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Die Arbeiten Fritz Steinkellners -Ein Essay/ Von Martin Adel
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Ein Raum optischer Intelligenz

Stationen II" von 1972 hängt mir gegenüber; 80 x 60 cm: beherrschend der dunkelmoosgrüne Grund. In der unteren Hälfte ein hell graublauer Berg, der aus einer schwarzen Maltertruhe wächst; darunter andere Baumaterialien in drei übereinander geschichteten Strukturen: zuunterst so etwas wie ein Haufen Streu (weiß und in hellem Neutraltinte-Ton die kräftigen Striche). Darüber drei aneinander gereihte Dachschindeln (wie zur Typologie eines Grundmusters und zugleich - Pars pro Toto - der Ausschnitt aus einer zeichnerisch aufs Wesentliche reduzierten Dachfläche) in gelbem, akkurat feinem Zeichenstrich auf einer breiteren schwarzen Grundzeichnung. Im Übrigen der einzige hell leuchtende Akzent in den gedämpft-gedeckten Farben.
Zuoberst die dritte Struktur in rätselhafter Form: eine unbekannte Kontinentalplatte, ausgefranst und in 3-D, die sich in der Begrenzung der Dachziegel wie zu deren Beschwerung teilweise darüber legt; in den Farben Schlamm und - in den "vietnamesischen" oder "koreanischen" Ausläufern - Neutraltinte wiederholend.

Die scharf gebrochene Kante, die plastische Bruchlinie sozusagen, in Umbra.
Oder ist es gar kein Kontinent, sondern ein Stück abgeplatzter Mauerputz? Was spielt das für eine Rolle?! Wichtig jedenfalls sind die Bild-"Materialien": Strich, Linie, Fläche, Körper.

Die scharf gebrochene Kante, die plastische Bruchlinie sozusagen, in Umbra.
Oder ist es gar kein Kontinent, sondern ein Stück abgeplatzter Mauerputz? Was spielt das für eine Rolle?! Wichtig jedenfalls sind die Bild-"Materialien": Strich, Linie, Fläche, Körper. Der Baukasten aller Bil-
der - und der Welt des Homo
Faber.
Auf dem peinlich genauen Entwurf zu diesem Siebdruck - einer vergleichsweise winzigen Gouache - sind nicht nur die feinen Pinselstriche in den monochromen Flächen noch zu sehen, sondern auch (bei genauer Betrachtung) der zugrunde liegende enge Raster, ein konstruktiver "grid", wie er in anderen Blättern der nämlichen neunteiligen Serie als gestalterisches Prinzip auftaucht.
Das ist ein Hinweis mehr, dass hier alle gestalterischen Prinzipien zum Einsatz kommen, auch wenn das Endprodukt diese Grundstruktur unter der vollflächigen Farbe begräbt. Die Spannung jedoch zwischen der Ruhe der homogenen Fläche (der Objektivität der Farbe) und dem zeichnerisch be- und umschreibenden Strich (der Subjektivität des gestaltenden Zugriffs) bleibt das hervorstechende Merkmal. Man möchte es, fast mathematisch, so ausdrücken: "gegeben ist. . . .". Das ist die Aufgabe.
II.
Die Lösung ist offen und verlangt doch nach Bewältigung; alle Arbeit zielt darauf hin und gewinnt daraus auch den Antrieb. In der (einstweiligen) Lösung kommt die Frage (zunächst) zum Stillstand. Der Weg der "Reflexion" ist sinnlos, wenn er an kein Ergebnis gelangt.
Nur ist das Ergebnis einer Produktion zugleich ihr Ende, das Ende der Herausforderung. "Das Haus ist gebaut!" Normalerweise.
Fritz Steinkellner hat tatsächlich ein Haus gebaut, buchstäblich und großteils mit den eigenen Händen. Das Material war gegeben (ein altes Weinviertier Bauernhaus mit runden Tonschindeln wie auf dem Bild "Stationen II", und auch die Maltertruhe wird nicht gefehlt haben).

