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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Kultur & Politik | Linz 2009 
10. September 2009
19:29 MESZ

Das Linzer Franckviertel

Im Franckviertel leben 16.000 Menschen. Der Stadtteil gilt als "klassische" Arbeiterwohngegend, die meisten Wohnbauten stammen aus der Zwischenkriegszeit. Heute liegt der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund bei 25 Prozent. Das Viertel wird auch "Glasscherbenviertel" genannt: Bis vor etwa 40 Jahren arbeiteten viele Anwohner in einer - dann geschlossenen - Glasfabrik. Das Viertel hat den - nicht mehr gerechtfertigten - Ruf einer "harten" Gegend. In einer Umfrage von 2004 gaben 70 Prozent der Bewohner an, gern hier zu leben - im übrigen Linz beträgt dieser Wert aber 87 Prozent. (rott).


www.franck4.at

 

 

Spätsommeridyll in den weitläufigen grünen Innenhöfen: Projektinitiatorin Anne Janssen in der "Wäscheleinengalerie".

 


Wo nasse Socken den Weg zur Kultur weisen
Im Franckviertel will Europas Kulturhauptstadt dem Anspruch gerecht werden, Kunst auch abseits der Orte, die Eliten frequentieren, erlebbar zu machen

Das klappt. Denn auch Widerspruch ist Teilnahme.

Der Brunnen wirkt eine Spur zu modern. Aber das macht nichts. Denn weder der Monteur im Garten des Gasthauses "Union" noch die alte Frau auf der Parkbank beachten das Edelstahl-Kunstwerk: Der Monteur meditiert sein Bier an. Die alte Frau begutachtet, was sie aus ihrer Nase gepult hat. Auch den beiden Buben - einer schwarz, einer weiß -, die zum vierten Mal gemeinsam auf einem BMX-Rad vorbeiflitzen, ist der Brunnen wurscht. Eventuell sehen sie das "Ballspielen verboten"-Schild - befolgen würden sie das Verbot wohl dennoch nicht. Aber zu zweit ist Kicken öd.

An diesem Spätsommernachmittag ist hier, am Brunnenplatz im Linzer Franckviertel, nichts mehr los: Eine Trafik, zwei Friseure und ein Goldschmied sind im weiten Bogen der 1930er-Jahre-Häuserfront des Platzes angesiedelt. So wie das "Union" - und das Stadtteilzentrum. Ein Hund bellt.

Davon, dass das Franckviertel im September "Kulturhauptstadtteil des Monats" von Linz 09 ist, hat auch Union-Wirt Wolfgang Stütz ("ich bin nur der Freund der Chefin") aber "bis heute nix bemerkt". Obwohl er "sehr gern" im Viertel wohnt. Und obwohl die Kulturarbeit im Franckviertel gleich an der Wirtshaushintertür beginnt.

Denn dort, im Hof der städtischen Wohnanlage aus den 30er-Jahren, wehen Fahnen. Nicht von Masten - von den Wäscheleinen. Zwischen Handtüchern, Hemden und Unterhosen. 66 Fotos aus dem Leben der Franckviertler flattern - zu Flaggenformat aufgeblasen - in etlichen der weiten, grünen Innenhöfe: Hochzeiten, Großmütter, Alltagszenen - eine Leinengalerie.

"Galerie Wäschestangen" lautet der Name des plakativsten jener Projekte, mit denen die Macher von Linz 09 Kultur nicht bloß Eliten, sondern auch der "normalen" Stadtbevölkerung näherbringen will. Nicht mit hochnäsiger Hochkultur. Nicht mit den in freien und Off-Szenen beliebten Sozial-Safaris in Prolo-Ghettos, ohne mit der ansässigen Bevölkerung auf Augenhöhe zu kommunizieren. Sondern durch Aktionen, die das Engagement der Anwohner fordern. Und fördern.

Getragen werden diese Aktivitäten daher nicht von Kulturselbstdarstellern, sondern von Akteuren mit sozialarbeiterischem Antrieb: Eine Stadtplanerin (Anne Janssen) und ein Sozialarbeiter (Thomas Mader, Kopf des Stadtteilzentrums) etwa haben den Verein "1001 Geschichte aus dem Franckviertel" gegründet - den Motor hinter vielem, was im Quartier passiert. Wäscheleinenfotos, Nachbarschaftsfrühstücke und Theateraufführungen im öffentlichen Raum sollen "ein Puzzle aus möglichst vielen Geschichten werden", erklärt Janssen.

Ein Puzzle des Viertels, das jene, die darin leben, zum Mitgestalten animieren soll: Kulturtouristen von außerhalb sind zwar willkommen, erklärt Mader, aber nicht Kernzielgruppe: "Wir wollen die Leute hier aktivieren."

Und auch Widerspruch, sagt der Sozialarbeiter, sei eine Form der Anteilnahme. Denn während sich die Viertelbeleber etwa über Hochzeitspaare freuen, die das Ende ihrer Hochzeitsfeier spontan mit dem Eröffnungsfest der Franckviertelbespielung kombinierten, ist der Jubel im Quartier nicht einstimmig: "Uns hat keiner gefragt", klagt ein rüstiger Rentner.

Statt Socken hängt derzeit das Bild einer türkischen Hochzeit vor seinem Fenster. Der Mann ("Ich bin hier im Bau geboren") will einfach keine Bilder ("das gefällt mir nicht"). Schon gar keine mit Ausländern: "Das sind sicher anständige Leute - aber das Österreichische geht eh überall verloren."

Der hohe Anteil an Bildern mit Zuwandererszenarien entspräche der gelebten Realität, erklärt Ingeborg Bammer.

Der Großteil der Fotos kam von den Kindern ihrer Volksschule. Der Zuwandereranteil dort, sagt die Direktorin, betrage längst mehr als 70 Prozent - und die erwachsenen Franckviertler gaben eben kaum Fotos ab, ergänzt Projektbetreiberin Janssen.

Dennoch greife das Konzept von Vernetzung und die Aktivierung, erklärt Bammer. Auch über ethnische Grenzen und Vorbehalte hinweg: An Bammers Schule gibt es seit langem keinen Elternverein mehr. Jetzt aber "bringen sich plötzlich Eltern ein. Und wenn albanische Männer mit mir, einer Frau, reden, bedeutet das etwas."

Das System funktioniere aber auch bei den Kids, sagt Mader: So habe eine Gruppe kosovarischer Mädchen, "denen ihre Brüder verbieten, ins Jugendzentrum zu gehen", eine Tanzgruppe gegründet - "und jetzt wollen auch österreichische Mädchen mitmachen".

Eines, stellt Jürgen Heib vom regionalen Pro-Mente-Stützpunkt und Regisseur der Grätzel-Theatergruppe "Forumtheater" fest, müsse man aber immer wieder betonen: "Wir erfüllen hier keine kultur-, sondern eine gesellschaftspolitische Aufgabe." (Thomas Rottenberg / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.9.2009)

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