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12.12.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ein Sieg über die Sonne
VON JOHANNA DI BLASI
ZKM Karlsruhe. "Lichtkunst aus Kunstlicht" - mehr Erhellung, als dem Auge lieb ist.

S
ieg über die Sonne" hieß 1913 eine futuristische Oper, für die Kasimir Malewitsch Bühnenbild und Kostü me schuf. Die avantgardistische Feier der Straßen, Theater und Fabriken hell erleuchtenden Technik über die Mächte des Kosmos steht am Beginn der großen Karlsruher Ausstellung "Lichtkunst aus Kunstlicht". Als willkommene Aufhellung steckt sie in der düsteren Jahreszeit tausend Lichter an. Mit zum Teil raumgreifenden Illuminationen von László Moholy-Nagy über Otto Piene bis in die Gegenwart wird erstmals seit "Kunst-Licht-Kunst" vor 40 Jahren in Eindhoven wieder ein umfassender Überblick über die Kunst aus Licht gegeben.

Enzyklopädischer Ehrgeiz hat die Kuratoren - Peter Weibel und Gregor Jansen - angetrieben, mehr Lichtkunst auszubreiten, als dem Auge lieb ist. Herausgekommen ist eine Mischung aus Labor zur Erforschung der Wahrnehmung, Lunapark und Lampenladen. Der Stromverbrauch ist enorm, die Ökologie kein Thema. Man durchwandert die als urbane Landschaft angelegte Schau tatsächlich mit der Retina, in die noch Stunden später Nachbilder eingegraben sind.

Wieso sehen wir überhaupt Licht?, ist eine selten gestellte Grundfrage. Weibel beantwortet sie mit der Goetheschen Sonnenhaftigkeit des Auges: "Die Augen sind evolutionäre Ausstülpungen der Sonne selber." Aus dem breiten elektromagnetischen Spektrum nehmen wir genau jenen Ausschnitt wahr, den die Sonne sendet. Fotografie und Film wären ohne die mysteriösen Lichtteilchen und Wellen gar nicht denkbar.

Während ein James Turrell mit seinen nebligen Dunkelkammern sanft an Wahrnehmungs- und Orientierungsgrenzen heranführt, hantieren andere Künstler mit der Blendlaterne, einer alten Kriegstechnik, als wollten sie sich am oft unaufmerksamen Betrachter rächen. Herzflimmern riskiert, wer zu lange in Carsten Höllers oktopusartiger Schleife aus wärmenden Glühlampen verweilt, und in John M. Armleders Lichtraum mit zwölf rotierenden Discokugeln muss laufend das Aufsichtspersonal ausgewechselt werden, weil der Lichtzirkus auf Dauer ohnmächtig oder gar verrückt machen würde. Eigene Stränge sind in Karlsruhe mit gewohnter Sorgfalt aufgearbeitet worden, sie betreffen Hologramme, Laserkunst und das breite Feld der vor allem von den Minimalisten geschätzten und inzwischen ein konservatorisches Problem darstellenden Neonröhren.

Heute verkriecht sich die Lichttechnik in die Gegenstände. Wandschränke in Manager-Etagen wechseln diskret und computergesteuert die Farbe. Kunst und Design sind austauschbar, etwa bei Zaha Hadids Deckenlampenkreation "Chandelier Vortexx" (hergestellt von Zumtobel Staff Dornbirn), die so viel kostet wie ein Eigenheim. Angela Bullochs minimalistischer Dancefloor mit moderner LGB-Lichttechnik in 16 Millionen verschiedenen Farbvarianten und Siebziger-Jahre-Discomusik nennt die Sponsorin und Hauptleihgeberin Francesca von Habsburg "hypnotisch" und wiegt vergnügt die Hüfte. Mit von Habsburgs Thyssen-Bornemisza Stiftung (Wien), der VAF-Stiftung (Rovereto) und dem drittgrößten deutschen Energieunternehmen hat sich das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) kurzgeschlossen, um die kulturelle "Leuchtturmfunktion" auszuüben, die man von der Ideenschmiede erwartet.

Ecke Bonk hat auf dem Dach des Hauses sogar echte Leuchtturmtechnik installiert. Im Minutentakt werden Lichtsignale in die Winternacht gesendet. In dem Maß, in dem digitale Navigationssysteme Leuchttürme verdrängen, werden sie frei für die künstlerische Beschäftigung. Im Zeitalter beschleunigter technischer Entwicklung liegt die größte Chance der Kunst wohl im Kompensieren von Modernisierungsverlusten.

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