Und wenn er zuzeiten gerne darin wohnt und arbeitet und zufrieden ist über verschiedene Lösungen, so sucht er selbst hier noch nach weiteren Veränderungen: "gegeben ist. . . ." - und was kann daraus werden!?
Was fertig ist, muss man hinter sich zurücklassen.

Und wenn er zuzeiten gerne darin wohnt und arbeitet und zufrieden ist über verschiedene Lösungen, so sucht er selbst hier noch nach weiteren Veränderungen: "gegeben ist. . . ." - und was kann daraus werden!?
Was fertig ist, muss man hinter sich zurücklassen. Das Fertige ist ein gedankliches Vakuum. Die Vermeidungsstrategie heißt bei ihm nicht schöpferisches Chaos (der klassische Gegenpol zum Vakuum), sondern Ordnung, und sei es Neuordnung.
Es sind nicht die beengten Raumverhältnisse gewesen (Fritz Steinkellner hat nie in großen, weitläufigen Ateliers gearbeitet), die ihn zu einer peniblen Ordnung veranlasst haben. Die genaue Ordnung wirkt wie die dem Chaos abgetrotzte Ordnung (von den geordneten und säuberlich gespitzten Farbstiften bis zu den streng geordnet platzierten Schuhen), aber es ist keine endgültige Ordnung, das Einfrieren im Stillstand, sondern Versuchsanordnung, experimentelle Anordnung, eine Möglichkeitsform. So oder so ähnlich könnte es sein. Eine einstweilige Verfügung. Ein strenger Kommentar zu "gegeben ist. . . .".
Das Haus im Weinviertel, die Wohnung, das kleine Atelier, das sind im Wesentlichen auch Laboratorien, in denen Fritz Steinkellner bis heute seinen Experimenten nachgeht. Die Orte sind zufällig und alles andere als endgültig; sie sind lediglich Koordinaten, Annahmen, die Gegebenes beinhalten. Das Gegebene ist nichts Zwangsläufiges, sondern eine Herausforderung, die angenommen wird.
Werk und Wohnen haben bei Fritz Steinkellner mehr als eine alliterierende Verwandtschaft. Nichts hat ihn je mehr geschreckt als die Vorstellung, vom Experiment ins Fahrwasser fixfertiger Lösungen zu geraten; d. h., sich nach äußeren (!) Kriterien unverwechselbar linear zu entwickeln, marktmäßig, labelmäßig. Er weigert sich hartnäckig, das Feld des Experiments zu verlassen. Vielleicht ist auch deshalb die
inhaltliche Entschlüsselung (etwa von "Stationen II") eigentlich irrelevant.
III.
Irrelevant, aber "revelant": entwickelnd wie ein Fotoentwickler. Der Prozess, bei dem aus dem weißen Fotopapier leichte Grautöne aufsteigen und sich bis ins tiefe Schwarz ausdifferenzieren, ist spannend. Das Ergebnis mag schön sein, soll zumindest zufriedenstellend sein, aber wenn es einmal vorliegt, lässt es sich routinemäßig vervielfältigen.
Und hier nochmals zurück zu den Siebdrucken. Die These lautet: Nicht die Vervielfältigbarkeit hat Fritz Steinkellner gereizt (wie so viele Phantastische Realisten mit den 1.000er-Auflagen ihrer Radierungen um eben diese Zeit), sondern die Umsetzung von der Malerei in den Druck. Mehr noch: in den händischen Druck. Und die Präzision dieser Drucke (in kleinen Auflagen!) kommt nicht aus maschineller Gleichförmigkeit, sondern aus manueller Arbeit.
So, kann man sagen, sind alle Werkgruppen Fritz Steinkellners entstanden: mit geradezu selbstpeinigender Perfektion und Erfüllung der gestellten Aufgabe, aber ohne je in Versuchung zu geraten, den Reiz der Aufgabe im Ergebnis auszureizen. In den Serien (aus denen die Werkgruppen bestehen) ist nichts Serielles zu erkennen. Auch kein Sich-gehen-Lassen, keine Redundanz.
IV.
