Ein Raum optischer Intelligenz
Stationen II" von 1972 hängt mir gegenüber; 80 x 60 cm: beherrschend
der dunkelmoosgrüne Grund. In der unteren Hälfte ein hell graublauer Berg,
der aus einer schwarzen Maltertruhe wächst; darunter andere Baumaterialien
in drei übereinander geschichteten Strukturen: zuunterst so etwas wie ein
Haufen Streu (weiß und in hellem Neutraltinte-Ton die kräftigen Striche).
Darüber drei aneinander gereihte Dachschindeln (wie zur Typologie eines
Grundmusters und zugleich - Pars pro Toto - der Ausschnitt aus einer
zeichnerisch aufs Wesentliche reduzierten Dachfläche) in gelbem, akkurat
feinem Zeichenstrich auf einer breiteren schwarzen Grundzeichnung. Im
Übrigen der einzige hell leuchtende Akzent in den gedämpft-gedeckten
Farben. Zuoberst die dritte Struktur in rätselhafter Form: eine
unbekannte Kontinentalplatte, ausgefranst und in 3-D, die sich in der
Begrenzung der Dachziegel wie zu deren Beschwerung teilweise darüber legt;
in den Farben Schlamm und - in den "vietnamesischen" oder "koreanischen"
Ausläufern - Neutraltinte wiederholend.
Die scharf gebrochene Kante, die
plastische Bruchlinie sozusagen, in Umbra. Oder ist es gar kein
Kontinent, sondern ein Stück abgeplatzter Mauerputz? Was spielt das
für eine Rolle?! Wichtig jedenfalls sind die Bild-"Materialien":
Strich, Linie, Fläche, Körper. |
Die scharf gebrochene Kante, die plastische Bruchlinie sozusagen, in
Umbra. Oder ist es gar kein Kontinent, sondern ein Stück abgeplatzter
Mauerputz? Was spielt das für eine Rolle?! Wichtig jedenfalls sind die
Bild-"Materialien": Strich, Linie, Fläche, Körper. Der Baukasten aller
Bil- der - und der Welt des Homo Faber. Auf dem peinlich
genauen Entwurf zu diesem Siebdruck - einer vergleichsweise winzigen
Gouache - sind nicht nur die feinen Pinselstriche in den monochromen
Flächen noch zu sehen, sondern auch (bei genauer Betrachtung) der zugrunde
liegende enge Raster, ein konstruktiver "grid", wie er in anderen Blättern
der nämlichen neunteiligen Serie als gestalterisches Prinzip auftaucht.
Das ist ein Hinweis mehr, dass hier alle gestalterischen Prinzipien
zum Einsatz kommen, auch wenn das Endprodukt diese Grundstruktur unter der
vollflächigen Farbe begräbt. Die Spannung jedoch zwischen der Ruhe der
homogenen Fläche (der Objektivität der Farbe) und dem zeichnerisch be- und
umschreibenden Strich (der Subjektivität des gestaltenden Zugriffs) bleibt
das hervorstechende Merkmal. Man möchte es, fast mathematisch, so
ausdrücken: "gegeben ist. . . .". Das ist die Aufgabe. II. Die
Lösung ist offen und verlangt doch nach Bewältigung; alle Arbeit zielt
darauf hin und gewinnt daraus auch den Antrieb. In der (einstweiligen)
Lösung kommt die Frage (zunächst) zum Stillstand. Der Weg der "Reflexion"
ist sinnlos, wenn er an kein Ergebnis gelangt. Nur ist das Ergebnis
einer Produktion zugleich ihr Ende, das Ende der Herausforderung. "Das
Haus ist gebaut!" Normalerweise. Fritz Steinkellner hat tatsächlich
ein Haus gebaut, buchstäblich und großteils mit den eigenen Händen. Das
Material war gegeben (ein altes Weinviertier Bauernhaus mit runden
Tonschindeln wie auf dem Bild "Stationen II", und auch die Maltertruhe
wird nicht gefehlt haben).
Und wenn er zuzeiten gerne darin
wohnt und arbeitet und zufrieden ist über verschiedene Lösungen, so
sucht er selbst hier noch nach weiteren Veränderungen: "gegeben ist.
