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Der Autor und das Filmprojekt
von
Ulrike Steiner
INTERVIEW: Der israelische Produzent Micha Shagrir plant Filmdokumentation über Linz
Toleranz und Sinn für Humor zählen
Diese Woche präsentiert Micha Shagrir im Linzer Moviemento bei der Israelischen Filmreihe einige seiner Produktionen. Der Film- und TV-Produzent aus Jerusalem (siehe Info-Kasten) hat hier aber auch andere Pläne . Der gebürtige Linzer will unter dem Titel "Bishopstrasse, Linz" eine Dokumentation drehen. Die Recherchen sind fast abgeschlossen.

OÖN: Was motiviert Sie zu diesem Filmprojekt?

Shagrir: Es geht nicht darum, meine Wurzeln zu finden. Ich kenne meine Wurzeln und ich bin nicht allzu sentimental, was das betrifft. Es geht um einen Blick auf diese Stadt Linz, über die viele Menschen in aller Welt in Zusammenhang mit Hitler etwas gehört haben. Ich habe das Szenario des Films fertig, aber nichts ist abgeschlossen.

OÖN: Was haben Sie erwartet zu finden - und war das, was Sie fanden, anders als Sie dachten?

Shagrir: Für gewöhnlich findet man als Filmemacher oder Journalist genau das, wonach man sucht. Was mich persönlich interessiert, ist: Gibt es eine Art von Erbe, das man in seinen Genen trägt. Oder ist es nur Zufall, das ich in Linz geboren wurde, dass ich erstaunlich viel Deutsch verstehe, obwohl meine Eltern nur untereinander und nie mit mir Deutsch gesprochen haben. Wäre ich ein anderer Mensch geworden, wenn ich beispielsweise in Bagdad geboren wäre? Ich fürchte, ich entdecke immer mehr, dass ich diesem mitteleuropäischen Kulturerbe angehöre - im Guten wie im Schlechten. Was ich wirklich finden will, wenn ich die Gegenwart und die Zukunft betrachte, ist, ob es Hoffnung gibt, dass verschiedenartige Menschen zusammenleben können.

OÖN: Ist dieses Filmprojekt anders als Ihre sonstige Arbeit?

Shagrir: In Israel produziere ich eine große Dokumentar-TV-Serie, die "Nachbarn" heißt. Eine der Episoden spielt in Jerusalem, wo Juden und Araber als Nachbarn leben. Eine andere in Zypern über eine griechische und eine türkische Familie, wir werden in Irland eine Folge drehen und weitere an anderen Schauplätzen der Welt. Nachbarschaft hat viele Facetten, eine davon wird auch in der Bischofstraße-Dokumentation angesprochen .

OÖN: Welche?

Shagrir: Die Familie meines Großvaters Benedict Yiskakar Schwager wohnte im Haus Bischofstraße 7, die Familie Adolf Eichmanns (jenes "Befehlsempfängers", der die Ausrottung der Juden in ganz Europa organisierte , Anm.) in Bischofstraße 1 - sie waren Nachbarn. Wie verlockend, aber auch wie gefährlich, zu titeln: "Wir zwei, aus derselben Stadt."

OÖN: Welche Informationsquellen nutzten Sie?

Shagrir: Zuallererst familiäre. Dann auch eine Reihe von "Ex-Linzern", die hochbetagt in Israel leben. Da ist etwa der Sohn eines Herrn Hartmann, der das Phönix-Kino betrieb. So gehe ich Schritt für Schritt, finde immer mehr Verbindungen. Zum Beispiel hilft mir auch eine junge Frau aus Freistadt. Sie traf vor zwei Jahren einen jungen israelischen Filmemacher, David Ofek. Die beiden verliebten sich. David erzählte mir davon. Und so gab es wieder eine Geschichte, die mich hierher führte. Große kleine Welt!

OÖN: Sie binden auch noch andere Geschichten in Ihre Dokumentation ein?

Shagrir: Ja, der renommierte linke israelische Historiker Shlomo Sand wurde kurz nach Kriegsende in der Nähe von Linz in einem Flüchtlingslager geboren. Ich bin auf der Suche, wo genau das gewesen sein könnte. Die Jüdische Gemeinde unterstützt mich dabei. Vielleicht gibt es Menschen, die mir bei den Recherchen helfen wollen, auch in Hinblick auf die Bewohner der Bischofstraße (Anrufe erbeten an Moviemento Linz: 0732 / 78 40 90-50, Anm.).

OÖN: Wie weit sind Sie mit den Vorarbeiten?

Shagrir: Es geht um die zwei wesentlichen Dinge: Fertigstellung des Konzepts und Aufstellung der Finanzierung. Es gibt Gespräche mit einem Berliner, einem Wiener und einem Linzer Produzenten, außerdem mit der Kulturabteilung der Stadt Linz. So hoffe ich, dass wir nächstes Jahr drehen können.

OÖN: Die Aussage des Films?

Shagrir: Die Welt sollte toleranter werden. Toleranz und Sinn für Humor, das sind die wesentlichen Punkte.

OÖN: Wie fühlen Sie sich hier in der Stadt?

Shagrir: Es ist wie in einem Film. Ich gehe durch die Straßen und es ist irgendwie unwirklich, zugleich aber bin ich - wie im Kino - gefesselt und fühle mich hineinversetzt.



OÖNachrichten vom 8.04.2003
 
   







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