VN Fr, 27.9.2002

Politik
Lokal
Sport
Markt
Kultur
Welt

Chronik
Notdienste
Wohin
Leserbriefe
TV
VN-Heimat

Anzeigen
eVN.vol.at






Kultur 

Reise zurück zum Anfang

Pierre Huyghe kann es in der Tat mit dem Kunsthaus Bregenz aufnehmen

VON CHRISTA DIETRICH E-MAIL: christa.dietrich@vn.vol.at

Bregenz (VN) Man stelle sich vor, das Kunsthaus wäre ein Schiff und der See reichte herauf bis zum Kornmarkt. Irgendwann würde der Kubus mit der gläsernen Schindelhaut, aus deren Ritzen es gestern Nachmittag in der Tat schon schneite, immer tiefer versinken, eins werden mit einer weißen Landschaft aus Eis und Schnee wie im Bild "Gescheiterte Hoffnung" von Caspar David Friedrich. Der französische Künstler Pierre Huyghe ist hier eingezogen und dazu angetreten, solche oder andere Vorstellungen zu fördern.

"L'expedition scintillante - A musical" heißt seine Arbeit, die nicht mehr als eine sich über mehrere Stockwerke erstreckende Installation zu verstehen ist, sondern als Projekt, in dem das Haus selbst zum Kunstwerk wird und seine Besucher zu Protagonisten in einem realen wie auch fiktiven Raumgefüge, das mal Haus bleibt und dann wieder zum Schiff wird.

Eine Reise

"Denn schlicht gesagt", so Kunsthausdirektor Eckhard Schneider neben dem dazu nickenden Huyghe, "machen wir eine Reise." Transportmittel ist - wie der Name schon sagt - auch die Musik. Aber Musik (ein Konglomerat aus Schöpfungen von Satie und Debussy, angereichert durch ein Lichtspiel), echter Regen, Nebel und ebenso echter Schnee sind ohnehin nur Elemente einer "Show" (O-Ton), mit der Huyghe die Besucher, die Reisenden (oder wen auch immer) unter anderem mit Realität und Fiktion konfrontiert bzw. mit der Tatsache, dass deren Schnittpunkte erstens nicht immer klar festzulegen sind bzw. extrem davon abhängen, ob der Betrachter überhaupt dazu gewillt ist, sie festzulegen.

Ein Umstand, der im Theater alltäglich ist, ein Umstand, der das "Musical" daher zuweilen etwas dünn macht. Angereichert kann es aber dann immer noch von der Literatur werden, denn mit Edgar Allan Poes schauriger, alle Ängste aufzeigender Geschichte vom Antarktisfahrer Arthur Gordon Pym - die auch Huyghe als Ausgangspunkt diente - und im Wissen, dass Huyghe zudem von Spielbergs "Unheimliche Begegnung der dritten Art" inspiriert war, entwickelt sich rasch jene Vielschichtigkeit, die den Gang durchs Haus zum (Selbst-)Erfahrungstrip machen kann. Er beginnt auf der ersten Etage mit einem Eisschiff (das wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung geschmolzen und nur noch per Filmdokument gegenwärtig sein wird) und endet im Obergeschoss mit einer schwarzen, zur Bühne erhobenen Eisfläche. Auf der Projektionsfläche schlechthin wird sich zwar das Deckenlichtspiel spiegeln (Huyghe ließ die gesamte Beleuchtungsanlage des Hauses nach eigenen Regeln umprogrammieren), die zusätzlichen Faktoren Raum und Zeit kommen hier aber besonders stark zum Tragen. Während sich das Theater bekanntermaßen ausschließlich in der Gegenwart abspielt, wird es dem Besucher möglich, weitere Medien per Projektion dazuzukoppeln.

Weiterer Schritt

Im Rahmen der letzten Biennale in Venedig konnten Besucher im französischen Pavillon per Joystick die Lichter hinter den Deckenfliesen ein- und ausschalten, um mit der Architektur des Raumes zu spielen. Hier überlässt es Huyghe der Phantasie des Einzelnen - angekurbelt vielleicht noch durch das Programmheft zum "Musical in drei Akten" -, die Reise schließlich zu rekapitulieren. Der Umgang mit der Architektur, der - gemessen an den Ausstellungen seit Übernahme des Hauses durch Eckhard Schneider - zwar allein aufgrund der Präsenz der Zumthorschen Ästhetik immer ein Thema war, mitunter aber beliebig wirkte, ist hier, in dieser von Rudolf Sagmeister kuratierten Ausstellung, wieder stark in den Vordergrund gerückt.

Zwar sagt Pierre Huyghe, dass die Reise überall stattfinden könnte, seine Untersuchung von Wahrnehmung und Wirklichkeit ist aber konkret mit dem Ort und dem Raum verknüpft. In dieser Hinsicht und zu diesem Zeitpunkt könnte ein weiterer Schritt nur zurück an den Anfang führen, als man das leere Haus präsentierte und so mancher erstaunt die erst einmal "perfekte" Architektur damit kommentierte, dass allein eine Fliege schon zu viel an zusätzlichem Inhalt wäre.

Projekt "L'expedition scintillante" ("Funkelnde Expedition") ist ab Samstag im Kunsthaus zugänglich.




Kultur 

Zum Seitenbeginn