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„Bei Raubkunst gibt es keinen Schlussstrich!“

28.02.2008 | 18:14 |  (Die Presse)

Der Rechtsanwalt Alfred Noll fordert eine Gesetzes-Novelleriung, Rechtsanspruch für die Opfer - und den Rücktritt der Vorstände der Leopold-Stiftung.

Die Presse: Das Bildungsministerium überlegt eine Novellierung des Kunstrückgabe-Gesetzes. Sie betreuen bzw. haben 30 teils prominente Fälle betreut. Was soll man ändern?

Alfred Noll: Man wird sich darüber Gedanken machen müssen, ob es nicht einen Rechtsanspruch der Erben geben soll. Ich finde es auch nicht richtig, dass die Erben ihren Anspruch nachweisen müssen – und nicht die jeweiligen Besitzer der Kunstwerke, dass sie einen guten Titel haben. Das Prozedere insgesamt ist nicht glücklich: Was der Staat nicht erforscht, kommt nicht auf den Tisch. Der Beirat besteht aus Ministeriumsvertretern. Da wurden skandalöse Entscheidungen getroffen, nicht zuletzt die Bloch-Bauer-Sache. Außerdem, und hier herrscht der größte Handlungsbedarf, dürfen nur Dinge zurückgestellt werden, die unentgeltlich ins Eigentum des Bundes gekommen sind. Wir wissen aus einer Vielzahl von Fällen, dass hier die grauslichste Schacherei betrieben und unsittliche Preise bezahlt wurden...

 

Ist das Gesetz schlecht?

Noll: Das Gesetz hat insgesamt vieles verbessert, aber wenn etwas besser ist, heißt es noch nicht, dass es gut ist. Eigentlich ist es ein schlechtes Gesetz, weil es über Nacht gemacht worden ist und vielerlei nicht bedacht wurde. Ein weiterer Mangel ist z.B., dass das Gesetz nur auf Güter und Objekte Bezug nimmt, die im Eigentum des Bundes stehen. Einige Länder haben nachgezogen. Aber bei den Gemeinden gibt es kaum Regelungen und auch nicht für Private, womit wir beim Leopold wären...

 

Die Grünen haben anlässlich der Egger-Lienz-Schau im Leopold-Museum dem Sammler vorgeworfen, er zeige Raubkunst. Das wurde anhand von 14 Bildern bewiesen, von denen nur eines, „Waldinneres“, aus der Leopold-Sammlung ist. Die anderen sind aus Bundesländer-Sammlungen. Das ist unseriös.

Noll: Was ich Herrn Leopold unabhängig von Einzelfällen vorwerfe, ist: Jemand, der so leidenschaftlich interessiert ist an Kunst, muss auch an Provenienz interessiert sein, sonst handelt er aus meiner Sicht weniger sorgfältig, als er müsste. Jeder weiß, dass „Waldinneres“ ebenso definitiv gestohlen ist wie Schieles „Häuser am Meer“. Diese Bilder sind nach allen Kriterien, die international zur Anwendung kommen, „looted art“. Damit wird aber jetzt noch keine Aussage darüber getroffen, ob Leopold involviert war. Die Frage ist für mich auch gar nicht, ob er es gewusst hat – sondern, ob er es hätte wissen können. Ich meine: Ja.

 

Die Stiftung gehört sich selbst. Das Ministerium kann nicht eingreifen, heißt es. Kultusgemeinde-Präsident Ariel Muzicant schlug vor, das Leopold-Museum bis zur Novellierung zu schließen. Auch das geht nicht. Der ganze Streit wirkt wie Demagogie. Ein Sturm im Wasserglas. Niemand kann etwas machen.

Noll: Museen sollten rund um die Uhr bei freiem Eintritt offen sein. Muzicants Vorschlag war Ausdruck einer verständlichen moralischen Empörung. Naheliegender wäre etwas anderes: Schmied hat wie ihre Vorgängerin Gehrer an das Leopold-Museum appelliert, sich in puncto Kunstrestitution so zu verhalten wie die Bundesmuseen. Die Stiftungsvorstände, die diese Meinung teilen, sollten aus Gründen des Anstands zurücktreten. Sie sollten nicht länger einer Institution vorstehen, von der wir wissen, dass sie Raubkunst im Besitz hat oder teilweise ausstellt, egal ob diese Raubkunst im guten Glauben erworben wurde oder nicht. Es gibt jetzt dieses Gutachten vom Verfassungsrechtler Walter Berka, das feststellt, dass die Integration der Leopold-Stiftung in das Kunstrückgabe-Gesetz nicht verfassungswidrig wäre. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Gesetzgeber eine Regelung trifft, die Leopold-Stiftung in das Kunstrückgabe-Gesetz hineinzunehmen. Dieser Fall wird sicher vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg landen. Dort wird entschieden werden müssen, ob diese Form der Beschränkung des Eigentums unter diesen Umständen zulässig ist oder nicht. Der Gesetzgeber sollte Mut zeigen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er verliert. Verfassungswidrige Gesetze macht er sonst auch.

Klar, teure Prozesse führen. Tolle Idee. Das wird dem Steuerzahler mächtig gefallen. Den Kolonialmächten sind solche Überlegungen egal: Die Elgin Marbles aus Griechenland sind noch immer im British Museum.

Noll: Ich finde, Österreich soll diese Objekte zurückgeben, egal, wie die internationale Lage ist, weil es selbstbewusst, moralisch, verantwortungsvoll, vorbildhaft handelt.

 

Manche sagen: Einmal muss Schluss sein.

Noll: Es wird nie einen Schlussstrich geben. Unsere Gesellschaftsordnung ist darauf aufgebaut, das Eigentum zu schützen. Warum man ausgerechnet bei beraubten, enteigneten und ermordeten Juden diesen Grundsatz ändern soll, sehe ich nicht ein.

Manche sagen: Es profitieren längst nicht mehr die wirklichen Opfer, sondern die Erben.

Noll: Ich habe genügend Mandanten, die weit über 80 Jahre sind, die man verhöhnen würde, wenn man ihnen sagen würde: Du bist ja nicht betroffen. Außerdem ist mir völlig unbegreiflich, warum man ausgerechnet bei Drangsalierten, Vertriebenen und Ermordeten damit anfangen muss, das Erbrecht zu relativieren. Gestohlenes Eigentum gehört in jedem Fall zurückgestellt!

 

Was wird passieren, wenn nichts passiert?

Noll: Wenn Ministerin Schmied sich nicht völlig blamieren will, im Verhältnis zu dem, was sie letzten Sommer angekündigt hat, muss es eine Novelle geben. Die Beiziehung von Clemens Jabloner (Präsident des Verwaltungsgerichtshofes) bietet mir Gewähr, dass inhaltlich etwas geschehen wird. Dass sich die VP dagegenstellen wird, ist keineswegs gewiss. Das Kunstrückgabe-Gesetz stammt schließlich von Gehrer. Bei einer so wichtigen Angelegenheit kann man nicht sagen: Das geht eh nicht. Das ist armselig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2008)


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