Die Biennale in Venedig hat am Samstag eröffnet – die internationale Kunstschau läuft noch bis 6. November
Verspäteter Feminismus und die Vorurteile der Westeuropäer
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Intergalaktische Kunst: Ein Paar steigt aus Mariko Moris witziger UFP-Installation.
(© Reuters / C. Helgren)
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Von Krista Hauser
Die Schlacht ist geschlagen: Die Goldenen Löwen der 51.
Kunstbiennale von Venedig sind vergeben, drei Tage lang von Event zu
Event, von Vernissage zu Vernissage, von Party zu Party. Am Wochenende
ist der Kunsttross weitergezogen. Seit Sonntagmittag gehören die
Giardini und das Arsenale wieder den Venezianern und Kulturtouristen.
Auch die vielen, oft versteckten Räume, wo sich Einzelgängerinnen und
Einzelgänger präsentieren, die den Weg zur "größten Kunstschau der
Welt" erst spät fanden. Bis zum 6. November soll der Besucherrekord der
letzten Biennale gebrochen werden. Rund 300.000 Menschen waren 2003
gekommen, 2005 sollen es mehr werden.
Der feministische Touch könnte dazu beitragen: den 53 Künstlern, die
heuer dabei sind, stehen immerhin 38 kreative Ladies gegenüber. Und
erstmals in der Geschichte der Biennale bestimmten zwei Kuratorinnen im
Arsenal und in der großen Schau im italienischen Pavillon, welche
Trends die nächsten Jahrzehnte prägen könnten: Rosa Martínez und María
de Corral, beide Spanierinnen. Neben ihrem Bekenntnis zur manchmal
pathetischen, dann wieder ironisch-zärtlichen, sexuell vitalen oder
auch kritischen "Mater Magna" von heute machen sie auch keinen Hehl aus
ihrer Herkunft. "E viva e’ Spania"!
Doch keine Angst vor Powerfrauen: Der Kunstparcours am Tor zur
Biennale beginnt natürlich phallisch. Italiens Videostar Fabrizio
Plessi, 65, hat vor den Giardini ein Signal gesetzt. Ein 44 Meter hohes
schmales Objekt, das über Video-Schirmen zum "Vertikalen Meer" wird,
bläulich schimmernd, fast geheimnisvoll. Natur gezähmt, zur Kunst
verfremdet.
Am Ende der Giardini, dort, wo seit 70 Jahren eine Mauer die
Kunstwelt von der realen Welt, dem Stadtviertel St. Elena, trennt, geht
es nicht ganz so hoch her. Hans Schabus, 35, Österreichs
Biennale-Vertreter, hat dem kühlen, weißen Pavillon Josef Hoffmanns ein
monumentales Felsengebilde übergestülpt. Eine aufwändige, schräge
Arbeit, die Assoziationen an die Dekonstruktivisten in der Architektur
weckt. Über ein raffiniertes Holzgerüst wurden 2.000 Quadratmeter raue,
graue Dachpappe gezogen. Ersteigen lässt sich die abweisende
Alpenfestung nur von innen: über rohe Holzstiegen, Leitern, schmale
Gänge, Schicht für Schicht. Nur hin und wieder eine kleine Luke, die an
Schießscharten erinnert, oben am "Gipfel" ein Blick über Venedig bis
hin zu St. Markus. "Das letzte Land" hat Hans Schabus seine
Installation genannt, die nicht nur für Kurator Max Hollein
"preisverdächtig" war. Als verschlüsseltes politisches Statement wurde
der Österreich-Pavillon von Experten bis zuletzt gewertet.
Gekürt wurde aber der Pavillon Frankreichs, wo Annette Messager, 62, in eine Märchen- und Zauberwelt der Kindheit lockt.
Kitsch oder Poesie?
Schön und zugleich voll von Schrecken, grausam und zugleich
sentimental wirken die Installationen der Grande Dame aus Paris, die
sie in ähnlichen Variationen auch auf anderen Großausstellungen zeigte.
