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Ausstellung London: Lieber nackt als mit Affenhaar?

03.04.2007 | 18:26 | PATRICIA KÄFER (Die Presse)

Mode, Möbel, Telefon: Wie die Surrealisten das Design beeinflussten, zeigt eine Ausstellung im V&A.

So ein Surrealist trägt mitunter mit Absicht seinen Speisezettel auf der Brust: Lammkoteletts etwa. Die „Lammkotelett-Jacke“ der französischen Designerin Elsa Schiaparelli, schlicht schwarz mit aufgenähten, farbig-glänzenden Spiegel- und Strasssteinchen, die die charakteristische Form der Fleischstücke nachbilden, ist derzeit in London zu sehen. „Surreal Things“ heißt die Ausstellung im Victoria & Albert Museum (V&A). Den Einfluss des Surrealismus eines Salvador Dalí, eines René Magritte auf die Welt des Designs will die Frühlingsausstellung – „als erste“ überhaupt – dokumentieren.

Und verspricht dem vom Kontinent angereisten Besucher, den traumhaften, unwirklichen, unbewussten Inhalt auch in der Gestaltung der Ausstellung widerzuspiegeln. Voll der Erwartung eines surrealen Parcours ist man dann aber enttäuscht: Alles ganz real.


Ein Hummer auf der Gabel

Freilich beeindrucken einzelne der insgesamt etwa 300 Exponate: Dalís fantastisches Hummer-Telefon, das im Luxus statt des Hörers stolz ein Schalentier aus Kunststoff auf der Gabel trägt, es entstand 1938. Oder Schiaparellis Schuhe, Mantel und Handschuhe aus Affenhaar, die die Grenze zwischen Mensch und Tier betonen. Und Marcel Jeans Kasten mit offenen Türen, die in Wirklichkeit geschlossen sind – aufgemalt ist aber ein Spalt pro Tür, der den Blick auf einen Himmel „freigibt“.

In den Zwanzigerjahren war die Bewegung noch damit beschäftigt gewesen, während des kreativen Aktes ihr Bewusstsein und ihre Vernunft mittels Drogen, Schlaf etc. auszuschalten. Und konzentrierte sich (wohl allein aufgrund der Verletzungsgefahr) auf Schreiben, Zeichnen, Malen oder Collagen. In den Dreißigern hatte der Surrealismus die Elite der Avantgarde verlassen und brach ins breitere Feld populärer Gebrauchskunst aus: Die Designwelt wurde von den einst radikalen surrealistischen Tendenzen beeinflusst.

Und man ging dazu über, sehr wohl zu konstruieren: das surrealistische Objekt – wenngleich es für den strengen Surrealisten wie André Breton (er fertigte 1924 das Surrealistische Manifest) in der Theorie undenkbar, ja, ein Frevel war, seine Kunst zum Gebrauchsgegenstand zu degradieren. Und Sessel, Kleid, Werbung sind schließlich auch etwas Vernünftiges, etwas mit Kalkül zum Sitzen, zum Kleiden, zum Verkaufen Geschaffenes. Der große Exzentriker und Selbstinszenierer Dalí war freilich einer der Ersten, der Bretons hehre Ethik missachtete.

In London beschränkt man sich nun gerade auf diese Gebrauchskunst; die Filme Luis Buñuels (in Kooperation mit Dalí etwa der „Andalusische Hund“) zum Beispiel zählen nicht dazu.


Trügerisches Inneres: Das Skelett-Kleid

In sieben Blöcken sind die Ausstellungsstücke zusammengefasst, darunter „Trügerisches Inneres“ oder „Verfremdete Natur“. Die surrealistische Mode ist – dank der beeindruckenden Entwürfe Schiaparellis, des Skelett-Kleids etwa – im V&A ausgiebig vertreten. Den versprochenen Einfluss auf die Werbung belegen hingegen nur zwei Beispiele. Zu sehen ist auch eine Miniatur des Friedrich-Kiesler-Entwurfs für Peggy Guggenheims Art-of-This-Century-Galerie (1942): Tunnelartig begrenzen halbrunde Holzfassaden den Raum, darauf sind die Bilder auf Greifarmen statt in Rahmen befestigt. Audio-visuell wird der Betrachter von an- und ausgehenden Spotlichtern und dem Geräusch eines vorbeifahrenden Zuges multimedial „gefordert“. Längst überholt?

Die Ausstellungsmappe zitiert Dalí: „Ich versuche, magische Dinge zu kreieren, Dinge wie aus einem Traum. Die Welt braucht mehr Fantasie.“ Das war vielleicht eine innovative Forderung, als Männer mit aufgezwirbelten Schnurrbärten und aufgerissenen Augen noch schockierten. Heute klingt das bloß noch naiv.

Victoria & Albert Museum, bis 22.Juli.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2007)


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