VON WALTER FINK
Es ist eine Klage aller Kulturredakteure aller Zeiten: Die Kultur
führe in den Medien ein Mauerblümchendasein, sie werde zwar
zugelassen, aber nicht als wichtig erachtet, sie werde in den
Printmedien auf unpopuläre Seiten, in den elektronischen Medien auf
Randzonen des Tages gesetzt. Schlichtweg: Die Kultur, damit die
Kunst würden stiefmütterlich behandelt, in jedem Fall nicht so, wie
es ihrer Wertigkeit im Leben zustehen würde. Eigentlich komme die
Kultur in den Medien nur vor, weil sich niemand öffentlich als
Kunstbanause zeigen wolle, nicht aber aus der Erkenntnis, daß Kunst
notwendig sei. Gleiches wie für die Medien gelte auch für die
Politik. Kunst sei lediglich das Feigenblatt, mit dem man die
kulturelle Blöße bedecke. Und maximal tauge Kunst als Ergänzung zu
hehren Staatsakten oder zu gesellschaftlichen Auftritten bei den
sogenannten Events. Kunst als zwingender Bestandteil unseres Lebens,
als Voraussetzung für die Entwicklung der Menschheit werde aber kaum
erkannt. In der Politik nicht und nicht in den Medien.
Trotzdem gibt es immer wieder den Fall, daß sich die
Berichterstattung über Kunst auf die Titelseiten der Zeitungen und
in die Schlagzeilen der Medien vorarbeitet. Zumindest meint man, daß
es die Kunst sei, die solches schaffe. Ist es aber nicht. Nur dann
nämlich wird sie so prominent gehandelt, wenn man einen Skandal
vermuten könnte, wenn man erwarten kann, daß sich da etwas außerhalb
der Kunst in der Gesellschaft abspielt. Das jüngste Beispiel ist die
Berichterstattung über die Ausstellung von Otto Muehl im Museum für
angewandte Kunst in Wien. Die moralischen Ereiferer haben da wieder
Hochbetrieb, die Kunstverteufler können ihrem Hang wieder freien
Lauf lassen, indem sie das Pech über den Künstler ausgießen,
durchaus aber auch die Kunst meinen. Otto Muehl schafft ihnen die
Plattform. Immerhin kann man ihm vorwerfen, wegen verschiedener
Sexualdelikte, darunter auch mit Unmündigen, gerichtlich verurteilt
worden und auch inhaftiert gewesen zu sein. Das ist unbestritten,
macht Muehl wohl auch nicht gerade zu einem besonders liebenswerten
Menschen. Die andere Sache ist die Kunst von Muehl. Denn daß er
Künstler war, daß er es noch immer ist, das ist ebenso
unbestreitbar. Man kann seine Arbeit - unabhängig von seiner Person
- schätzen oder nicht. Aber sie ist Kunst.
Eines muß nämlich gerade anhand solcher Diskussionen klargestellt
werden: Kunst ist - selbst dann, wenn jemand in seiner Arbeit so auf
sein eigenes Leben Bezug nimmt wie Muehl - getrennt vom Menschen zu
sehen. In der Kunstgeschichte gibt es ausreichend Beispiele von
heute hochgeschätzten Künstlern, die dem Gesetz nach Verbrecher
waren. In der bildenden Kunst ebenso wie in der Literatur oder
Musik. Nur: Wir kümmern uns heute nicht mehr um das Leben etwa des
großen Malers Caravaggio oder des ebenso großen Bildhauers Cellini.
Tatsache ist aber, daß beide Mörder waren. Bei beiden aber findet
man selbst in einem besseren Lexikon zwar den Hinweis auf ihre
kunsthistorische Bedeutung, keinen aber auf das andere,
erschreckende Faktum ihres Lebens. Der Küstler bleibt, der Rest ist
vergessen. Und so könnte man viele Künstler aufzählen, die zeit
ihres Lebens schlichtweg zumindest eklig, manchmal eben auch
kriminell waren, die aber dennoch Großes in der Kunst geleistet
haben.
Es geht bei diesen Vergleichen nicht um eine Wertung von Otto
Muehl, es geht nur darum, das eine vom anderen zu trennen. Und wenn
die Ausstellung in Wien derzeit solche Schlagzeilen macht, wenn sie
auch dazu führt, daß von politischer Seite sofort der Ruf nach
Schließung der Ausstellung, nach Abberufung des Direktors des
Museums, nach der politischen Verantwortung des Bürgermeisters (die
in diesem Zusammenhang besonders lächerlich ist) erschallt, dann muß
man doch auch dagegenhalten. Und klarstellen, was die Kunst ist -
und was der Künstler.