So sehr Fritz Steinkellners Arbeiten auch um Prozess und Verwandlung kreisen, es sind keine Bilder zum Lesen, sondern zum Schauen. Nichts Narratives, nichts tageszeitlich oder raumspezifisch Referentielles. Nur Bild. Nur selbstreferentiell.
An einem Beispiel: Ende der 90er Jahre kam ich zum ersten Mal in sein Atelier in der Oberen Augartenstraße. Spätnachmittags. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand waren acht Papierbögen, Stoß an Stoß, hochgestellt und in zwei Reihen angeordnet, an die Wand geklebt. Auf jedem Bogen ein Gewirr von Farbstiftstrichen, hart an der Grenze, bevor die Fläche vor lauter Strichen einfach zugeht, zu Brei wird und jede Kraft der Akzentuierung verliert - die Strichlagen also bis zur äußersten Spannung ausgereizt, ehe diese in Brei implodiert. Und darauf - auf vielfältige Grüntöne, auf Gelb und Rot - fiel das Spätnachmittagslicht. Und während ich schaute, wurde das Licht zuerst goldener und dann dünkler und schließlich düster. Er wollte Licht machen. Ich sagte: bitte nicht! Ich sah auf dem achtteiligen Bild den Wald dunkel werden.
Und zwar so, wie ich es noch nie gesehen hatte, aber wie ich es mir im Kopf vorstelle. So wird der Wald dunkel. DER WALD. Das meine ich mit Schauen. Und auf den Begriff gebracht werden. Kopfarbeit, Virtualität, die den konkreten Gegenstand hinter sich lässt. Das Bild koppelt sich ab von seinem Ausgangspunkt, verlässt ihn, um sich der eigenen Lösungsmöglichkeit zu stellen. Aus dem Gegebenen wird eine völlig neue Aufgabe.
Der Versuch, in Fritz Steinkellners Arbeit Konkretes und Abstraktes als solches zu bezeichnen oder aufzuspüren, ist sinnlos, weil nichtssagend. Möglicherweise hilft Helmut Heißenbüttel weiter. Der ist in einem alten Aufsatz unter dem Titel "Das Konkrete in der Poesie" der Frage nachgegangen, was denn die hinter dem Text verborgene Absicht des Dichters sei, also der Frage nach dem Kern, dem quasi architektonischen Fluchtpunkt von Form und Inhalt.
Vor diesem und nur vor diesem Hintergrund: Die Frage von Form und Inhalt ist längst neu gestellt worden, indem die Form sich selbst zum Inhalt gemacht hat. Spätestens mit Kandinskys Improvisationen, Malewitschs monochromen Quadraten oder Duchamps und Man Rays Ready-mades haben sich Grundformen und Vorgeformtes sozusagen emanzipiert. Diese Radikalisierung des Verhältnisses von "signifiant" und "signifie" lässt sich nicht fortspinnen. Sie lässt sich aber auch nicht rückgängig machen. Hier kann nur noch individuell ausdifferenziert und sehr
persönlich radikalisiert werden, gleichgültig, ob gegenständlich, abstrakt, mechanisch, konstruktiv oder elektronisch, aber immer im Sinne von Heißenbüttels Konkretem, dem Nukleus des individuellen Werks.
V.
Zu Beginn seiner künstlerischen Entwicklung, vor gut 30 Jahren, stand Fritz Steinkellner noch etwa Bruno Gironcoli oder Walter Pichler nahe, aber kaum ein anderer Künstler hat wie er sich so oft und so scheinbar sprunghaft einer offensichtlichen Kontinuität verweigert. Gegenständliche Phasen wechseln mit figurativen, großflächige Formen wechseln, scheint's unvermittelt, mit völlig abstrakten Strichlagen; und dazwischen verstreut Werkgruppen nach verschiedensten Vorlagen: nach Landschaftsfotos, nach einem Porträt oder nach Monet. So verschieden die Weisen der Verarbeitung, das Konkrete (nach Heißenbüttel) ist gleich geblieben.
