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Kunstberichte

Seht, welch ein Schnitzel!

Aufzählung (cai) Zur Einstimmung ein klassisches Zitat. Von wem stammt wohl "Er aber, sag’s ihm, er kann mich im A. l."? Äh, da hab ich mich jetzt verschrieben. Es sollte heißen: "Der Staat greift auch nach deinem Glied!" Hm. Marquis de Sade? Falsch! (Der hätte ja eher formuliert: "Der Staat greift auch dir auf den Hintern .") Nein, der Spruch ist von Günter Brus. Aus seinem "Patent merde", wo er die traumatischen Folgen der Aktion "Kunst und Revolution" vom 7. Juni 1968 verarbeitet hat (etwa seine Untersuchungshaft, unter anderem wegen "Wiederholungsgefahr").

Mit den Fotos, Filmen, Skizzen und sonstigen Dokumenten aus der Sammlung Konzett kann man sich derzeit im WestLicht das deftige Treiben der Wiener Aktionisten selber rekonstruieren. Die Materialien sind sprechend genug, auch ohne erklärende Texte entsteht ein lebendiger Eindruck vom Geist der 60er Jahre. Und der Schmerzensmann Brus, der Radikal-Verarzter Schwarzkogler, der Sudel-Orgiast Muehl und der Blut-und-Ekel-Priester Nitsch sind immerhin mit dafür verantwortlich, dass sich die Kunst heute verdammt schwertut, noch jemanden zu schockieren. Eine didaktisch wertvolle Schau.

Die Aktionen sind vielfach nur für den Fotografen (etwa Ludwig Hoffenreich) inszeniert worden. Wenn Rudolf Schwarzkogler aus Heinz Cibulka einen Medizinmärtyrer macht oder Brus mit großem Ecce-Homo-Pathos (Sehet, welch ein Mensch!) den eigenen Körper "analysiert", sind das geradezu Andachtsbilder. Ikonen des Leidens. Die Schriften der Aktionisten sind oft tragikomisch. Otto Muehl beschreibt detailliert, wie er ein Gesäß paniert. Ähm, was hat der Brus eigentlich anno 1968 im Hörsaal 1 angestellt (bei der "Uni-Ferkelei" mit Muehl und Oswald Wiener), dass die Polizei ihn verhaftet und die Presse ihn "Kackademiker" genannt hat? Ah, da steht’s eh: "Während er die österreichische Bundeshymne anstimmt, zeigt er den Vorgang der analen Ausscheidung (usw.)." Okay, das war unpatriotisch.

Regentropfen zählen

Aufzählung (cai)In London muss dieselbe hohe Luftfeuchtigkeit herrschen wie in diesem waschelnassen Witz: "He, du warst doch zwei Wochen auf Urlaub. Hat’s dort auch so oft geregnet wie hier?" – "Nein, nur zweimal. Zuerst eine Woche und dann sieben Tage." Und seit fünf Jahren regnet es halt in London durch . Sonst hätte Stephen Skidmore doch zwischendurch auch ein anderes Motiv gemalt als die verwaschene Aussicht aus seinem Fenster. Andererseits sind seine ganze Ausbeute angeblich bloß die 32 handlichen Bilder, die in der Galerie Winter hängen. Macht 6,4 pro Jahr. Aber auf die Menge kommt’s ja nicht an. Einmal zählt er förmlich die Tropfen, dann wieder sorgt das Regenwasser für sentimental zerrinnende "Hinterglas-Aquarelle". Dass alles irgendwo zwischen Actionpainting und Schlechtwetter-Romantik schwebt, macht den Reiz der "Variationen zu einem feuchten Thema" aus.

Bilder pflückt man eben

Aufzählung (cai)Man kann beim Herumspazieren Blumen pflücken, aber genauso gut Bilder mitgehen lassen. Na ja, mit dem Fotoapparat . Hans Klestorfer hat ein Auge für den perfekten, gepflegten Ausschnitt. Sichtlich mag er geordnete Verhältnisse, strenge, ruhige Kompositionen mit dezent morbider Stimmung. Ein mit Brettern verschlossenes Fenster wird zum abstrakten roten Quadrat auf schmutziggrauem Grund, ein verschneiter Wald ist eine malerische Harmonie in Weiß. Und sollte der Horizont einmal schief in der Landschaft hängen, Klestorfer tät’ ihn sicher geraderichten.

WestLicht

(Westbahnstraße 40) Der chirurgische Blick Bis 22. März Di., Mi., Fr.: 14 –19 Uhr Do.: 14 – 21 Uhr Sa., So.: 11 – 19 Uhr

Galerie Hubert Winter

(Breite Gasse 17) Stephen Skidmore Bis 7. März Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr Sa.: 11 – 14 Uhr

Galerie Gans

(Kirchberggasse 4) Hans Klestorfer Bis 14. März Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr Sa.: 12 – 15 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 25. Februar 2009

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