DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Schlingensief: Alles und noch viel mehr

17.11.2010 | 18:41 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Im Innenstadtpalais der TBA-21-Sammlung erinnern Nevin Aladag, Jonathan Meese und andere an den großen Jongleur zwischen Kunst, Theater und Politik. Zentrales Werk ist Schlingensiefs Animatograph.

„Ich lebe gerne in der Himmelpfortgasse“, ruft eine junge Frau aus dem Fenster in den Hof hinunter. Aber sie spricht die Worte nicht selbst. Die Stimme kommt vom Tonband. Sie fügt nur Mimik und Gestik hinzu. Die in Berlin lebende Künstlerin Nevin Aladag hatte Menschen in dieser Straße interviewt und eine Reihe von kritischen, von traurigen, aber auch optimistischen Aussagen ausgewählt: Die meisten reden über Fremdsein in Wien. Es ist überraschend, wie multikulturell der soziale Raum dieser kurzen Straße in der Inneren Stadt ist. Und es beeindruckt, wie sehr sich unser Verhalten zu diesen Aussagen ändert einzig dadurch, dass alles von einer einzigen Person vorgetragen wird – Vorurteile verstummen, Details werden bedeutungstragend und Unterschiede lauter.

 

„Animatograph“ im Mittelpunkt

Diese Performance ist Teil der „Hommage an Christoph Schlingensief“, die im Innenstadtpalais der TBA-21-Sammlung läuft. Elf Arbeiten zeigen einerseits, wie weit die Grenzen dieser Kunstform gedehnt sind, die eigentlich aus einem zeitlich begrenzten Auftritt besteht. Aber ohne das Medium Film, das wird hier deutlich, ist Performance kaum möglich: Wie sonst sollte sie für den Kunstmarkt und für Ausstellungen taugen?

Die Werke sollen auch Christoph Schlingensief, den Jongleur zwischen Kunst und Theater, ehren. Gerade dieser Aspekt ist interessant. Nachdem Schlingensief im August verstarb, kann der Deutsche Pavillon zur nächsten Biennale Venedig 2011 keine Einzelausstellung des Künstlers mehr zeigen, sondern plant ebenfalls eine Hommage. Wie aber kann ein Künstler geehrt werden, dessen Werk so sehr an seine Person gebunden ist und dessen überbordender Stil Alltagsdinge, Wissenschaft, Mythen und Künstlerkollegen so kompromisslos als Material in sein Paralleluniversum aufsaugte? Werden in einer Hommage nicht die Werke der Kollegen ebenfalls Teil der schlingensiefschen Installation? Und überdecken formale Ähnlichkeiten nicht allzu leicht die Unterschiede?

Zentrales Werk in der TBA-21-Ausstellung ist Schlingensiefs „Animatograph (Iceland Edition)“. Damit ist ein vom Filmproduzenten Robert W. Paul am Ende des 19.Jahrhunderts entwickelter Apparat bezeichnet, der bewegliche Fotografien auf die Bühne projiziert. Dieser hier ist aber auch selbst in Bewegung, dreht sich langsam, ist umgeben von Filmen und ging auch als Installation auf Reisen. In der TBA-21-Ausstellung ist der Apparat jetzt eingebettet in einen engen Installations-Parcours inklusive thailändischem Essen und schrulliger Führung.

Vor dieser ungeheuren Menge an Dingen, Ideen und Themen können sich die übrigen Beiträge kaum behaupten: So dominant ist diese Alles-und-noch-viel-mehr-Ästhetik. Da geraten die skulpturalen Qualitäten von John Bocks Performances allzu leicht außer Acht, und Jonathan Meese wirkt wie ein Schüler des Meisters – aber unterschieden sich beide Positionen nicht eigentlich so gravierend wie die von Beuys und Dalí?

Ein weiteres Problem dieser Hommage: Hier dominiert der Werkcharakter. Das Aktivistische, mit dem Schlingensief in seinen Performances immer auch einen politischen Anspruch formuliert hat – und sei es nur, den Blick auf gesellschaftlich Ausgegrenztes zu lenken –, verliert sich hier in der dichten Atmosphäre des Chaos. Einzig oben auf dem Dachboden, im Film voller Weltschmerz von Ragnar Kjartansson, vor allem aber in Aladags Performance über die Mikrowelt der Himmelpfortgasse unten im Hof können weniger plakative Töne laut werden. In diesen Beiträgen wird auch das Format einer Hommage spannend.
TBA21, Figura cuncta videntis, Himmelpfortgasse13, Dienstag bis Sonntag, 12–18 Uhr, bis 16.April.


© DiePresse.com