Salzburger Nachrichten am 27. Oktober 2005 - Bereich: Kultur
Der Raum-Pionier

Die "Raumkonstruktionen" des Russen Alexander M. Rodtschenko sind in einer kleinen, feinen Ausstellung im Wiener Museum für Angewandte Kunst zu sehen.

ANNE ISOPP WIEN (SN). Zu Lebzeiten hat Alexander M. Rodtschenko seine Raumexperimente nie öffentlich gezeigt. Er hielt seine aus Holz oder Pappe gebauten Modelle für zu gewagt, um sie einem breiten Publikum zu präsentieren. Der Mitbegründer des russischen Konstruktivismus zerstörte seine Skulpturen gleich wieder, nachdem er sie mithilfe der Fotografie dokumentiert hatte. Der Nachwelt sind nur diese Bilder und seine Zeichnungen geblieben.

Das Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) zeigt seit Donnerstag in Zusammenarbeit mit der Rodtschenko-Stiftung Moskau und dem Shusev State Museum of Architecture in Moskau eine Auswahl seiner Werke.

Im Mittelpunkt der Ausstellung "Raumkonstruktionen" steht Rodtschenkos Auseinandersetzung mit der Fläche und dem Übergang der Fläche ins Räumliche. Zu sehen sind seine Skizzen sowie Rekonstruktionen seiner Anfang der zwanziger Jahre entworfenen frei schwebenden kinetischen Skulpturen und seiner Objekte aus Vierkanthölzern. In Ihrem Aufbau folgt die Schau dem Entwicklungsprozess des Künstlers: Für eine Reihe von Skizzen und Modellen ist die Fläche Ausgangsbasis für das Entwerfen von Raumsituationen und Bildern. In den folgenden Werken sind Kreis beziehungsweise Linie Konstruktions- und Ausdrucksmittel. Auf sehr eindrückliche Weise lässt diese Abfolge erkennen, wie sich Rodtschenko immer mehr von der Malerei und damit von der zweidimensionalen Fläche lossagt und mithilfe dieser einfachen geometrischen Formen gewagte Raummodelle schuf. In seinen architektonischen Entwürfen sowie Möbelentwürfen bedient er sich ebenfalls der Fläche, des Kreises und der Linie. Hierzu zählt der Entwurf für einen Zeitungskiosk sowie die Möblierung für den Arbeiterklub auf der Internationalen Kunstgewerbeausstellung 1925 in Paris.

Der 1891 in St. Petersburg geborene und 1956 in Moskau verstorbene Alexander M. Rodtschenko gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der russischen Avantgarde. Er war Maler, Designer, Grafiker und Fotograf zugleich. Mit seinen radikalen Visionen für Raumbildung und Architektur beeinflusste er - obwohl er kein praktizierender Architekt war - maßgeblich die Entwicklung der Architektur des 20. Jahrhunderts.

Die Tektonik wurde im Gegensatz zum monumentalen Stil der Vergangenheit zur bestimmenden Größe der Architektur. Dem Konstruktivismus folgte in den 80er Jahren der Dekonstruktivismus. "Architekten wie Peter Eisenman oder Zaha Hadid berufen sich immer wieder auf diese Bewegung", sagte Peter Noever, Direktor des MAK, anlässlich der Eröffnung. Die Arbeiten dieser renommierten Architekten sind ohne Dekonstruktivismus und damit ohne den Konstruktivisten Rodtschenko, den "Revolutionär, Pionier und Visionär" (Noever), nicht denkbar.

Laut Noever ist "Raumkonstruktionen", nach der 1991 im MAK gezeigten Retrospektive zu Rodtschenko und seiner Ehefrau Warwara F. Stepanowa, ein weiteres Bekenntnis des Museums zu dem Schlüsselwerk des Künstlers: "Er ist ein Klassiker und dennoch darf er keiner sein.""Raumkonstruktionen - Formale Experimente von Alexander M. Rodtschenko" zu sehen im Museum für Angewandte Kunst in Wien bis 26. Februar 2006. Info: www.mak.at. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: "Raumkonstruktionen", MAK/Schlebrügge. Editor, 21 Euro.