Ein Leben voll Grandezza

Erst 1982 richtete das New Yorker "MoMA" die erste große Retrospektive der Arbeiten von Louise Bourgeois aus und würdigte damit ihre internationale Bedeutung für die Nachkriegskunst.


Geboren wurde die große alte Dame der modernen Kunst 1911 in Paris. Als Einjährige zog sie mit ihrer Familie nach Choisy le Roi bei Paris, wo ihr Vater ein Atelier zur Restaurierung von Tapisserien betrieb.

Im Jahr 1932 ging Louise Bourgeois nach Paris zurück, um an der Sorbonne Mathematik zu studieren.

Lehrjahre

Enttäuscht von der abstrakten Ausrichtung des Mathematik-Studiums besuchte sie verschiedene Kunsthochschulen und diverse Ateliers. In den 30er Jahren studierte sie bei Fernand Leger, der schon bald ihre künstlerische Begabung bemerkte und sie anregte, skulptural zu arbeiten.

So entstanden allmählich Skulpturen und Zeichnungen. Die Malerei trat etwas in den Hintergrund. 1938 heiratete sie den Kunsthistoriker Robert Goldwater und ging mit ihm nach New York, wo sie bis heute lebt.

New Yorker Kreise

Angekommen in Amerika, studierte sie an der "New Yorker Art Student League". In den 40er Jahren verkehrte sie in der New Yorker Kunstszene und lernte dort viele namhafte Galeristen, Künstler und Theoretiker wie Peggy Guggenheim, Alfred Barr oder Marcel Duchamp kennen. 1941 wurde ihre erste Einzelausstellung von Gemälden in der New Yorker "Bertha Schaefer Gallery" gezeigt. In der damaligen Schau zeigte sie flächige, ornamentale Bilder.

Frau und Künstlerin

Bourgeois widmete sich der Erziehung ihrer drei Söhne, arbeitete aber weiterhin künstlerisch. Damit kam sie schon bald in das weibliche Spannungsfeld von künstlerischem Streben und traditioneller Frauenrolle. Dieser Dualismus wurde zu einem lebenslangen Thema, das ihre Kunst bestimmen sollte.

Im Anschluss an ihre erste Ausstellung entstand die Serie der "Femmes Maisons" (1945-47). Auf diesen Gemälden sind abstrakte weibliche Figuren dargestellt, die anstelle des Kopfes ein Haus tragen - und so die weibliche gesellschaftliche Sphäre des Heims symbolisieren.

Plastiken

In den 40er Jahren entstanden vermehrt stelenartige Figuren aus Holz, sogenannte "Personages". Immer mehr trat die Malerei zugunsten der Skulptur in den Hintergrund. Später verwendete Bourgeois neben Holz, Stein und Metall zunehmend ungewöhnliche Materialien wie Latex, Gummi, Papiermaschee, Gips oder Zement.

Zu dieser Zeit entstand die Serie "Soft Landscapes": abstrakte Skulpturen, deren Formen an menschliche Körper erinnern. In den 60er Jahren entwickelte Bourgeois in den "Lairs" (Höhlen und Verstecke) eine Serie von labyrinthischen Räumen. Mit diesen Arbeiten nahm sie bereits die "Cells" - käfigartige Gebilde, die autobiografische Verarbeitungsstrategien beinhalten - der 80er Jahre vorweg.

Quelle Kindheit

Im Mittelpunkt der Arbeit von Louise Bourgeios steht der Mensch, sein Körper und sein Verhältnis zum Mitmenschen. Ihr Werk ist zwar zutiefst autobiografisch, fand aber zu einer unabhängigen internationalen Kunstsprache.

Zentrale Rolle in ihren Arbeiten spielt ihre Kindheit. Besonders das Verhältnis des Vaters zu ihrer Erzieherin, das sie als traumatisch erlebte, führte immer wieder zu künstlerischen Ausdrucksformen. Erst 1983 veröffentlichte sie dieses Geheimnis ihrer Kindheit.

Schwierige Vater-Beziehung

1974 inszenierte sie mit "Destruction of the Father" einen symbolischen Vatermord. Die Installation aus Latex und rotem Stoff gleicht einer Landschaft aus kugelförmigen und phallischen Erhebungen und geht auf eine Kindheitsfantasie der Künstlerin zurück, den untreuen Vater auf dem Esstisch zu verschlingen.

Zellen

Seit Mitte der 80er Jahre schuf sie ihre Cells. Meist große begehbare käfigartige Räume aus Metall, die vergittert in Brauntönen gehalten, Düsternis ausstrahlen. Darin finden sich Bettgestelle, beschriftete Matratzen, Koffer, Kleider, Relikte von Menschen, die in diesen Verstecken gehaust haben könnten.

Louise Bourgeois in ihrem Atelier, 1996
Louise Bourgeois in ihrem Atelier, 1996

Die Zellen bieten den Bewohnern aber keinen wirklichen Schutz. Sie lassen einen trostlos und mit Fundstücken menschlichen Lebens zurück. In enger Verbindung zu den Zellen stehen die mehrere Meter großen Bronze- und Stahl-Spinnen: die sogenannten Spiders. Sie sind Frucht der obsessiven Auseinandersetzung mit Ängsten, Sexualität und kindlicher Mythologie.

Später Ruhm

Erst gegen Ende der 70er Jahre fand Bourgeois weltweite Anerkennung, wobei auch das Interesse der feministischen Kunstkritik eine gewisse Rolle spielte. Streckenweise wurde sie von der Frauenbewegung auch vereinnahmt - und wehrte sich dagegen.

1992 wurde sie von Jan Hoet zur "documenta" nach Kassel eingeladen. 1993 war sie auf der Biennale von Venedig vertreten. Seither reißen sich alle großen Häuser um die alte Dame. Heuer ist sie wieder bei der "documenta" mit ihrer Arbeit "The Insomnia Drawings" zu sehen.

Radio &sterreich 1