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02.04.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kunsthalle: Vom Countdown zur Explosion
Ein genialer Kino-Einzelgänger, wieder zu erahnen: Artavazd Peleschjans "Unser Jahrhundert".

Elf kurze Filme nur hat er seit 1964 geschaffen, aber das schmale Werk des Armeniers Artavazd Peleschjan ist ein Universum für sich. In Abgeschiedenheit hat er eine eigenständige Methodik perfektioniert und theoretisch unterfüttert: "Distanzmontage" nennt er das System, bei dem er zwischen die Schlüsselbilder des Films assoziative Sequenzen montiert. Das Resultat sind mächtige visuelle Symphonien aus Eigen- wie Fremdmaterial, die mit einer nicht minder akribisch komponierten, oft bombastischen Tonspur in Wechselwirkung treten.

Lange war Peleschjan nur Insidern bekannt, erst Ende der 1980er erreichte sein Werk den Westen, fand prominente Fürsprecher, gerade in Frankreich: Nicht zuletzt Jean-Luc Godard, dessen Alterswerk Histoire(s) du cinéma einige Spuren der Peleschjan-Ästhetik aufweist. Seither ist der Armenier wieder in Vergessenheit geraten: Mit der Schau "Unser Jahrhundert", benannt nach Peleschjans opus magnum, will ihm die Kunsthalle wieder Aufmerksamkeit verschaffen - eine verdienstvolle Absicht, dankenswerterweise begleitet von einer umfangreichen Publikation gleichen Titels.

Drei zentrale Arbeiten werden gezeigt. Die Bewohner (1970) ist eine Hymne ans Tierreich, deren lichttrunkene Bilder manchmal ins Abstrakte gleiten. Noch kunstvoller laviert Die Jahreszeiten (1975) um den Konflikt zwischen Natur und Zivilisation: Das archaische Leben armenischer Berghirten als zyklische Meditation, in der Loops vom Rutschen durch Geröll und Wildbach, von der Talfahrt auf Heuhaufen, die Gravitationsenergie in filmische Kraft umwandeln.

In Unser Jahrhundert (1982) schließlich schildert Peleschjan das Zeitalter der Luftfahrt und der Eroberung des Weltalls als pathetisch-gebrochenen Bilder-Mahlstrom: Eine Kreisbewegung vom Countdown über die Pionier-Segler zu Raketenexplosionen, eine ambivalente Geschichte des technischen Fortschritts (auch im Bildmaterial selbst) und - vermutlich - ein Meisterwerk. Denn leider sind alle Arbeiten nur als eher unbefriedigende Videoprojektionen zu sehen, die imposanten Tonspuren bleiben bloß heiseres Krächzen. Es wäre Zeit, Peleschjan auch wieder im Kino zu zeigen. hub

"Unser Jahrhundert", 2.-25.4., täglich außer Mi. 10-19h, Do. 10-22h.

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