/75), mit der Installations-Künstler Ilja Kabakov schon in Moskau berühmt wurde, ist in Trautenfels die Folge "Der im Schrank sitzende Primakow" ausgestellt. Der denkt, zeichnet sich stufenweise hinaus aus der Enge. Ein Bild zeigt den Blick aus dem Fenster auf die Rosa-Luxemburg-Straße, dann folgen die ganze Stadt, der Bezirk, das Gebiet, die Region, die Erde und der Himmel. Vom Raumschiff Enterprise keine Spur! Als Ilja Kabakov noch in der Sowjetunion festsaß, war im Westen der Sputnik schon in den Spielwarenläden gelandet.

An Münchhausen und Jules Verne, an "Gullivers Reisen" und "Robinson Crusoe" wird erinnert. Mehr springt die früheste gezeichnete Science-Fiction-Hefterlserie ins Auge: "Amazing Stories", erstaunliche Geschichten aus den Jahren 1926 bis 1947.

Winsor McCay zeichnete die Abenteuer des Buben "Little Nemo" 1905 bis 1911 und 1924 bis 1927 für die Sonntagsbeilage der "Herald Tribune" (viele bunte Seiten mit deutschen Sprechblasen sind ausgestellt). Nemos Traumland heißt "Schlummerland", es ist der schönste Ort im Himmel. Dort lebt die Tochter von König Morpheus, in der Antike als Gott des Schlafes und des Traumes bekannt.

Ein großer Saal voll Karl May! Der bekanntlich eingestehen musste, dass er sich in die Schluchten des Balkans und ins Land der Skipetaren, ins wilde Kurdistan und in den Wilden Westen nur hineingefühlt hat. Die Bücher, Schallplatten, Winnetou und Gefährten in Zinn, Pappe, Ton, Plastik modelliert. Die Karl-May-Eisenbahn von Minitrix. Kampfesposen, koloriert, auf den 3-D-Viewmaster-Scheiben. Die Reise-Fantasien, die Karl May auch im Gefängnis über den Tag halfen, hinterließen viel komischen Reliquienkitsch.

Einen fantastischen Ausflug aus der geraden Gegenwart von heute ließ sich das Münchner Architektenteam M + M einfallen. Wer wollte, könnte nach ihrem Plan am Rande der Autostrada bei Vittorio Veneto eine erholsame Sonderrunde drehen. Rechts raus auf einer kreisförmigen Brücke, deren Fahrbahn wieder in die Hauptgerade mündet.

Landschaftsmuseum und "Kopfreisen": Bis 31. Oktober, tägl. 9 bis 17 Uhr.



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