. . ." - und was kann daraus werden!? Was fertig ist, muss man
hinter sich zurücklassen. |
Und wenn er zuzeiten gerne darin wohnt und arbeitet und zufrieden ist
über verschiedene Lösungen, so sucht er selbst hier noch nach weiteren
Veränderungen: "gegeben ist. . . ." - und was kann daraus werden!? Was
fertig ist, muss man hinter sich zurücklassen. Das Fertige ist ein
gedankliches Vakuum. Die Vermeidungsstrategie heißt bei ihm nicht
schöpferisches Chaos (der klassische Gegenpol zum Vakuum), sondern
Ordnung, und sei es Neuordnung. Es sind nicht die beengten
Raumverhältnisse gewesen (Fritz Steinkellner hat nie in großen,
weitläufigen Ateliers gearbeitet), die ihn zu einer peniblen Ordnung
veranlasst haben. Die genaue Ordnung wirkt wie die dem Chaos abgetrotzte
Ordnung (von den geordneten und säuberlich gespitzten Farbstiften bis zu
den streng geordnet platzierten Schuhen), aber es ist keine endgültige
Ordnung, das Einfrieren im Stillstand, sondern Versuchsanordnung,
experimentelle Anordnung, eine Möglichkeitsform. So oder so ähnlich könnte
es sein. Eine einstweilige Verfügung. Ein strenger Kommentar zu "gegeben
ist. . . .". Das Haus im Weinviertel, die Wohnung, das kleine Atelier,
das sind im Wesentlichen auch Laboratorien, in denen Fritz Steinkellner
bis heute seinen Experimenten nachgeht. Die Orte sind zufällig und alles
andere als endgültig; sie sind lediglich Koordinaten, Annahmen, die
Gegebenes beinhalten. Das Gegebene ist nichts Zwangsläufiges, sondern eine
Herausforderung, die angenommen wird. Werk und Wohnen haben bei Fritz
Steinkellner mehr als eine alliterierende Verwandtschaft. Nichts hat ihn
je mehr geschreckt als die Vorstellung, vom Experiment ins Fahrwasser
fixfertiger Lösungen zu geraten; d. h., sich nach äußeren (!) Kriterien
unverwechselbar linear zu entwickeln, marktmäßig, labelmäßig. Er weigert
sich hartnäckig, das Feld des Experiments zu verlassen. Vielleicht ist
auch deshalb die inhaltliche Entschlüsselung (etwa von "Stationen II")
eigentlich irrelevant. III. Irrelevant, aber "revelant":
entwickelnd wie ein Fotoentwickler. Der Prozess, bei dem aus dem weißen
Fotopapier leichte Grautöne aufsteigen und sich bis ins tiefe Schwarz
ausdifferenzieren, ist spannend. Das Ergebnis mag schön sein, soll
zumindest zufriedenstellend sein, aber wenn es einmal vorliegt, lässt es
sich routinemäßig vervielfältigen. Und hier nochmals zurück zu den
Siebdrucken. Die These lautet: Nicht die Vervielfältigbarkeit hat Fritz
Steinkellner gereizt (wie so viele Phantastische Realisten mit den
1.000er-Auflagen ihrer Radierungen um eben diese Zeit), sondern die
Umsetzung von der Malerei in den Druck. Mehr noch: in den händischen
Druck. Und die Präzision dieser Drucke (in kleinen Auflagen!) kommt nicht
aus maschineller Gleichförmigkeit, sondern aus manueller Arbeit. So,
kann man sagen, sind alle Werkgruppen Fritz Steinkellners entstanden: mit
geradezu selbstpeinigender Perfektion und Erfüllung der gestellten
