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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
09. Juli 2008
12:25 MESZ
Bis 9.11. 

Verknautscht: Tinguelys "Le Dauphin" (1990).


Wackelige Maschinen proben den Weltuntergang
Jean Tinguelys Maschinenplastiken im KunstHausWien

Wien – "Ich habe die Vision eines reell funktionierenden, gut präparierten Weltuntergangs." Während das Trommelfell noch vom ohrenbetäubenden und im Titel völlig verharmlosenden Bing Bing vibriert und das Herz sich vom Adrenalinstoß erholt, schießen einem im Kunsthaus jene Worte Jean Tinguelys ein. Es sind die von Scheibenwischermotoren oder anderen Schneckengetrieben bewegten, "pandämonischen" Streiche eines wirklichen Lausers, der glücklich war, "noch so vertrottelt zu sein wie mit acht" . Denn jenseits dieses Alters seien die Menschen nicht mehr erträglich, würden sie nur mehr darüber nachdenken, was ein Kunstwerk übermorgen wert sei.

"Solange es mir gelingt, noch irgendwen auf dieser Welt zu ärgern, habe ich schon noch Spaß an meiner Arbeit" , sagte Tinguely, als er 1991 im KunstHaus für ein Porträt interviewt wurde, und der Lauser funkelte dabei unter seinen wildwuchernden dunklen Augenbrauen hervor. Hundertwasser hatte ihn eingeladen, die Eröffnungsausstellung zu bestreiten, und der Schweizer ließ sich auf den reizvollen Kontrast zwischen der Hundertwasserschen Idealvorstellung einer "schöneren Welt" und seinem in eigenen Worten "selbstzerstörerischen Dekonstruktivismus" gerne ein.

Zerstörerische Huldigung

Dass Tinguely dabei auch Konstruktivist war, ist kein Widerspruch, musste er doch erst bauen, um zu zerstören. So wie etwa seine Hommage to New York, ein Maschinentanz, den er im März 1960 im Garten des MoMA vor einer illustren Partyschar vollführte.Einmal im Bewegung gesetzt, begann sich seine sieben Meter lange und mehr als acht Meter hohe Huldigung in alle ihre Einzelteile, darunter achtzig Fahrrad-Räder, zu zerlegen. Und das, was wieder ein paar Menschen ärgerte, freute Tinguely und bescherte ihm obendrein einen erheblichen Karrieresprung.

Die Retrospektive, 17 Jahre nach Tinguelys Tod, setzt aber deutlich früher an, zeigt die vom russischen Konstruktivismus beeinflussten Reliefs der 1950er-Jahre, dreidimensionale, bewegliche Zeichnungen, deren minimalistische Schattenspiele besinnlichen Gedichten gleichen, die der Besucher per Fußpedal rezitieren darf.

Mit Yves Klein, "der noch schlimmer war als ich und der mit seinen monochromen Bildern herumwütete" , verband Tinguely eine intensive Freundschaft. Die Entmaterialisierung der Kunst, ein Abwenden von sich in Öl oder Marmor materialisierenden Statussymbolen, interessierte beide. Und so versetzten Tinguelys Maschinen Kleins monochrome Farbscheiben in schnelle Rotation und produzierten oft das Blau des Himmels imitierende, immaterielle "Farbwolken" . Vorbei an verführerisch turnenden kinetischen Skulpturen (Matrac, 1966) oder den Konstruktionszeichnungen für La Vittoria, dem 1970 mit lauter Feuerwerksknallerei explodierenden Phallus bis zu den augenzwinkernden Philosophenplastiken führt die destruktive, aber inspirierende Reise.

"Man will mich nicht ins Irrenhaus sperren, und so habe ich meinen Platz in der Kunstwelt gefunden", sagte Tinguely. Böse eingesperrt wirken in der Enge der Räume leider seine Kunstwerke. Aber womöglich werden sie dort destruktive Sprengkraft entwickeln. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 09.07.2008)


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