Geboren wurde die große alte Dame der
modernen Kunst 1911 in Paris. Als Einjährige zog sie mit ihrer Familie
nach Choisy le Roi bei Paris, wo ihr Vater ein Atelier zur Restaurierung
von Tapisserien betrieb.
Im Jahr 1932 ging Louise Bourgeois nach Paris zurück, um an der
Sorbonne Mathematik zu studieren.
Lehrjahre
Enttäuscht von der abstrakten Ausrichtung des Mathematik-Studiums
besuchte sie verschiedene Kunsthochschulen und diverse Ateliers. In den
30er Jahren studierte sie bei Fernand Leger, der schon bald ihre
künstlerische Begabung bemerkte und sie anregte, skulptural zu
arbeiten.
So entstanden allmählich Skulpturen und Zeichnungen. Die Malerei trat
etwas in den Hintergrund. 1938 heiratete sie den Kunsthistoriker Robert
Goldwater und ging mit ihm nach New York, wo sie bis heute lebt.
New Yorker Kreise
Angekommen in Amerika, studierte sie an der "New Yorker Art Student
League". In den 40er Jahren verkehrte sie in der New Yorker Kunstszene und
lernte dort viele namhafte Galeristen, Künstler und Theoretiker wie Peggy
Guggenheim, Alfred Barr oder Marcel Duchamp kennen. 1941 wurde ihre erste
Einzelausstellung von Gemälden in der New Yorker "Bertha Schaefer Gallery"
gezeigt. In der damaligen Schau zeigte sie flächige, ornamentale
Bilder.
Frau und Künstlerin
Bourgeois widmete sich der Erziehung ihrer drei Söhne, arbeitete aber
weiterhin künstlerisch. Damit kam sie schon bald in das weibliche
Spannungsfeld von künstlerischem Streben und traditioneller Frauenrolle.
Dieser Dualismus wurde zu einem lebenslangen Thema, das ihre Kunst
bestimmen sollte.
Im Anschluss an ihre erste Ausstellung entstand die Serie der "Femmes
Maisons" (1945-47). Auf diesen Gemälden sind abstrakte weibliche Figuren
dargestellt, die anstelle des Kopfes ein Haus tragen - und so die
weibliche gesellschaftliche Sphäre des Heims symbolisieren.
Plastiken
In den 40er Jahren entstanden vermehrt stelenartige Figuren aus Holz,
sogenannte "Personages". Immer mehr trat die Malerei zugunsten der
Skulptur in den Hintergrund. Später verwendete Bourgeois neben Holz, Stein
und Metall zunehmend ungewöhnliche Materialien wie Latex, Gummi,
Papiermaschee, Gips oder Zement.
Zu dieser Zeit entstand die Serie "Soft Landscapes": abstrakte
Skulpturen, deren Formen an menschliche Körper erinnern. In den 60er
Jahren entwickelte Bourgeois in den "Lairs" (Höhlen und Verstecke) eine
Serie von labyrinthischen Räumen. Mit diesen Arbeiten nahm sie bereits die
"Cells" - käfigartige Gebilde, die autobiografische
Verarbeitungsstrategien beinhalten - der 80er Jahre vorweg.
Quelle Kindheit
Im Mittelpunkt der Arbeit von Louise Bourgeios steht der Mensch, sein
Körper und sein Verhältnis zum Mitmenschen. Ihr Werk ist zwar zutiefst
autobiografisch, fand aber zu einer unabhängigen internationalen
Kunstsprache.
Zentrale Rolle in ihren Arbeiten spielt ihre Kindheit. Besonders das
Verhältnis des Vaters zu ihrer Erzieherin, das sie als traumatisch
erlebte, führte immer wieder zu künstlerischen Ausdrucksformen. Erst 1983
veröffentlichte sie dieses Geheimnis ihrer Kindheit.
Schwierige Vater-Beziehung
1974 inszenierte sie mit "Destruction of the Father" einen symbolischen
Vatermord. Die Installation aus Latex und rotem Stoff gleicht einer
Landschaft aus kugelförmigen und phallischen Erhebungen und geht auf eine
Kindheitsfantasie der Künstlerin zurück, den untreuen Vater auf dem
Esstisch zu verschlingen.
Zellen
Seit Mitte der 80er Jahre schuf sie ihre Cells. Meist große begehbare
käfigartige Räume aus Metall, die vergittert in Brauntönen gehalten,
Düsternis ausstrahlen. Darin finden sich Bettgestelle, beschriftete
Matratzen, Koffer, Kleider, Relikte von Menschen, die in diesen Verstecken
gehaust haben könnten.
![Louise Bourgeois in ihrem Atelier, 1996](00055758-Dateien/1-portraet.jpeg) |
Louise Bourgeois in ihrem Atelier,
1996 |
Die Zellen bieten den Bewohnern aber keinen wirklichen Schutz. Sie
lassen einen trostlos und mit Fundstücken menschlichen Lebens zurück. In
enger Verbindung zu den Zellen stehen die mehrere Meter großen Bronze- und
Stahl-Spinnen: die sogenannten Spiders. Sie sind Frucht der obsessiven
Auseinandersetzung mit Ängsten, Sexualität und kindlicher Mythologie.
Später Ruhm
Erst gegen Ende der 70er Jahre fand Bourgeois weltweite Anerkennung,
wobei auch das Interesse der feministischen Kunstkritik eine gewisse Rolle
spielte. Streckenweise wurde sie von der Frauenbewegung auch vereinnahmt -
und wehrte sich dagegen.
1992 wurde sie von Jan Hoet zur "documenta" nach Kassel eingeladen.
1993 war sie auf der Biennale von Venedig vertreten. Seither reißen sich
alle großen Häuser um die alte Dame. Heuer ist sie wieder bei der
"documenta" mit ihrer Arbeit "The Insomnia Drawings" zu
sehen.