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01.10.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Steirischer Herbst: Graz darf nicht Bronzeville werden | ||
VON ALMUTH SPIEGLER | ||
Alles rund um die Stadt - Bildwelten von Rio de Janeiro bis Großlieschen. | ||
Die Stadt, im Allgemeinen und im Speziellen. Urbaner formuliert:
"Bodies - Cities - Subjects". Das ist das - freundlich formuliert - leicht
uninspirierte Thema des "steirischen herbstes", der dieses Wochenende in
Graz anläuft. Ein risikofreier Allgemeinplatz, auf dem alles irgendwie
Raum findet und in Bezug gestellt werden kann - und sei es in der Betonung
des krassen Gegenteils. Derart hat man sich wohl auch zu erklären, warum in der
Neuen Galerie ein ganzes Stockwerk gerade dem Fotografen Manfred Willmann
gewidmet ist, vor allem bekannt durch seine Serie "Das Land". Seit fast
einem Vierteljahrhundert porträtiert er konsequent, ausschnitthaft und
sehr subjektiv eine Gegend im südweststeirischen "No-where", genauer
gesagt im Bezirk Deutschlandsberg, noch genauer in einer Gegend zwischen
Kleinwuggitz und Großlieschen und ganz genau der Umgebung der beiden
Häuser Pongratzen 14 und Pongratzen 26. Nur von wegen urban. Egal. Willmann hat sich seine von
Joanneum-Intendant Peter Pakesch zusammengestellte Retrospektive
zweifellos verdient, der "Camera-Austria"-Herausgeber leistete in
Österreich Pionierarbeit, als es darum ging, die Fotografie als
Kunstsparte zu etablieren. Seine Qualität liegt in der nie respektlosen,
nie beschönigenden Hommage seines direkten ländlichen Umfelds.
Idyllischem, wie Kirschen im Eimer und weidenden Kühen, verleiht er durch
Beleuchtung und Farbe Surreal-Artifizielles. Daneben, ästhetisch
gleichberechtigt, die grausame Seite: überfahrene Rehe, der Saukopf im
Eimer, scharfe Hofhunde und gar nicht süße Katzen, das Maul noch
blutverschmiert. Wie es eben so ist, am Land, abseits des Urlaubs am
Bauernhof. Doch zurück in die Metropolen. Wenigstens das schillernde
Kunsthaus steht wie eine Eins hinter dem Festival-Thema, mit der
Vorzeigeschau "M Stadt" ebenso vorbildlich themenhörig wie die hier
untergebrachte "Camera Austria". Die Foto-Institution steuert mit der
ersten Einzelausstellung des Künstlerduos Sabine Bitter und Helmut Weber
den eindrücklichsten Ausstellungsbeitrag dieses "herbstes" bei. Mit
Recherche, Dokumentation, Video, Fotografie und Plakataktionen unterziehen
sie seit 1994 städtische Räume kritischen Untersuchungen, testen die
Images repräsentativer Stadtbilder, untersuchen die sozialen Strukturen,
die sich hinter, durch und trotz der Macht modernistischer Architektur
entwickeln. Sei es in den Slums von Caracas, in verkommenen Wohnblöcken in
Rio de Janeiro, ehemaligen Firmensitzen in Danzig - oder eben anhand von
Mies van der Rohes berühmtem Universitätscampus in Chicago. "Bronzeville" ist die jüngste Arbeit dieser Schau, eine durch Solarisierung, also Umkehr von Hell- und Dunkeleffekten, fast schwarz erscheinende Fotoserie von Mies van der Rohes Moderne-Monument. Denn was offiziell nicht herausposaunt wird: Um diese lichte Glasarchitektur schweben zu lassen, wurde ab 1942 ein großer Teil des politisch aktiven afro-amerikanischen Chicagoer Stadtteils "Bronzeville" dem Erdboden gleichgemacht. Eine in Ästhetik wie Recherche ungemein präzise gelungene Arbeit von Bitter/Weber, die international ebenso gewürdigt wird wie national - die beiden erhielten soeben den Österreichischen Würdigungspreis für künstlerische Fotografie. Am Festival-Thema orientieren sich noch das Kulturzentrum
der Minoriten mit Ilya und Emilia Kabakovs unrealisierten utopischen
Architektur-Skizzen, das Stadtmuseum mit Fedo Ertls Graz-spezifischen
Untersuchungen und der Kunstverein Medienturm, der Künstler wie Sabina
Hörtner und Octavian Trauttmansdorff "urbane Zwischenräume" befragen
lässt. Eher unmotiviert im Windschatten des "steirischen
herbstes" finden sich in der Neuen Galerie zwei Einzelausstellungen von
Hans Weigand und Gabi Trinkaus. Und documenta-Teilnehmer, "Typosoph" und
"herbst"-Logo-Erfinder Ecke Bonk macht sich auf Einladung Peter Weibels im
Spiegelsaal der Neuen Galerie und im Künstlerhaus Gedanken über den Zufall
und dessen Beherrschung. Was sich unter dem Titel "Monte Carlo Methode"
immerhin in zwei klaren schönen Installationen manifestiert: einer
ephemeren Casino-Roulette-Szenerie, resignierend und gottverlassen
beobachtet von Dürers "Melancholie". Als Gegenstück dazu überwacht die
dürersche Gerechtigkeits-Göttin Nemesis im Künstlerhaus ein wundersam vor
sich hinklimperndes Klavier. Von John Cage inspiriert, lässt
Duchamp-Experte Ecke Bonk hier das Instrument auf kosmische Strahlung,
registriert durch einen Geigerzähler, reagieren. Ein Zufallsprinzip,
abseits jeglicher menschlicher Einflussnahme und Vorsehung. Eigentlich ein
hinreißendes Thema für einen der kommenden "steirischen herbste".
Inhaltlich allerdings, nicht programmatisch, wie es heuer manchmal den
Anschein hat. |
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