Kunsthalle im MuQua: "Flash Afrique. Fotografie aus Westafrika"
Bitte, lieber Weihnachtsmann!
Von Claudia Aigner
Hier wohnt eine goldene Kreditkarte, aber sie ist gerade
nicht zu Hause, weil sie einkaufen gegangen ist (wenngleich sie wohl kaum
noch etwas finden wird, was dieser Haushalt nicht schon daheim hätte). Mit
genau dieser kapitalismusverdächtigen Botschaft scheinen die kunterbunten,
naiv gemalten Kulissen, die bis zum Exzess mit westlichen Konsumgütern
vollgestopft sind, imprägniert zu sein. Und wer sich vor sie hinstellt,
müsste eigentlich, sofern er nicht selber Besitzer einer goldenen
Kreditkarte ist, instinktiv drauflos singen: "O Lord, will you buy me a
Mercedes Benz . . . a color TV. . . und den Rest auch noch." Aber wegen
der eventuellen Bewegungsunschärfe sollte man die Lippen lieber doch nicht
bewegen. Für die Dauer der Ausstellung "Flash Afrique. Fotografie aus
Westafrika" (bis 11. November) in der Kunsthalle Wien hat nämlich Philip
Kwame Apagya aus Ghana ("Ich hatte mir Europa immer wie einen gigantischen
Supermarkt vorgestellt") sein Fotostudio ebenfalls hierher ins
MuseumsQuartier verfrachtet. Und für 70 Schilling kann jeder Besucher mit
den fantasievollen gemalten Hintergründen aus Apagyas Studio regelrecht
fusionieren und sein "ökonomisches Fernweh" stillen (beispielsweise in -
oder eigentlich vor - einem "Fünf-Sterne-Badezimmer", wenn man so will als
"Drei-Badehauben-Badegast"). Vor der sonnigen Manhattan-Kulisse käme man
sich aber vermutlich in jedem Fall geschmacklos vor. Es wäre ja wohl kaum
ethisch vertretbar, etwa mit Wurfgeschossen auf das Passagierflugzeug im
blauen Himmel über Manhattan zu zielen (Motto: Ich rette die westliche
Welt). Und eine neutralere Pose (so zu tun, als wäre da gar kein Flugzeug)
ist ja derzeit kaum denkbar. Wenn Philip Kwame Apagya die
Studiofotografie auf originelle Weise ins Farbfilmzeitalter hinüberrettet,
so ist sein Studio trotzdem immer noch dieselbe "Traumfabrik", wie es die
Fotostudios (oft lediglich Bretterbuden) im Goldenen Zeitalter der
afrikanischen Studiofotografie in den fünfziger und sechziger Jahren
gewesen sind. Afrikanische Analphabeten geben beim Weihnachtsmann eine
Bestellung auf und präsentieren sich mit dem Objekt der Begierde: einem
Radiogerät, einer Vespa, und einer wünscht sich komischerweise eine
Ziehharmonika. Ganz so war es zwar nicht (der Weihnachtsmann hatte damit
ja nicht wirklich was zu tun), Seydou Keita aus Mali etwa hatte aber genug
Requisiten, um seine Kunden sofort mit einem um ein paar Nuancen höheren
Lebensstandard auszustatten. Oder die Leute brachten ihre
prestigeträchtige "Beute", die sie quasi mit Geld "erlegt" hatten, selber
mit, um sie fotografisch "registrieren" zu lassen (wie die Europäer ihre
Riesenkarpfen und kapitalen Hirsche): eine Singer-Nähmaschine zum
Beispiel. Am Land (abseits des elektrischen Stroms, wo er seine Bilder
dann übrigens in einem Benzinfass entwickelt hat) musste Keita allerdings
erst einmal den Fluchtreflex der Landbevölkerung in den Griff kriegen.
Seine potentiellen ländlichen Auftraggeber rannten sozusagen vor ihrer
eigenen Fotogenität davon oder drehten sich ganz unfotogen von der Kamera
weg, aus Angst, der Apparat könne ihre Seele stehlen und sie töten oder
der Fotograf könne sie gar nackt sehen. Die Kurzfassung von der
Blütezeit und dem Niedergang der Studiofotografie in Westafrika: "Wir
hatten so viele Kunden, dass wir sie vertreiben mussten." - "Die
Fotolabors haben uns unseren Erfolg gestohlen." Das sind zwei Zitate aus
dem hervorragend gemachten Videofilm "Schattenfänger" (ebenfalls in der
Ausstellung zu sehen) von Dorris Haron Kasco über den legendären
Studiofotografen Cornelius A. Augustt, wo der Alltag eines
"Studiofotografen der alten Garde" lebendig erzählt und gezeigt wird (bis
hin zum Schminken und Frisieren, also Retuschieren der Kunden). Auf
der dokumentarischen Schiene der unbedingt empfehlenswerten Schau: Bouna
Medoune Seye und Dorris Haron Kasco mit ihren Bettlern und Obdachlosen und
den "herumstreunenden" Verrückten, die aber genauso gut insgeheim
erleuchtet sein könnten und die auf der Straße in ihrem
"Openair-Irrenhaus" leben dürfen und also nicht (wie andernorts) quasi in
freier Wildbahn mit der Zwangsjacke eingefangen werden. Wenn man in diesen
pittoresken Gestalten, deren Kleidung teilweise wegerodiert ist und deren
Kühlschränke und sonstige "Nahversorger" die Müllcontainer der Stadt sind,
dennoch so etwas wie Würde entdeckt, dann liegt das vielleicht an einer
realitätsverleugnenden Clochard-Romantik des Betrachters, vermutlich aber
eher am Einfühlungsvermögen der Fotografen, die sich, auch wenn sie von
Berufs wegen Augenmenschen sind, der reinen Schaulust enthalten.
Erschienen am: 03.10.2001 |
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