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Kunstszene Peking: „Es geht nur ums Gewinnen“

15.04.2008 | 18:33 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Die im Wiener Mumok begonnene Schau „China – Facing Reality“ kehrte heim – in ein Land, in dem Künstler für westliche Augen die Freiheit proben dürfen. Und Stararchitekten das Olympia-Image polieren.

Drei Tage Peking. Das heißt, die unter Mao noch auf 3000 Jahre, unter der Kommunistischen Partei Chinas jetzt schon auf 5000 Jahre aufgeblasene chinesische Geschichte in nur 72 Stunden schockinhalieren – Große Mauer, Ming-Gräber, Verbotene Stadt und zeitgenössische Kunst. Verrückt? Ja. Aber wu wei, nur die Ruhe. Diese Stadt, dieses Land, dieses Volk ist – aus chinesischer Sicht jedenfalls – für den Ausländer, den Barbaren, sowieso nie zu verstehen.

So gesehen hat man in drei Tagen Peking alles und nichts erfahren. Vor allem aber, dass sich hier westliche Vorurteile verdächtig rasant bestätigen: Ohne Adressspickzettel auf Chinesisch kommt man nirgendwo hin. Gebaut wird mit einer Rücksichtslosigkeit, dass einem die Wiener Weltkulturerbeohren nur so hysterisch zu schlackern beginnen. Der Kommunismus fungiert nur noch als wiedererkennbarer Markenname eines Produkts, dessen Inhalt Kaderkapitalismus und dessen Preis Nationalismus ist. Und die Kunstszene, ja, die boomt, und wie.

Seit drei, vier Jahren wird für neue chinesische Kunst bei Auktionen in New York wie Hongkong Millionen bezahlt. Derzeitiger Rekord, aufgestellt erst vorige Woche: Liu Xiaodongs „Battlefield Realism: The Eighteen Arhats“ erzielte in Hongkong 7,83 Mio. Dollar. Der Käufer stammt übrigens aus Asien, gab Sotheby's bekannt.


Ein Museum für jeden (Star-)Künstler

Wen wundert es da, dass in China zurzeit allein für zeitgenössische Kunst 800 Museen in Planung sein sollen. Beziehungsweise das, was dort unter „Museum“ verstanden wird: Zumeist nämlich ein imageträchtiges Gebäude, mit dem Immobilienspekulanten ihre Projekte aufwerten. So werden etwa in einer chinesischen Provinz gerade acht „Museen“ für acht jüngere Künstler gebaut. Was diese mit diesen Bauten dann aber wirklich anfangen sollen, scheint keiner zu wissen. Hauptsache eröffnet wird heuer.

Umstände, die Edelbert Köb, Direktor des Wiener Museums moderner Kunst, nur mehr ein Lächeln kosten. Viel hat er in China schon erlebt, gesehen und ausgehandelt bei seinen Besuchen in den letzten Jahren. Er ist der einzige österreichische Museumsdirektor, der mit dem offiziellen China offensiv Kontakte pflegt. Die Türen dazu öffnete ihm Yvonne Weiler, deren verstorbener Mann Max Weiler in China einst große Erfolge hatte. So hat sich Köb nach einer China-Tournee mit abstrakten Malern aus Österreich 2005 heuer sogar an eine Koproduktion mit dem National Art Museum of China (Namoc) über zeitgenössische chinesische Kunst gewagt. Die Gruppenschau „China – Facing Reality“ wurde erst in Wien erprobt und vorige Woche dann in Peking eröffnet, zwischen mehreren tausenden Quadratmetern voll moderner Tuschmalerei. Und mit übrigens nur zwei anwesenden Ministern – was für ein derart prestigeversprechendes Projekt ungewöhnlich wenig ist.


Diplomatische Verwicklungen

Es gab diplomatische Verwicklungen: Eine in Wien lebende Chinesin hatte sich beim Propagandaministerium über die Ausstellung beschwert, Kunstministerin Claudia Schmied musste brieflich intervenieren. Eine Ausstellung als Grenzgang. Das war Köb von Beginn an bewusst. „Niemand in China weiß zurzeit, was in der Kunst erlaubt ist oder nicht, es ist völlig unberechenbar. Innerhalb der Partei tobt ein Kampf zwischen den traditionellen und den fortschrittlichen Mächten“, erklärt er.

