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08.07.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kunsthalle: Die Peitsche nicht vergessen
VON BARBARA PETSCH
Ausstellung in der Kunsthalle. "Das unmögliche Theater", Kantor und die Folgen.

Im Rückblick schnurrt alles zusammen: Antonin Artaud und Tadeusz Kantor, Oskar Schlemmer, Maurice Maeter linck, Puppentheater, Masken, Maschinen und Prothesen . . . Sabine Folie, Kuratorin der Kunsthalle Wien, nennt alle diese Namen, Begriffe fast in einem Atemzug. Darf man das? Warum nicht. Dem Komparatisten gehört die globalisierte Gegenwart. Was die Schlagwörter verbindet, das Auratische, davon kann man sich im MQ ein auratisches Bild machen. Bei einer Ausstellung mit dem vagen, unpassenden, aber wie immer an diesem Ort griffigen Titel "Das unmögliche Theater". Jüngere Künstler wandeln auf den Spuren des polnischen Theatermannes Tadeusz Kantor (1915-1990).

Im Prospekt wird er vorgestellt als einer, der die Überschreitung der Realität propagierte. Kantors Theater war in Wien zu sehen: Die Erinnerung spuckt eine Prozession unheimlicher, entgeisterter Gestalten aus, Kunst, die nicht auf den Kopf zielt, sondern auf die Seele, von Träumen, Alpträumen, Fantasien erzählt auf eine bildermächtige Weise, reale Figuren, überlebensgroße Puppen, Masken mischt zu einem grotesken Totentanz. Kantors Theater reflektiert auch die Katastrophen des letzten Jahrhunderts.

In der Kunsthallen-Schau ist er übermächtig, wenn auch weniger in den Fernsehern, Fotos, Exponaten als, auf eine recht intellektuelle Weise, in Schwarzweiß-Videos auf Großleinwand. Da sieht man, wie Kantors Kunst entstand, inspiriert von Dürers Rhinozeros oder Rembrandts Anatomie-Stunde. Da wird zerlegt und wieder zusammen gebastelt, die "Realität des niedrigsten Rangs" zelebriert, der Mensch als Summe von Teilen, die willkürlich zusammengesetzt werden können. Da wird gemantscht und geknäuelt wie bei den Aktionisten, verpackt wie bei Christo, dämonisch verzerrt wie im Serapionstheater. Der Kantor-Teil der Schau weckt Nostalgie: so fernsehfern, eruptiv, so gar nicht well designed.

Von den Künstlern, die sich für diese Kooperation der Kunsthalle mit der Zacheta National Gallery in Warschau mit Kantor beschäftigt haben, springt am stärksten Katarzyna Kozyra an. Man steigt über Holztreppen empor und sieht in einem dunklen Raum auf einer großen Leinwand eine rothaarige Hexe verbrennen. Die Hexe ist Kozyra selbst. In einem Konzertsaal singt sie eine Arie des Cherubino aus "Figaros Hochzeit": "Voi che sapete?" Was ist Liebe? Immer eine gute Frage. Für die Musik hat sie sich in ein Krinolinen-Röckchen gezwängt.

Eine andere Szene: Der Berliner Transvestit Gloria Viagra packt Kozyra aus einer Geschenk-Box aus. Sie sieht aus wie er. Das Klon zur Feier des Tages. "In Art Dreams come true" heißt das Work-in-Progress-Video, köstlich in seinem ambivalent-spielerischen Umgang mit ernsten Dingen: Rolle der Frau (im Post-Feminismus?), Geschlechtsumwandlung, Identität, Sexualität. Vor Altmeistern posiert Kozyra als Lou Salomé, mit Peitsche, das Leiterwagerl zieht ein gewisser Friedrich Nietzsche im Tierkostüm (Raststätte, Jelinek & so weiter). In der bildenden Kunst könnte man Kozyra mit Elke Krystufek, Cindy Sherman vergleichen.

Pawel Althamer schickt Aufsichtspersonal aus Wien und Polen auf Reisen: Die Realität des niedrigsten Rangs. Aufwendig. Wohl nett für die Beteiligten. Artur Zmijewski befasst sich mit Behinderung und Groteske, die Texte dazu wirken interessanter als die Werke. Ähnliches gilt für Robert Kusmirowski, der auf Kantor mit einer Kisten-Galerie reagiert: In die Kisten verpackte er Schulbänke aus dem Kantor-Klassiker "Tote Klasse". Kusmirowski: "Alles, was original ist, ist im Grunde genommen eine Kopie."

Wie wahr. Und viele von denen, die diese Ausstellung sehen, kennen Kantor so wenig wie Kusmirowski selbst, werden also anderes in dieser Ausstellung sehen als jene, die Kantor-Aufführungen erlebt haben.

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