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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Aufregung um Muehl 
05.03.2004
20:20 MEZ
Von
Peter Roos - deutscher Schriftsteller ("Hitler lieben. Roman einer Krankheit") , lebt in Wien und schreibt regelmäßig für "Spiegel", "FAZ" und die "Zeit", für die er zusammen mit Christof Siemes letzte Woche das viel zitierte Interview mit Otto Muehl führte.
 
MAK-Machismo um Otto Muehl - ein Kommentar der anderen
"Es ist die Gewalt, die verstört ..." - Ergänzende Anmerkungen zu einer Ausstellung, die nicht nur in ihren Werken erkennen lässt, wes Geistes Kind sie ist.

Es ist die Gewalt, die verstört. Und die Inkompetenz. - Der Direktor des Museums eröffnet die Otto-Muehl-Retrospektive. Die Gewalt beginnt schon beim Entree. Als stünde ein 11. September ins Haus, ist das Gebäude zum Hochsicherheitstrakt erklärt, und die Security greift dem Besucher zwischen die Beine.

Der nächste Akt der Posse ist der Kordon von Bodyguards mit mahlendem Kiefer und Bewegungsmelderblick, mit dem Herr Noever sich gürten lässt. Auf Kosten des Hauses, zum Bedeutsamkeitserweis seiner Person und des erhofften Skandals.

Gewalt schon im Vorfeld. Die wohlanständigen Versuche der Ex-Kommunarden und Opfer-Vertreter, dem Text der Bilder den Kon-Text ihrer Entstehung dialogisch gegenüber zu stellen, wurden monatelang vom Hausherrn ebenso aggressiv wie autokratisch negiert. Erst über die Intervention von zu Hilfe gerufenem Bank-Beirat und Ministerium ließ sich der Museumsleiter zu einem Telefonat herbei.

Gewalt auch im Geist der Ausstellung selbst. Was hier "Leben/Kunst/Werk" betitelt wird, ist Etikettenschwindel: Aus dem Kunstwerk ist das Leben programmatisch liquidiert. Damit wird Ästhetik und Ideologie des Muehl'schen Gesamtkunstlebenswerks gewaltsam gebeugt und das Konzept des Künstlers gebrochen. Die Dimension inwendiger Gewalt dessen, was Otto Muehl in Alltag und Atelier hervor brachte, blenden Eröffnungs-Rhetorik, Katalog-Text und Ausstellungs-Didaktik gleichfalls rigoros aus.

Denn hier tritt dem selbst ernannten Heilsbringer "Jesus-Otto" in Allianz die Lichtgestalt des selbst ernannten Aufklärers Noever zur Seite, der Freiheit von Sex und Kunst verteidigt gegen Finsterlinge und Dunkelmänner der political correctness, die angeblich gewaltsam seine Muehl-Show verhindern wollen.

Und das ist Inkompetenz.

Deshalb. Dem Direktor sitzt die Angst im Nacken. Das Genick eingezogen, lauter und lauter die Stimme, bei der Pressekonferenz liest er die 10-Minuten-Rede ab mit 38 "Ähs", bei der Vernissage werden daraus bei gleichem Text 62, nicht gerechnet die "quasi"-Verquastheiten, die "sozusagen"-Sager und der viel versprechende Versprecher vom "Otto Nitsch".

Auf Skandal spekuliert

Angst. Herr Noever hat an der Provokation gezündelt und auf Sensation spekuliert. Jetzt nimmt man ihm das Gesetz des Handelns aus der Hand. Nicht nur hat der Feminismus die Wahrnehmung verändert, auch wird Pädosexualität heute völlig anders wahrgenommen. Aus dem Mühl'schen Axiom "Körper ist Material" von damals sind jetzt Menschen geworden, die ihre Rechte reklamieren, ihr Recht am Leben, ihr Recht an der Kunst, ihr Recht am gemeinsamen Gesamtkunstlebenswerk. Mit Erfolg. Noch ist das wandgroße Kommunenfoto im MAK intakt, schon im Katalog musste daraus ein Gesicht aus Personenschutzgründen nach Drucklegung hundertfach händisch ausgestanzt werden.

Herr Noever. Eine Person, die in Kategorien des Personenkults lebt, die man offiziell, hoch dotiert und ungehindert derart schalten und walten lässt - aus der Bilanz 18 Jahre MAK machte zu Jahresbeginn der Direktor auf Hochglanz "Peter Noever - 18 Jahre Museumsarbeit" - macht daher auch psycho-logisch folgerichtig aus der historisch fälligen Dokumentation des Falles Muehl & Co. eine Personenausstellung als Hommage an den großen Meister. Die peinlich-konventionellen Vorstellungen von Künstler, Werk und Autorenschaft riechen ranzig nach abgestandenem Genie-Kult des 18. Jahrhunderts.

Noch ranziger, noch peinlicher, wie in diesen 18 Jahren spurlos an diesem Ort neben der Kunst-Theorie auch der komplette Geschlechter-Diskurs vorüber gerauscht ist. Weder das tiefgründelnd pseudophilosophische Gestammel des Katalogvorworts von Herausgeber Noever, noch die beschämend unbedarften zwei Seiten Schulaufsatz der Kuratorin Busse thematisieren die in den vergangenen drei Dezennien aufgelaufenen "gender-troubles".

Museum möbliert

Auch der als intellektueller Feuerlöscher herbei zitierte Peter Gorsen, der seit seiner "Sexualästhetik" von 1972 nicht wesentlich an Erkenntnis zulegte, hat in der Mann-Frau-Kunst-Frage sicherlich die tiefen Teller nicht erfunden. Wenn er noch 2004 "Lustentbindung als kritisches Potenzial" und "die ästhetische Dignität der Perversion" rühmt, wird distanzlos und schamlos einer Bürgerschreck-Ideologie gehuldigt, die Sexualität immer fixiert genital heterosexuell bestimmt und phallisch die Frau in den Griff nimmt.

Wenn Kunstprofessor Gorsen seinen "Otto Muehl redivivus" in ungebrochener Vitalprotz-Manier "trotz Impotenz" als wieder auferstandenen Christus leuchten lässt, wenn Museumsmacher Noever die "Potenz der Künstlerseele" hoch hält, dann darf der Schriftsteller Turrini nicht fehlen, der 2004 mit einem alten Text von 1993 Aktionismus unverändert definiert als "die Tatsache, dass die Frauenkörper bespritzt wurden". Oder, kurz, "die Tatsache der nackten Frauen" überhaupt.

War's das? Wird das Clinton'sche "I did not have sex with this woman!" nun zum Mühl'schen "I did not have sex with a child!"?

Noch springt aus dem historischen Material für das heutige Auge die damalige Wucht dieser sexuellen RAF heraus, aber die Kosten werden bislang vom MAK-Machismo nicht verrechnet. Wie leicht, solchen Stimmen eine Stellwand zu widmen! Stattdessen wird das Museum möbliert mit den Keilrahmen eines begabten Gebrauchsgrafikers, der in seinen Happenings Malmoden-Hopping betrieb und auf dem Trittbrett der Kunstgeschichte fuhr. Dem Otto wurde damit seinem Duz-Freund Peter ein Tort angetan. Die größere Gesamtheit hätte den Maler Muehl gnädiger umgeben als den Solotänzer.

Aber Museumshandling ist halt etwas anderes als Möbelhandel. Oder so.
(DER STANDARD, Printausgabe vom 6./7..3.2004)


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