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Franz West: Wittgensteins Kringel

17.09.2011 | 17:47 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Eine neue Ausstellung von Franz West in der Galerie Meyer Kainer: Es geht ums Glück der Selbsterkenntnis und den bedeutsamen Zufall der Handschrift.

Gleich darauf führte ich, bedrückt durch den trüben Tag und die Aussicht auf den traurigen folgenden, einen Löffel Tee mit dem aufgeweichten kleinen Stück Madeleine darin an die Lippen. In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt.“ Für alle, die ihren Proust schon wieder vergessen haben – die berühmte Madeleine-Szene aus „Die Suche nach der verlorenen Zeit“.

Es sind solche plötzlichen, Zeit und Raum aushebelnden Glücksgefühle, die Franz West laut Ausstellungstext zu seiner neuen Ausstellung in der Galerie Meyer Kainer inspiriert haben. „Epiphanien“ ist ihr Titel – was sich weniger auf Gotteserscheinungen im katholischen Sinn bezieht als auf James Joyce, der damit den Moment der klaren Selbsterkenntnis umschreibt. Ein Gott in Form eines rosa Sputniks wäre auch reichlich komisch, ein solcher aus Pappmaschee schwebt über zwei Stühlen Wests, auf die man sich zur Betrachtung dieses seltsamen Objekts niederlassen darf: das Selbst ist ein Alien, rosarot und mit vielen Fühlern, oh yeah.

Der internationale Star der österreichischen Gegenwartskunst ist ein Meister des ironischen Ernsts: Will man lachen, werden einem die Philosophen und Literaten um die Ohren gehauen, will man philosophieren, dann ist es doch nur das, was man sieht. Etwa ein Baum. Der steht giftgrün und fünf Meter hoch im nächsten Raum, die einzige ältere Arbeit, von 2005, der Rest des dichten Paradiesgärtchens ist frisch aus der Werkstatt. Eine lila Kugel etwa, „Ebbe“ genannt. Oder der große Kringel „Securita“ mit zwei zu Sitzhockern ausgeprägten Enden. Das ganze in sich eckige Ding wirkt, als hätte West mit dem grünen Markierstift einen Strich gezogen, der dann in 3-D umgesetzt wurde.

Am luftigsten, am gewagtesten windet sich aber eine zweite Luftschlange durch den Raum, deren symbolhafter Titel ihre eigene Form ist, ein Zufallskringel, eine „Sinnlos-Schleife“, die Ludwig Wittgenstein einmal für seine „Vorlesungen über Ästhetik“ hingeworfen hat. Als Beispiel für eine „écriture automatique“, eine Zeichnung, bei der versucht wurde, das Hirn auszuschalten, die aber, nimmt man sie ernst, alles bedeuten kann – eine Tonfolge etwa, einen Gedankenverlauf, die Anleitung zum Glücklichsein oder vielleicht gar zur Epiphanie. Sechs Meter lang und hellblau schlängelt sich dieses Wittgenstein-Zitat jetzt elegant vor unserem Auge. Unübersehbar, besetzbar – es dient auch als Bank. Für die, die sich trauen. Die lackierten Objekte aus Stahl, Epoxidharz und Styrodur kosten zwischen 200.000 und 650.000 Dollar.

Bis 21.November: Eschenbachgasse 9, 1010Wien.


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