13.10.2003 18:07
Der Papst im Fleischestaumel
Das
Kunsthistorische Museum zeigt "Francis Bacon und die Bildtradition" – eine
sinnvolle Überschreitung der Grenzen des Traditionshauses - Foto
Kuratorin Barbara Steffen hat die Ausnahmefigur Bacon in ein
adäquates Umfeld gesetzt.
Wien – Was wohl hatte der mit dem Papst im Sinn? Genauer: mit Innozenz
X? Francis Bacon, ein historisch betrachtet früh bekennender Schwuler aus
Dublin, ein Maler, der sich den ästhetischen Theorien des 20. Jahrhunderts nicht
so recht fügen wollte, der es wie kein anderer verstand, Pubertät, Barock,
Lebensüberdruss und Fleischestaumel, Begehren und Verwesen, Herrensauna und
Kreuzigung, Ödipus und griechisch/römischen Ringkampf, gänzlich unpickelig und
unverlogen, aus erster Hand, und trotzdem untadelig artifiziell verallgemeinert,
ins meisterliche, stets glasbewehrte Bild zu bringen.
Vielleicht
inspirierte ihn die Tatsache, dass dem mächtigsten – und somit selbst redend
testosteronbestimmten – Fleisch der Welt, seinem Papa, der Käfig Papstthron
schlichtweg zu eng war, ihm, dem Papa, zum Schreien zumute war, so eingezwängt
in das repräsentative Gehäuse. Er, Bacon, ihn 1950 endlich befreien wollte aus
den Repräsentationspflichten, zu denen Diego Velázquez ihn um 1650 für alle Tage
der Ewigkeit verdammt hatte. Bacon ließ Innozenz schreien, ließ ihm den Löwen
raushängen, und damit endlich das weltoberste Gemächt.
Er, Bacon, sah,
dass die päpstliche Erektion schon zwei Jahrhunderte lang sich schmerzlich am
Käfig Konvention rieb, dass es an der Zeit war, den mächtigsten Stab der Welt,
den Käfig, sprengen zu lassen, in einem Aufschrei, in einer Eruption
aufgestauter Gewalt, in einem Befreiungsschuss.
Gewalt mit
Stil
Ganz so wie Giacometti Die Nase 1948 den Käfig perforieren ließ,
den mächtigen Kolben ungeknickt durch das letzte Schleimhautfältchen führte, den
Restkörper samt Hirn aber gefangen hielt.
Bei Bacon wird nicht wie bei
Munch geschrien, aus niederen existenziellen Nöten einfach losgebrüllt, bei
Bacon bleibt Gewalt in Form, diszipliniert wie in einer Haremsfantasie von
Ingres (Türkisches Bad, 1859–63), normiert wie ein Stierkampf, zielstrebig wie
die Idee der Tour de France. Bei Bacon schreit einer nicht en plain air, in der
Waldeinsamkeit oder angesichts der gewaltigen Schöpfung seinen Frust
weg.
Bei Bacon wird unmittelbar aus dem Inventar gebrüllt, aus der
Meublage heraus, die der Käfig bietet, es sich bequem zu machen. Sich
einzurichten für die stets folgende Folter. Für die Drangsale und das
Schlimmere, dass eine Kajüte auf dem Panzerkreuzer anbietet, für die steifen
Nähte einer Uniform, für das Stützkorsett einer Ideologie, für die einzahlige
Wahrheit einer Religion.
Qualen, die dann eben den Körper prägen, ihn
amorph wie eine Sanddüne werden lassen, ausgeweidet, in konsumfreundliche Stücke
zerhackt. Und selbst dann noch, wie der Ochse Chaim Soutines oder knapp 400
Jahre früher schon jener Maerten van Cleves, aufgespannt und somit eingekastelt,
einer fremden Zweckdienlichkeit unterworfen.
Und wie Velázquez den Papa
hat Francis Bacon immer wieder sich selbst porträtiert, sich im Spiegel
betrachtet, der meist ein semitransparenter war, einer, in dem er sich und durch
den die Gesellschaft ihn betrachten konnte. Für beide ergab sich das Bild eines
Deformierten, beide konnten/ wollten ihre Lust daran nicht verbergen. Beiden
gleich eigen war der Schleier, der sie gerade genug abschirmte, ihr jeweiliges
Gegenüber zu ertragen.
Das alles ins Bild zu bringen bediente sich
Francis Bacon der Bilderwelt ringsum, sammelte, was ihm ins Auge stach:
Papstporträts, Diktatorenschnappschüsse und solche tragischer Schauspieler,
Albert von Schrenk Nortzings gefakte Fotos wahrer Materialisationsphänomene,
anderer Maler Selbstbildnisse, ein paar Findungen der Surrealisten, Fotos
tückischer Hautkrankheiten, Attentats- und Aktbilder,
Degas-Pastelle,
Picassos Studien weinender Frauen aus den späten 30er-
Jahren, Eadweard(sic!) Muybridges Studien innig bewegter Männerkörper.
Manipulierte Vorbilder
Bacon lagerte seine Materialien zum
weiteren Gebrauch im Studio in Dublin. Über Jahrzehnte hinweg gab er dem
Kunstkritiker David Sylvester Interviews zum Thema Bacon: Vorbilder, der Umgang
mit ihnen, Qualität und Tradition, persönliche Interessen, eigenwillige
Vorlieben, Obsessionen, Abneigungen. Man erfährt dort etwa, dass nicht der Akt
des Malens selbst die Vorbilder verändert hat, sondern die Manipulation der
Vorlagen, ein Falten und Zerfetzen, ein Collagieren und Zusammenheften des
Rohmaterials.
Basierend auf den Gesprächen mit Sylvester hat Barbara
Steffen ihre Bacon-Schau im Wiener Kunsthistorischen konzipiert. Das
"Studiomaterial" sieht sie als Missinglink zwischen Bildtradition und Bacon, dem
Fremdkörper im letzten Jahrhundert, der mit allem Gegenstandslosen so überhaupt
nichts anzufangen wusste. Steffen stellt die Bacons ganz selbstverständlich ins
Kunsthistorische, fügt Picassos ein und Rembrandts und Tizian. Und mengt all dem
noch originales "Studiomaterial" unter, Memorabilia aus des Meisters
archäologisch genau vermessenem und konserviertem Saustall aus Pinseln,
Farbtuben und bekleckerten Impulsgebern.
Das ergibt im Kontext der
hauseigenen Sammlungen ein recht anregendes, beinahe überanimiertes Eingedenken
der verworrenen Wechselwirkungen, die in so einem Künstlerkopf zwischen Ate 6.
Spalte lier und Pub, Kino- und Museumsbesuch, Vergangenheits-, Gegenwarts- und
Alltagsbewältigung ablaufen, bis – wie im Fall Bacons – Bemerkenswertes
hervorgeht.
Das ergibt bewusst keine Retrospektive, zeigt seltenes frühes
Material, wie Bacons Versuche im Surrealismus, und zeigt – weit über Bacon
hinaus – wie Gegenwartskunst imstande ist, eingefahrene Rezeptionsmuster zu
durchbrechen, den Blick auf Vergangenes entscheidend neu zu justieren. (DER
STANDARD, Printausgabe, 14. 10.2003)