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31.08.2005 - Kultur&Medien / Kultur News
Interview: "Es tut mir einfach weh, als wäre ein Familienmitglied gestorben"
VON NORBERT MAYER
Peter Turrini über Leben und Werk des Dichters Wolfgang Bauer: Ein Bahnbrecher des Theaters, ein messerscharfer Beobachter.

"Er hat mich nachhaltig beeinflusst", sagt der Dramatiker Peter Turrini im Gespräch mit der "Presse" über den am Freitag der Vorwoche verstorbenen Grazer Dichter Wolfgang Bauer, "er war der Erste, der das Lebensgefühl, das viele andere und auch ich damals in den Sechzigerjahren hatten, aufs Theater brachte. Zuerst gab es dieses Theater nur in den Köpfen einer Hand voll junger Leute." Bauer sei für sie ein Bahnbrecher gewesen. "Dass er auch ein Freund wurde, ist schön, aber das macht seinen Tod noch trauriger. Wolfi schien mir trotz seiner Selbstbeschädigung unverwüstlich. Ich habe viele Räusche mit ihm erlebt, am nächsten Tag ist er wieder auferstanden. Dass er plötzlich gestorben ist, trifft mich völlig überraschend."

Die Generation des Wolfgang Bauer sei in etlichen Bundesländern auffällig geworden, wendet sich Turrini gegen Grazer Exklusiv-Ansprüche auf die Avantgarde. "Ich habe Wolfi Bauer viel in Wien gesehen. Es war eine Art literarischer Aufstand der gesamten österreichischen Provinz, mit Peter Handke, Elfriede Jelinek, Michael Scharang und anderen."

Es sei völliger Blödsinn, das Frühwerk Bauers höher einzuschätzen als das späte, sagt Turrini gegen den Trend der Kritik, "das sind lächerliche Konstruktionen, einseitige Blicke. Natürlich sind seine Stücke immer fantastischer geworden, aber unser Leben ist doch auch immer verrückter geworden. Eine mediale, eine fiktive Welt ist immer massiver in unser reales Leben eingezogen. Bauer hat diesen Weg theatralisch verfolgt, früher als viele andere. Was der Schlingensief heute treibt, kann man alles schon bei Bauer nachlesen. Bauer hat messerscharf beobachtet, wie sich der Mensch zunehmend zwischen Fiktion und Wirklichkeit auflöst. Er ist seinem Blick immer treu geblieben, auch wenn sich die Blicke der anderen auf ihn veränderten."

Was hält Turrini vom Lyriker Bauer? "Ich bin ja meinem Wesen nach Dramatiker. Nur wenn es mir schlecht geht und ich mich nicht mehr hinter meinen Figuren verstecken kann, weiche ich in die Ich-Form des Gedichtes aus. Was Wolfi Bauers Gedichte betrifft, da appelliere ich an die Entdeckerfreude der Lesenden. Es gibt großartige Gedichte von ihm, beispielsweise der Gedichtband ,Das Herz', und ich verspreche dem Leser hellstes Lachen."

Der Tod des Kollegen schmerzt Turrini intensiv: "Es tut mir einfach weh, als wäre ein Familienmitglied gestorben. Mir gegenüber hat er immer Witze über seine körperlichen Zustände gerissen, und ich habe mitgelacht."

Was bleibt von Bauer? "Das Theater hat immer versucht, das Leben auf die Bühne zu bringen. Bauer hat diesen Mechanismus als Erster umgekehrt. Er hat die Bühne, das Fiktive ins Leben gebracht. Die Biografien seiner Figuren werden zunehmend vom Irrealen, vom Fantastischen geprägt."

Wolfgang Bauer wird am Freitag, dem 2. September, um 12.00 Uhr am Grazer Zentralfriedhof zur letzten Ruhe geleitet. Er bekommt ein Ehrengrab der Stadt Graz direkt neben dem Wiener Volksschauspieler Rudolf Carl. Die Gestaltung der Feier wurde von der Familie übernommen. Es soll Lesungen und Musik von befreundeten Künstlern geben.

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