VON CHRISTA DIETRICH E-MAIL:
christa.dietrich@vn.vol.at
Bregenz (VN) Man stelle sich vor, das
Kunsthaus wäre ein Schiff und der See reichte herauf bis zum
Kornmarkt. Irgendwann würde der Kubus mit der gläsernen
Schindelhaut, aus deren Ritzen es gestern Nachmittag in der Tat
schon schneite, immer tiefer versinken, eins werden mit einer weißen
Landschaft aus Eis und Schnee wie im Bild "Gescheiterte Hoffnung"
von Caspar David Friedrich. Der französische Künstler Pierre Huyghe
ist hier eingezogen und dazu angetreten, solche oder andere
Vorstellungen zu fördern.
"L'expedition scintillante - A musical" heißt seine
Arbeit, die nicht mehr als eine sich über mehrere Stockwerke
erstreckende Installation zu verstehen ist, sondern als Projekt, in
dem das Haus selbst zum Kunstwerk wird und seine Besucher zu
Protagonisten in einem realen wie auch fiktiven Raumgefüge, das mal
Haus bleibt und dann wieder zum Schiff wird.
Eine Reise
"Denn schlicht gesagt", so Kunsthausdirektor Eckhard
Schneider neben dem dazu nickenden Huyghe, "machen wir eine Reise."
Transportmittel ist - wie der Name schon sagt - auch die Musik. Aber
Musik (ein Konglomerat aus Schöpfungen von Satie und Debussy,
angereichert durch ein Lichtspiel), echter Regen, Nebel und ebenso
echter Schnee sind ohnehin nur Elemente einer "Show" (O-Ton), mit
der Huyghe die Besucher, die Reisenden (oder wen auch immer) unter
anderem mit Realität und Fiktion konfrontiert bzw. mit der Tatsache,
dass deren Schnittpunkte erstens nicht immer klar festzulegen sind
bzw. extrem davon abhängen, ob der Betrachter überhaupt dazu gewillt
ist, sie festzulegen.
Ein Umstand, der im Theater alltäglich ist, ein Umstand, der das
"Musical" daher zuweilen etwas dünn macht. Angereichert kann es aber
dann immer noch von der Literatur werden, denn mit Edgar Allan Poes
schauriger, alle Ängste aufzeigender Geschichte vom Antarktisfahrer
Arthur Gordon Pym - die auch Huyghe als Ausgangspunkt diente - und
im Wissen, dass Huyghe zudem von Spielbergs "Unheimliche Begegnung
der dritten Art" inspiriert war, entwickelt sich rasch jene
Vielschichtigkeit, die den Gang durchs Haus zum
(Selbst-)Erfahrungstrip machen kann. Er beginnt auf der ersten Etage
mit einem Eisschiff (das wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung
geschmolzen und nur noch per Filmdokument gegenwärtig sein wird) und
endet im Obergeschoss mit einer schwarzen, zur Bühne erhobenen
Eisfläche. Auf der Projektionsfläche schlechthin wird sich zwar das
Deckenlichtspiel spiegeln (Huyghe ließ die gesamte
Beleuchtungsanlage des Hauses nach eigenen Regeln umprogrammieren),
die zusätzlichen Faktoren Raum und Zeit kommen hier aber besonders
stark zum Tragen. Während sich das Theater bekanntermaßen
ausschließlich in der Gegenwart abspielt, wird es dem Besucher
möglich, weitere Medien per Projektion dazuzukoppeln.
Weiterer Schritt
Im Rahmen der letzten Biennale in Venedig konnten
Besucher im französischen Pavillon per Joystick die Lichter hinter
den Deckenfliesen ein- und ausschalten, um mit der Architektur des
Raumes zu spielen. Hier überlässt es Huyghe der Phantasie des
Einzelnen - angekurbelt vielleicht noch durch das Programmheft zum
"Musical in drei Akten" -, die Reise schließlich zu rekapitulieren.
Der Umgang mit der Architektur, der - gemessen an den Ausstellungen
seit Übernahme des Hauses durch Eckhard Schneider - zwar allein
aufgrund der Präsenz der Zumthorschen Ästhetik immer ein Thema war,
mitunter aber beliebig wirkte, ist hier, in dieser von Rudolf
Sagmeister kuratierten Ausstellung, wieder stark in den Vordergrund
gerückt.
Zwar sagt Pierre Huyghe, dass die Reise überall stattfinden
könnte, seine Untersuchung von Wahrnehmung und Wirklichkeit ist aber
konkret mit dem Ort und dem Raum verknüpft. In dieser Hinsicht und
zu diesem Zeitpunkt könnte ein weiterer Schritt nur zurück an den
Anfang führen, als man das leere Haus präsentierte und so mancher
erstaunt die erst einmal "perfekte" Architektur damit kommentierte,
dass allein eine Fliege schon zu viel an zusätzlichem Inhalt wäre.
Projekt "L'expedition scintillante" ("Funkelnde
Expedition") ist ab Samstag im Kunsthaus zugänglich.