Aufgabe, aber ohne je in Versuchung zu geraten, den Reiz der Aufgabe im
Ergebnis auszureizen. In den Serien (aus denen die Werkgruppen bestehen)
ist nichts Serielles zu erkennen. Auch kein Sich-gehen-Lassen, keine
Redundanz. IV. So sehr Fritz Steinkellners Arbeiten auch um
Prozess und Verwandlung kreisen, es sind keine Bilder zum Lesen, sondern
zum Schauen. Nichts Narratives, nichts tageszeitlich oder raumspezifisch
Referentielles. Nur Bild. Nur selbstreferentiell. An einem Beispiel:
Ende der 90er Jahre kam ich zum ersten Mal in sein Atelier in der Oberen
Augartenstraße. Spätnachmittags. An der dem Fenster gegenüberliegenden
Wand waren acht Papierbögen, Stoß an Stoß, hochgestellt und in zwei Reihen
angeordnet, an die Wand geklebt. Auf jedem Bogen ein Gewirr von
Farbstiftstrichen, hart an der Grenze, bevor die Fläche vor lauter
Strichen einfach zugeht, zu Brei wird und jede Kraft der Akzentuierung
verliert - die Strichlagen also bis zur äußersten Spannung ausgereizt, ehe
diese in Brei implodiert. Und darauf - auf vielfältige Grüntöne, auf Gelb
und Rot - fiel das Spätnachmittagslicht. Und während ich schaute, wurde
das Licht zuerst goldener und dann dünkler und schließlich düster. Er
wollte Licht machen. Ich sagte: bitte nicht! Ich sah auf dem achtteiligen
Bild den Wald dunkel werden. Und zwar so, wie ich es noch nie gesehen
hatte, aber wie ich es mir im Kopf vorstelle. So wird der Wald dunkel. DER
WALD. Das meine ich mit Schauen. Und auf den Begriff gebracht werden.
Kopfarbeit, Virtualität, die den konkreten Gegenstand hinter sich lässt.
Das Bild koppelt sich ab von seinem Ausgangspunkt, verlässt ihn, um sich
der eigenen Lösungsmöglichkeit zu stellen. Aus dem Gegebenen wird eine
völlig neue Aufgabe. Der Versuch, in Fritz Steinkellners Arbeit
Konkretes und Abstraktes als solches zu bezeichnen oder aufzuspüren, ist
sinnlos, weil nichtssagend. Möglicherweise hilft Helmut Heißenbüttel
weiter. Der ist in einem alten Aufsatz unter dem Titel "Das Konkrete in
der Poesie" der Frage nachgegangen, was denn die hinter dem Text
verborgene Absicht des Dichters sei, also der Frage nach dem Kern, dem
quasi architektonischen Fluchtpunkt von Form und Inhalt. Vor diesem
und nur vor diesem Hintergrund: Die Frage von Form und Inhalt ist längst
neu gestellt worden, indem die Form sich selbst zum Inhalt gemacht hat.
Spätestens mit Kandinskys Improvisationen, Malewitschs monochromen
Quadraten oder Duchamps und Man Rays Ready-mades haben sich Grundformen
und Vorgeformtes sozusagen emanzipiert. Diese Radikalisierung des
Verhältnisses von "signifiant" und "signifie" lässt sich nicht
fortspinnen. Sie lässt sich aber auch nicht rückgängig machen. Hier kann
nur noch individuell ausdifferenziert und sehr persönlich
radikalisiert werden, gleichgültig, ob gegenständlich, abstrakt,
mechanisch, konstruktiv oder elektronisch, aber immer im Sinne von
Heißenbüttels Konkretem, dem Nukleus des individuellen Werks. V.