Fritz Steinkellner kontrolliert das Bild durch das Bild. Der Strich reflektiert die Malerei und stellt sie auf die Probe. Was hält hier stand? Die Oberfläche? Der Umriss oder die Gestalt? Der ästhetische Reiz? Die dargestellte Form? Die Lesbarkeit des Dargestellten verschwindet zu oft (in ganzen Werkeinheiten oder Werkperioden) in der Abstraktion, um in anderen Werkeinheiten oder Werkperioden einer scheinbar "realistischen" Thematik oder gar Darstellung zu weichen. Daraus ist kaum etwas abzuleiten, außer eben dieses: Die Lesbarkeit des Dargestellten ist nicht wichtig. Die Differenzierung des WAS durch das WIE steht als Arbeit an. WAS = "gegeben ist. . . ."; WIE = Reflexion und selbstreferentieller Kommentar.
In einem Werküberblick in dem Katalog "ZEICHNEN. Bilder 1970-1995" spielt sich die Unterscheidung in "Form"- und "Strich"-Bilder ins Blickfeld; Gebilde-Form-Kompositionen und Linien-Strich-Kompositionen. Erstere, insbesondere eine großformatige Werkgruppe aus der ersten Hälfte der 90er Jahre, erscheint noch aus wenigen Metern Entfernung als großzügig pastos gemalt. Erst aus knapper Distanz lösen sich die vermeintlichen Pinselstriche in Abertausenden feinen Farbstiftstrichen auf. Sisyphusarbeit in der für Fritz Steinkellner charakteristischen Strichtechnik? Aber wozu dieses "Täuschungsmanöver"? Dieser Strich ist eben mehr als der individuelle "fingerprint" des Künstlers. Er tastet sich heran und er tastet ab.
"taste" (engl.) = Geschmack: jene wahrscheinlich am stärksten gesellschaftlichen Konventionen unterliegende sinnliche Erfahrung; dieser Geschmack im erweiterten Wortsinn wird hier abgetastet. Mechanisch intuitiv, aber in reflexiver Absicht. "gegeben ist. . . .", aber was ist daran sicher unter der Lupe, unter der die Mikrostruktur die Makrostruktur überwuchert?
Zerlegen, analysieren, neu zusammensetzen, neu ordnen. Das Ergebnis kreiert in seiner "Künstlichkeit" eine neue Organizität. Und so gesehen ist gerade die bisher letzte Werkgruppe mit 36 "Landschaftsbildern" nach ebenso vielen fotografischen Vorlagen ein besonders raffiniertes Beispiel. Die grauen, grob gerasterten Abbilder der Wirklichkeit werden farbig extrapoliert; sie werden transponiert, transformiert und manipuliert. Eine Metamorphose findet statt - und nicht im Sinne eines Fotorealismus. Aber da gibt es auch keine Striche mehr, sondern ein Meer aus "fingerprints". Auf kleinen Papierschnitzeln hat Fritz Steinkellner mit dem Finger die Farbstiftfarben (unter Hinzunahme von Wasser) angemischt und die gemischten Farben anschließend mit dem Finger auf den Bildgrund aufgetippt. Abtasten des Papierbogens und Herstellen des Bildes sind eins. Hier wird be- griffen. Die Osmose von Wahrnehmung, Reflexion, physischer Umsetzung und Neukreation als Demonstration. In zwei Phasen: als kleine "Palettenbilder" und als Summe im "fertigen" Bild.
Dass das an Landschaftsbildern geschieht, ist ein wunderbarer Einfall, aber um Landschaftsbilder geht es selbstverständlich nicht. Die "Natürlichkeit" ist ganz anderer Natur. Fritz Steinkellner demonstriert die Verarbeitung der Wahrnehmung in allen Phasen und breitet vor uns den Raum optischer Intelligenz aus, in dem zwischen lustvoll haptischer Erfassung und überlegter Versuchsanordnung sein Werk weiter wächst.


Erschienen am: 08.02.2002

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