Salzburger Nachrichten am 14. Juli 2006 - Bereich: Kultur
Schlingensief naht

Christoph Schlingensief wird zu Beginn der Salzburger Festspiele eine Intervention erarbeiten. Diese wird Teil der Sommerausstellung im Museum der Moderne. HEDWIG KAINBERGER

hedwig Kainberger Salzburg (SN). Fast alles ist mit Rufzeichen versehen, wenn Christoph Schlingensief kommt. "Hier bin ich Gott, hier darf ich sein! Keine Offenbarungen, keine Erlösungsfantasien! Hülle und Inhalt! Sack und Eier! Bewusstsein und Bekenntnis sind gefordert: Das Bekenntnis zur eigenen Scheiße! Das Bewusstsein, dass es im Sack schon wimmelt! Das ist alles." Dieses Zitat Christoph Schlingensiefs hat das Museum der Moderne Salzburg gewählt, um die Ankunft des deutschen Aktionskünstlers und "Parsifal"-Regisseurs anzukündigen. Auch der erste Satz des Pressetextes ist eine Ausrufung: "Christoph Schlingensief kommt mit einem Teil seiner lebenden Weltmaschine nach Salzburg!"

Schlingensief wird von 21. bis 29. Juli - also während Eröffnung und ersten Premieren der Salzburger Festspiele - mit einem Team von Mitarbeitern im obersten Stock des Museums auf dem Mönchsberg eine "Animatographische Installation" erarbeiten, die dann bis 8. Oktober zu erleben sein wird. Sie hat den Titel "chickenballs. der hodenpark".

Die jüngste Version des Animatographen war heuer im Jänner im Burgtheater, davor ließ ihn Schlingensief in Namibia und in Neuhardenberg bei Berlin heranwachsen. Der erste Teil des Animatographen war beim Reykjavik Art Festival im Mai 2005 entstanden. Der Animatograph ist ein begehbarer "Gesamtorganismus", inspiriert von Richard Wagners Idee eines Gesamtkunstwerkes. Er vereint Oper, Film, Theater, bildende Kunst und Aktion.

Was will Schlingensief in Salzburg? "Aus all den alten Öl-, Kino- und Fernsehbildern ein neues Bild malen, vor dem man nicht ehrfürchtig erstarrt, sondern in das man mit Anlauf reinspringt. Das ist das, was ich für die neue Mythologie halte. Wir müssen uns wieder verwirren lassen, damit wir wieder sehen können, damit wir endlich einen Blick auf uns riskieren!"

In Salzburg wird der Animatograph in der Ausstellung "Les Grands Spectacles" sein, die heuer - nach dem ersten Teil im Vorjahr - dem Thema "Kunst auf der Bühne" gewidmet sein wird (ab 22. Juli).

Apropos "reinspringen". Schon vor acht Jahren war Christoph Schlingensief in der Salzburger Umgebung aktiv. Anfang August 1998 rief er zum "Baden im Wolfgangsee" auf. Ziel der Aktion war, den See, an dem der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Sommerurlaub verbrachte, zum Überlaufen zu bringen, um so auf das Schicksal von Arbeitslosen aufmerksam zu machen. Etwa 100 Sympathisanten gingen damals mit Schlingensief ins Wasser, an die fünfzig Journalisten sahen zu.

Kurz zuvor war es in Salzburg zu einem Eklat gekommen: Schlingensief war von der Sommerszene für 31. Juli zu einem Projekt eingeladen gewesen. Doch Bürgermeister Josef Dechant (ÖVP) verweigerte darauf hin der Sommerszene die Subventionen so lange, bis diese Schlingensiefs Projekt absagte.

Dechant warf Schlingensief vor, "in innigstem Kontakt" mit Organisatoren der "Chaos-Tage" in Hannover zu sein. Zu Pfingsten 1997 hatten die damals angekündigten "Chaos-Tage" einen Großeinsatz an Exekutivkräften bedingt, der rund 15 Mill. Schilling (1,1 Mill. Euro) kostete. Christoph Schlingensief wies diese Vorwürfe zurück und sagte, Dechant habe eine "Lügenmaschine" in Gang gesetzt .