Für Venedig ließ sie sich von Pinocchio inspirieren. Man wandert von
einem bedrohlichen Raum mit verschnürten Bällen, Riesenhänden und einem
Minizug samt toter Puppe in den nächsten, wo Ventilatoren riesige
blutrote Stoffbahnen bewegen. Bis schließlich im dritten Raum des
Pavillons mit viel technischem Know-how Spielzeug und Zivilisationsmüll
durch die Luft wirbelt. Kitsch oder Poesie? Die Grenzen sind ziemlich
fließend.
Die Jury entschied sich vielleicht für beides und auf alle Fälle für
die künstlerische Arbeit einer längst etablierten Frau. Schon vor der
Entscheidung hatten Fans von Annette Messager bis zu einer Stunde auf
den Einlass in den Pavillon gewartet, der mit der frechen Leuchtschrift
"Casino" allerlei Erwartungen forcierte.
Die Biennale braucht natürlich auch ein Skandälchen: Lorbeer deshalb
für Regina José Galindo aus Guatemala als beste Künstlerin unter 35
Jahren. Ihr Beitrag, von der Jury als "eindringlich visueller Eindruck"
gepriesen: Großaufnahmen von der Operation ihrer jungfräulichen
Wiederherstellung. Viel Blut, viel Eingeweide. Als Draufgabe ein
weiteres Video von einer Performance der glatt rasierten Schönen.
Da tröstet dann doch der männliche Blick auf Weiblichkeit. Thomas
Schütte, 51, Bildhauer und Grafiker aus Düsseldorf, erhielt einen
Goldenen Löwen als bester Künstler. Seine Skulpturen in der
internationalen Großausstellung im italienischen Pavillon beherrschen
den Raum: Zwei Frauen in Bronze, eine in Stahl, beinahe "altmodische"
klassische Bildhauerei. An den Wänden zarte Prints, Porträts einer Frau.
Mehr Aufmerksamkeit
Neben den vielen Installationen, Fotos und Videos sind es immer
wieder die Großen der uralten Medien, die in der Schau mit dem
schwammigen Titel "Die Erfahrung der Kunst" für Aufmerksamkeit, nicht
für Aufregung sorgen: Francis Bacon mit seinen gewaltigen Tryptichen
verschlungener Körper und Torsi; die im letzten Jahr verstorbene
Kanadierin Agnes Martin mit ihren streng strukturierten Bildern in
Schwarz-Weiß; Antoni Tapies mit seinen Collagen, Malereien und einer
wunderbaren verstörenden Arbeit, die er 1995 mit dem Titel Requiem
schuf: grobe Bündel, Totensäcke festgezurrt am Bildhintergrund, oben
ein kleines Kreuz, unten ein Notenschlüssel. Von der mittleren
Generation ist es vor allem der Franzose Bernard Frize, der an die
Malerei glaubt. Seine Acrylbilder, meist mit seriellen Mustern,
leuchten in allen Regenbogenfarben.
In den meisten Länderpavillons sind die klassischen Medien tabu. Nur
die USA schickten mit dem 68-jährigen Ed Ruscha einen ihrer
bekanntesten Maler nach Venedig. Er zeigt kühle Bilder, deren Motive,
Bauten, auch Gegenstände aus dem Alltag mit knappen Schriften
korrespondieren.
England setzt auf seine populären Aushängeschilder: Gilbert und
George sind zwar in die Jahre gekommen, doch sie wirken immer noch
frisch und frech. Mut zeigen Rumänen und Nordländer: Der schönste
Pavillon in den Giardini, erbaut von Alvar Aalto, ist leer geblieben.
Nur die beiden Bäume stehen im Raum. Die Künstler kann man im dicken
Katalog kennen lernen. Leer ist auch das alte Gemäuer der Rumänen. Für
den in Berlin lebenden Daniel Knorr ein symbolisches Zeichen für die
Vorurteile westlicher Europäer gegenüber den armen Ländern des Ostens.
http://www.labiennale.org
Dienstag, 14. Juni 2005