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29.12.2003 - Kultur&Medien / Ausstellung
Farbtuben müssen aufgebissen werden!
Die erste große Sonderausstellung im Linzer "Lentos" blickt zurück auf die Zeit zwischen 1945 und 1965, als Paris Zentrum der Avantgarde war und "informell" noch provozierte.

Tachisten - Leute, "die sich vor jeder Arbeit drücken"? Das "Gegenteil von Schmonzeuren" gar? Helmut Qualtinger war sich so sicher nicht, was es mit diesem wilden Maler aus Paris auf sich hatte, der sich gern als Vater des Tachismus inszenierte und den Monsignore Otto Mauer 1959 nach Wien einlud. Kopfschüttelnd ließ Georges Mathieu die Wiener Kunst-Schickeria im Theater am Fleischmarkt zurück. In seiner gewohnt wütenden "Spontan-Malerei" verwandelte er in vierzig Minuten eine sechs mal 2,5 Meter große Leinwand inklusive Umfeld in ein farbliches Schlachtfeld - immerhin schon damals 200.000 Schilling wert. Beobachtet von "düster blickenden Jungmalern" und "fast allen Wiener Kunstsnobs", wie die Zeitungen berichteten, floss literweise Terpentin, und das Öl spritzte nur so aus aufgebissenen Tuben. "Prostitution!" hieß einer aus dem Publikum die öffentliche Zurschaustellung. Provokation, seufzt man man heute, wo nichts mehr aufregt, nostalgisch.

Das Informel, Überbegriff der abstrakten Richtungen nach 1945, das auch den in Europa gepflegten Tachismus ("taches" - Farbflecken) mit einschließt, machte das Paris der Nachkriegsjahre erneut zu einem Brennpunkt der Kunst-Avantgarden. Alles eilte wieder in die Seine-Metropole, wo mit Picasso, Matisse, Chagall, Giacometti sowohl die Meister der sogenannten ersten "École de Paris" lebten, als auch die Aufreger der zweiten Pariser Schule. Unter "Schule" ist hier keine einheitliche Richtung zu verstehen, sondern eine Bezeichnung, die sich einzig auf Zeit und Ort bezieht. Neben Malern, die mit automatisierten Techniken die Abstraktion dem Gegenstand völlig entfremdeten, gingen damals die COBRA-Künstler zurück zu kindlichen Ursprüngen, oder es erweiterten Artisten wie Dubuffet das Spektrum um die Formenvielfalt psychisch Kranker. Alles existierte in diesen Jahren in und aus Paris, das vor Konkurrenz pulsierte. In den sechziger Jahren übernahm dann New York mit der Pop-Art die Vorreiterrolle in Sachen Avantgarde.

Diese Vielfalt beschwört Peter Baum in seiner wohl letzten großen Sonderausstellung als Direktor des Linzer Lentos auf zwei Geschossen mit 250 Gemälden, Plastiken, Grafiken, Fotografien. Im Mai 2004 wird Baum als Leiter der ehemals Neuen Galerie der Stadt Linz von Stella Rollig abgelöst.

Eine klassisch-schöne Ausstellung gelang hier, die Bezüge zur Klassischen Moderne wie auch zu Österreich aufspürt. 1951 kamen Maria Lassnig und Arnulf Rainer stilistisch völlig verändert aus der Metropole zurück, das Informel hielt Einzug in eine heile Welt des Phantastischen Realismus. Auch Hans Staudacher und Markus Prachensky reisten wiederholt nach Paris. In einer beeindruckenden Gegenüberstellung werden im wohl schönsten Ausstellungs-Saal Österreichs zwei Großformate der beiden mit einem "Spontangemälde" Georges Mathieus konfrontiert. Das so vorgestellte "Lyrische Informel" - gegenüber dem Abstrakten Expressionismus der USA stärker grafisch ausgeprägt - wird hier kräftig klar.

Doch neben großen Namen wie Tàpies, Soulages, Michaux holt Peter Baum auch viele Vergessene wieder in die Erinnerung zurück, etwa Nicolas Schöffer (1912-1992), einen Hauptvertreter der kinetischen Kunst, mit seinen Edelstahl-Maschinen. Erschütternd, wie wenig Namen die Geschichte überleben lässt. Von 20 Positionen, die 1959 im Wiener Künstlerhaus als "École de Paris" vorgestellt wurden, gelten nur mehr wenige als relevant. Gerade in der zeitgenössischen Kunst, die wohl selten so zeitgenössisch war wie heute, die dem Moment so huldigt, gibt dieser Schwund zu denken.

Bis 28. März. Tägl. außer Di. 10-18 Uhr, Do. 10-22 Uhr.

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