Zu Beginn seiner künstlerischen Entwicklung, vor gut 30 Jahren, stand
Fritz Steinkellner noch etwa Bruno Gironcoli oder Walter Pichler nahe,
aber kaum ein anderer Künstler hat wie er sich so oft und so scheinbar
sprunghaft einer offensichtlichen Kontinuität verweigert. Gegenständliche
Phasen wechseln mit figurativen, großflächige Formen wechseln, scheint's
unvermittelt, mit völlig abstrakten Strichlagen; und dazwischen verstreut
Werkgruppen nach verschiedensten Vorlagen: nach Landschaftsfotos, nach
einem Porträt oder nach Monet. So verschieden die Weisen der Verarbeitung,
das Konkrete (nach Heißenbüttel) ist gleich geblieben. Fritz
Steinkellner kontrolliert das Bild durch das Bild. Der Strich reflektiert
die Malerei und stellt sie auf die Probe. Was hält hier stand? Die
Oberfläche? Der Umriss oder die Gestalt? Der ästhetische Reiz? Die
dargestellte Form? Die Lesbarkeit des Dargestellten verschwindet zu oft
(in ganzen Werkeinheiten oder Werkperioden) in der Abstraktion, um in
anderen Werkeinheiten oder Werkperioden einer scheinbar "realistischen"
Thematik oder gar Darstellung zu weichen. Daraus ist kaum etwas
abzuleiten, außer eben dieses: Die Lesbarkeit des Dargestellten ist nicht
wichtig. Die Differenzierung des WAS durch das WIE steht als Arbeit an.
WAS = "gegeben ist. . . ."; WIE = Reflexion und selbstreferentieller
Kommentar. In einem Werküberblick in dem Katalog "ZEICHNEN. Bilder
1970-1995" spielt sich die Unterscheidung in "Form"- und "Strich"-Bilder
ins Blickfeld; Gebilde-Form-Kompositionen und Linien-Strich-Kompositionen.
Erstere, insbesondere eine großformatige Werkgruppe aus der ersten Hälfte
der 90er Jahre, erscheint noch aus wenigen Metern Entfernung als großzügig
pastos gemalt. Erst aus knapper Distanz lösen sich die vermeintlichen
Pinselstriche in Abertausenden feinen Farbstiftstrichen auf.
Sisyphusarbeit in der für Fritz Steinkellner charakteristischen
Strichtechnik? Aber wozu dieses "Täuschungsmanöver"? Dieser Strich ist
eben mehr als der individuelle "fingerprint" des Künstlers. Er tastet sich
heran und er tastet ab. "taste" (engl.) = Geschmack: jene
wahrscheinlich am stärksten gesellschaftlichen Konventionen unterliegende
sinnliche Erfahrung; dieser Geschmack im erweiterten Wortsinn wird hier
abgetastet. Mechanisch intuitiv, aber in reflexiver Absicht. "gegeben ist.
. . .", aber was ist daran sicher unter der Lupe, unter der die
Mikrostruktur die Makrostruktur überwuchert? Zerlegen, analysieren,
neu zusammensetzen, neu ordnen. Das Ergebnis kreiert in seiner
"Künstlichkeit" eine neue Organizität. Und so gesehen ist gerade die
bisher letzte Werkgruppe mit 36 "Landschaftsbildern" nach ebenso vielen
fotografischen Vorlagen ein besonders raffiniertes Beispiel. Die grauen,
grob gerasterten Abbilder der Wirklichkeit werden farbig extrapoliert; sie
werden transponiert, transformiert und manipuliert. Eine Metamorphose
findet statt - und nicht im Sinne eines Fotorealismus. Aber da gibt es
auch keine Striche mehr, sondern ein Meer aus "fingerprints". Auf kleinen
Papierschnitzeln hat Fritz Steinkellner mit dem Finger die Farbstiftfarben
(unter Hinzunahme von Wasser) angemischt und die gemischten Farben
anschließend mit dem Finger auf den Bildgrund aufgetippt. Abtasten des
Papierbogens und Herstellen des Bildes sind eins. Hier wird be- griffen.
Die Osmose von Wahrnehmung, Reflexion, physischer Umsetzung und
Neukreation als Demonstration. In zwei Phasen: als kleine "Palettenbilder"
und als Summe im "fertigen" Bild. Dass das an Landschaftsbildern
geschieht, ist ein wunderbarer Einfall, aber um Landschaftsbilder geht es
selbstverständlich nicht. Die "Natürlichkeit" ist ganz anderer Natur.
Fritz Steinkellner demonstriert die Verarbeitung der Wahrnehmung in allen
Phasen und breitet vor uns den Raum optischer Intelligenz aus, in dem
zwischen lustvoll haptischer Erfassung und überlegter Versuchsanordnung
sein Werk weiter wächst.
Erschienen am: 08.02.2002 |
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