So war zu erwarten, dass Künstler, die in Wien noch vertreten waren, im hochoffiziellen Namoc plötzlich verschwunden sind. Überhaupt ist die Schau um mindestens die Hälfte geschrumpft. Selbst für Wien hatten Künstler bereits Werke, im speziellen Fall einen Trickfilm über die in China verbotene Prostitution, verändern müssen.

Fang Lijun, Jahrgang 1963, mit zwei Großformaten seiner Weltentwürfe voll glatziger dicker Männer und draller Babys, ist von der Zensur nicht betroffen, jedenfalls spricht er darüber nicht. Er zählt zu den Hauptvertretern des „Zynischen Realismus“, wurde noch als Propagandakünstler auf der Universität ausgebildet und hatte Erfolg, bis 1989 das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens künstlerische Freiheiten stoppte. Die Partei fürchtete den bis dahin unpolitischen Realismus. Lijun gründete daraufhin mit hunderten anderen Künstlern nahe Peking das heute – wie könnte es anders ein – boomende Künstlerdorf Yuanmingyuan. Und begann, in Öl zu malen. Sujets, die immer Gutes und Schlechtes, Yin und Yang vereinen. Dann kam der westliche, bald auch der asiatische Kunstmarkt ins Spiel – heute ist Lijun Besitzer einer Restaurantkette, mehrerer Ateliers und einer Freiheit, die ihm wohl seine ausländischen Kontakte ermöglicht.


Freiheit im Kunstbezirk als Aushängeschild

Vertreten wird er von der Pekinger Galerie des Berliners Alexander Ochs, White Space, die von der chinesischen Künstlerin Tian Yuan geleitet wird. Sie war die zweite westliche Galerie hier und ist im mittlerweile legendären Dashanzi-Kunstbezirk beheimatet. Hier wird die Freiheit erprobt, hier scheint die Zensur beide Augen zuzukneifen. Aber was soll's – nicht einmal ein Promille der 1,3-Milliarden-Bevölkerung kennt diesen Ort, und für den Westen ist es das ideale Aushängeschild eines sich öffnenden Landes.

Trotzdem – Galeristin Tian überlegt umzuziehen. Hier, im einstigen Underground, ist es zu touristisch geworden. Im November erst hat ein belgischer Zuckerfabrikant sein „Ullens Center for Contemporary Art“ (UCCA) eröffnet, das erste professionelle private Kunstmuseum. Mittlerweile wurde der chinesische Kurator allerdings wieder degradiert und der ehemalige Palais-de-Tokyo-Direktor Jérôme Sans engagiert. Und beim Vernissagen-Dinner feiert eine internationale Künstler- und Kuratoren-Crowd Peking als „neues Berlin“.


Tummelplatz für mediokre Kuratoren

„China ist ein Tummelplatz für drittklassige Kuratoren aus dem Westen geworden“, meint dazu nur Edelbert Köb. Ein schaler Geschmack also stellt sich ein, während man im Dashanzi-Bezirk in eine Baulücke starrt, wo angeblich vor einer Woche noch ein guter Off-Kunstraum zu finden war. Doch hier ist zurzeit alles eine einzige Baustelle, wie überhaupt ganz Peking. Alles wird für Olympia aufpoliert, nicht nur die braunen Grashalme am Straßenrand, die vor einem Besuch des olympischen Komitees von den schier unerschöpflich vorhandenen Arbeitskräften grün besprüht wurden, wie Kai Strittmatter in seiner „Gebrauchsanweisung für China“ (Piper Verlag) berichtet.

Westliche Architekturstars sind fleißig am Werken für das weltoffene, moderne Image der Partei: Die Schweizer Herzog und de Meuron bauen unter Beratung von Ai WeiWei, der mittlerweile als einer von wenigen Künstlern die Olympia-Propaganda offen kritisiert, das „Vogelnest“, das Olympiastadion. Rem Kolhaas errichtet für den Fernsehsender CCTV eine atemberaubende Gebäudeschleife, die nach dem Pentagon zweitgrößtes Gebäude der Welt werden soll. Und der Olympia-Besucher wird das Land durch Norman Fosters gigantischen Flughafenterminal 3 betreten, groß wie 170 Fußballfelder.

Olympia ist nicht gut für China, lässt sich Maler Fang Lijun schließlich doch entlocken. Warum? „Es geht nur ums Gewinnen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2008)


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